... für Leser und Schreiber.  

Das etwas andere Vorstellungsgespräch

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© Homo Faber   
   
Wochenlang hatte ich mich auf dieses Bewerbungsgespräch vorbereitet, schon als ich meine Bewerbung abgeschickt hatte und noch gar nicht wusste, ob ich überhaupt eine Einladung erhalten würde. Aber mir war diese Stelle so wichtig, dass ich mich lieber umsonst vorbereitete als zu wenig. Dieser Herr Meinert, der Personalchef galt als knallhart, er war bekannt dafür, seine Bewerber bis zum Geht nicht Mehr auseinander zu nehmen und nur den allerwenigsten eine Chance zu geben. Doch ich wollte mich der Herausforderung stellen, ich musste es schaffen.
Ich nahm an Retorikkursen teil, machte mir eine Liste mit allen möglichen Fragen, die mir gestellt werden könnten und dachte mir Antworten und Argumente aus, warum ich geeignet für diesen Job war. Ich machte Atemübungen, damit ich nicht zu nervös herüberkam und machte Jogaübungen.
Schließlich kam der große Tag, ich hatte eine Einladung bekommen, dass Herr Meinert mich kennen lernen wollte. Ich war bestens vorbereitet, sollte ich keinen Arbeitsvertrag bekommen, wusste ich, dass ich mir nichts vorwerfen konnte.
Dieser Herr Meinert war ca 45 Jahre alt, wirkte auf dem ersten Blick auf eine gewisse Art nett und gar nicht so schlimm, wie er von anderen immer geschildert wurde, aber schon nach den ersten Sätzen Konversation merkte ich, er war so schlimm, wie von anderen beschrieben. Fragen über Fragen, die wirklich fies waren, folgten und eigentlich gar nichts mit der ausgeschriebenen Stelle zu tun hatten. Egal wie ich argumentierte, er drehte mir jedes Wort im Mund um.
„Nun, welchen Grund sollte ich haben, Sie einzustellen? Ein gutes Gewissen?“, fragte er zum Schluss. „Da Sie sicherlich an einer schnellen Entscheidung interessiert sind, die Antwort lautet „NEIN“, wir haben kein Interesse an Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Für einen Moment war ich fassungslos wegen dieser Worte.
„Ich bin sicher, Sie verstehen das“, fügte er noch hinzu.
Na ja, dachte ich, wenn ich den Job eh nicht kriege, dann könnte ich mich ja nochmal richtig daneben benehmen.
„Ja, aber sicher verstehe ich es. Ich kann ja gut mit so etwas umgehen, ich schon. Aber es gibt ja auch Leute, die mit so etwas nicht so leicht umgehen können, da können Sie froh sein, dass ich nicht so einer bin, nicht wahr? Es ist nicht immer leicht, jemandem so klare Worte sagen zu müssen, oder? Man muss wahrscheinlich immer vorsichtig sein, ich könnte ja so´n Geiseskranker sein, der plötzlich durchdreht und seine Maschinenpistole rausholt. Auf solche Leute muss man vorbereitet sein, da müsste Ihr Pförtner etwas genauer sein und vorher die Taschen kontrollieren“
Herr Meinert und seine Assistenten waren inzwischen kreidebleich.
„Ich hoffe, Sie werden das jetzt mal anordnen. Sie wollen schließlich auch noch etwas länger leben, nicht wahr?“
„Ja ja, natürlich“, antwortete Herr Meinert.
„Sagen Sie mal, wieso sagen Sie mir nicht einfach mal genau, warum ich den Job nicht kriege?“
„Nun ja, eigentlich haben wir ja im Moment keine Stelle frei?“, fasselte er nervös.
„WIESO LADEN SIE MICH DENN DANN ÜBERHAUPT EIN?“

„Ok, ok, mir fällt gerade etwas ein. Ich könnte Ihnen einen SAP-Kurs anbieten, der geht zwei Monate lang. Er kostet zehntausend Euro, die Kosten tragen natürlich wir, ich nenne Ihnen nur die Kosten, damit Sie wissen, dass es ein sehr guter Kurs ist. Und natürlich werden wir Sie in der Zeit auch schon bezahlen, ich denke da an ein Bruttogehalt von 4000 Euro, wenn Sie damit einverstanden sind?“
„Das klingt doch schon mal sehr gut, wie gut, dass wir uns noch ein wenig Zeit genommen haben. Es wäre ja sicherlich ärgerlich sonst gewesen.“

Der Kurs lohnte sich wirklich, ich lernte eine Menge, zum Abschluss bekam ich noch ein Zertifikat, was meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessern würde.
Nach dem letzten Kurstag ging ich zu Herrn Meinert.
„Wissen Sie, Sie hatten recht, irgendwie hätten Sie keinen Vorteil, mich einzustellen. Ich glaub, ich lass es doch besser.“
Nicht nur, dass er nun 10.000 Euro aus dem Fenster geschmissen hatte, er hatte mir auch zwei Gehälter für nichts gezahlt. Bei so einem Arschloch tat es mir kein bisschen leid.

Zwei Wochen später rief mich sein Assistent an, der inzwischen dort gekündigt hatte und in einem anderen Unternehmens selbst Personalchef geworden war. Er hatte gemerkt, dass mein Auftreten nur Show war und war davon so beeindruckt, dass er mir bei sich einen Job anbot.
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 20:57:30