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Wenn Engel fallen (1) - Prolog

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Mühsam setzte ich mich auf und hob die Hand, um mir träge den Schweiß der Sünde von der feuchten Stirn zu wischen. Die Luft in der beengenden Kammer des Beichtstuhls stank nach Sex und ich ahnte, dass meine Haut noch immer das unsägliche Feuer der Leidenschaft ausdünstete, das mich angesichts meines Gegenübers überkommen hatte. Mit einem schweren Keuchen blickte ich nach unten und konnte sehen, wie seine weiche Wange sich gegen meinen Schenkel schmiegte. Im ersten Moment hatte ich mich dafür gehasst, dass ich nicht einmal einen Funken Reue für meinen Sündenfall verspürte. Ich, ein Gottesmann, der sein Leben lang nur für ein Ziel gearbeitet hatte, die Verbreitung des wahren Glaubens. Und nun saß ich hier, völlig vom Schweiß der Ekstase durchtränkt mit einem jungen Mann zwischen meinen entblößten Beinen, ohne das geringste Schuldempfinden. Was war nur über mich gekommen, dass ich einer Sehnsucht nachgegeben hatte, derer ich jahrzehntelang nicht einmal in meinen kühnsten Träumen gewahr geworden war? Hatte denn tatsächlich der Teufel von mir Besitz ergriffen oder war es gar Gott gewesen, der mich vor diese schwere Prüfung gestellt hatte? Nein, all das waren nur Ausreden, die wie flimmernde Bilder durch meinen Kopf kreisten. Mein Kopf sank mir zur Seite und schlug leise gegen das dunkle Kirschholz. Ich konnte riechen, dass jede Faser des alten Holzes den ruchlosen Geruch der Hölle bereits in sich aufgesogen hatte und war mir sicher, dass er nie wieder ganz verschwinden würde, so dass ich mich dabei ertappte wie ein zufriedenes Lächeln darüber über mein inneres Antlitz strömte und mich unweigerlich frösteln ließ. Träge schloss ich die Augen für einen Moment, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen als mich seine Worte aus einem weiteren sündigen Tagtraum rissen.
„Bereuen Sie es, Pater Jacobi?“ Eine einfache Frage und doch war ich mir sicher, die Wahrheit würde ihn kränken. Aber ich hatte schon zu viel gelogen in den letzten...wie lange war es her, seit er meine Kirche betreten hatte? Sicherlich waren Stunden vergangen. Ich schüttelte langsam den Kopf und versuchte, meine trockenen Lippen mit der Zungenspitze zu befeuchten, um Worte fassen zu können. Als ich nach unten blickte, durchschlug es mich wie ein stechender Blitz, der durch meine Körperachse direkt in den Boden einfuhr. Diese unsagbar tiefgründigen Augen, so dunkel und leer und doch so feurig und voller Verlangen, dass ich meine Ohren glühen spürte. Ich hatte nicht bemerkt, dass er den Kopf gehoben hatte, um mich anzusehen, meine Beine waren zu taub geworden und pulsierten in sich selbst, so dass es mir in den Muskeln schmerzte. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass ihm meine Geste Antwort genug war für den Moment und als er leise zu summen begann, schloss ich erneut meine Augen und schob die Türe des Beichtstuhls kraftlos etwas mit meinem Fuß auf, so dass die kühle Luft des leeren, von flackerndem Kerzenschein erfüllten Kirchenschiffs uns umspülte. Ein leises Aufkeuchen entfuhr ihm als sich eine Gänsehaut auf seinem Rücken bildete und ihn schaudern ließ. Ich war mir sicher, das weiße Spitzenhemdchen wäre kein ausreichender Schutz gegen die Kälte und lauschte in die aufkommende Stille hinein. Noch immer tobte der Sturm um das Gemäuer, rüttelte unerbittlich an den hohen Buntglasfenstern und der schweren Holztüre auf deren Stufen alles begonnen hatte. Unwillkürlich legte ich eine Hand auf seinen Kopf, eine Geste für die ich mich hätte schämen sollen. Jedem Außenstehenden hätten wir sicher ein klischeehaftes Bild gedeutet, doch letztlich war es doch nichts anderes gewesen. Weißer Kragen schützt letztlich nicht vor menschlichen Lastern, so schoss es mir durch den Kopf und die Erkenntnis beruhigte mein aufgewühltes Gemüt ein wenig.
„Warum tust du das?“, wollte ich wissen, denn ich war sehr interessiert an seinen Motiven. Ich hatte ihn als Wanderpriester kennen gelernt, ein zuversichtlicher, junger Mann, der Worte Gottes predigte, die ich zuvor noch nie vernommen hatte, keine Religion, eine Philosophie Christi, die den Menschen Mut machte und sie beflügelte an einem Strang zu ziehen. Ein Seelsorger, der stets ein gutes Wort für jeden auf den Lippen hatte, niemanden zurück wies, vor allem nicht die Armen und Kranken. Und nun war nichts weiter von ihm geblieben als ein flatterhafter Teenager, ein verdrehter Messdiener und innerlich verzweifelter Beichter, Büßer und zugleich Richter.
„Das ist eine lange Geschichte. Bisher habe ich Sie noch niemandem erzählt.“
„Bisher? Heißt das, du wärst bereit dazu, mit mir darüber zu sprechen?“
„Ich bin bereit, jedem davon zu erzählen. Aber die wenigstens sind ihrerseits dazu bereit, den Preis für dieses Wissen zu tragen.“
Seine Worte jagten mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Obgleich es nicht wie eine Drohung geklungen hatte, wusste ich doch, welchen Preis ein solches Geheimnis verlangen musste. Doch noch während ich darüber nachdachte, wurde mir plötzlich klar, dass es ein gerechtfertigter Preis wäre. Ein Leben gegen ein anderes, hatte es nicht bereits im Alten Testament so geheißen? Er würde mir alles erzählen, mir sein Leben, seine Seele offenbaren. Weshalb wäre nicht berechtigt, im Gegenzug das meine zu fordern?
„Was passiert, wenn ich bereit bin, den Preis zu zahlen?“
„Dann erzähle ich ihnen von einer Nacht, die dieser gar nicht unähnlich war.“
Wieder überlegte ich eine Weile, ließ meine Gedanken über all das schweifen, was mir bisher widerfahren war, seit er zu mir gekommen war, um die Beichte abzulegen und löste letztlich den Kopf wieder vom Holz, um ihn erneut anzusehen und die Ernsthaftigkeit meiner eigenen Worte erschreckte mich zutiefst.
„Ich bin bereit, zu zahlen. Erzähl mir von dieser Nacht.“

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Wenn Engel fallen ist ein gemeinsames Projekt von Archivarus und Retrotapte. Die Geschichte basiert auf einen noch laufenden Rollenspiel und wird etappenweise fort geführt, welcher Charakter wem gehört wird bei Zeiten noch auf geklärt.
Ausgeschrieben wird es von Retrotapete.
 

http://www.webstories.cc 20.04.2024 - 15:32:13