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Tränenvoller Abschied vom Schäferhund

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© Michael Brushwood   
   
Da liegt er nun zusammengerollt, auf dem rotgelben Fransenteppich. Ruhig, gleichmäßig atmend, hebt und senkt sich das pechschwarze Fell des Schäferhundes Bobby.
Die ansonsten so stolzen braunen Tieraugen blinzeln nur zaghaft träge. „Irgendetwas muss doch anders sein als sonst“, fragt sich besorgt das kluge Tier. Die gütigen Blicke des scheidenden Haushüters verfangen sich in den blauen Augen des kleinen Robby, die genau so treuherzig leuchten, wie die des Hundes.
Nicht nur Menschen, auch Tiere haben eine Seele und ein feines Gespür und merken sehr wohl, wenn es Herrchen oder Frauchen nicht gut ergeht, besonders aber, wenn mit den Kindern etwas nicht zu stimmen scheint.
Für den schmächtigen dunkelblonden Robby droht über Nacht eine Welt zusammenzubrechen, eine Welt, die für ihn bis vor einer Woche noch fast heil und intakt zu sein schien.
Doch seit exakt sieben Tagen ist es amtlich. Bobby muss das traute Heim verlassen.
Leider ist es kein Abschied auf Zeit, es ist ein unwiderruflicher Abschied, ein Abschied für immer.
Vati und Mutti sind beide seit über einem Jahr arbeitslos und zudem noch Hartz IV- Empfänger.
Da fehlt vorn und hinten das Geld, jeder Euro muss gleich zwei Mal umgedreht werden, ehe er überhaupt ausgegeben werden kann.

Robbys Vater, Manfred, hatte schweren Herzens sich durchgerungen, Bobby in die Obhut eines Tierheimes zu geben. Robby würgt schreckliche Tränen aus seinen Kanülchen. Tränen des Schmerzes, Tränen der Verzweiflung und Tränen des Abschieds.
Doch Manfred blieb keine andere Wahl.

Neben dem Garten schillern gleißende Strahlen der warmen Maiensonne, die durch das weiße Blütenmeer knorriger Fliederbäume schielt, auf dem metallicfarbenem Lack seines Audi. Ohne Auto würde er völlig alt aussehen, obwohl es Manfred mit fast fünfzig nahezu aussichtslos erscheint, in einem neuen Job wieder Fuß fassen zu können.
Bobby und Robby, die beiden sind sich nicht nur vom Namen her ähnlich. Die gehören zusammen wie der Wind und das Wasser oder wie die Sonne und das Meer. Wie soll das Leben bloß ohne seinen engsten treuestenen Spielkameraden weitergehen , der sich dauernd um ihn scharrt und sich wohlig an ihn schmiegt, der so drollig Männchen macht, und ihm mit seinem wedelnden Schwanz stolz verkündet: „Ich fühle mich so wohl mit Dir?“ Nahezu unvorstellbar, dass sich die beiden „Unzertrennlichen“ ab morgen für immer aus den Augen verlieren werden.
Robby zählt nicht mal die letzten Stunden, die er noch mit ihm verbringen kann. Was würde Bobby nur sagen, wenn er reden könnte, wenn er jetzt schon wüsste, dass es heißt, für immer Abschied von Robby nehmen zu müssen? Morgen wird er schon ein neues Zuhause haben, fernab von jeder Behaglichkeit, eingepfercht in einem engen Käfig, umgeben von rüden, wild tobenden Hunden – nicht wenige davon sind Opfer grausiger Tierquälereien.
Manfred hatte sämtliche Tierheime der Umgebung abgegrast, die meisten davon drohten aus allen Nähten zu platzen. Vielen Tierfreunden war es ähnlich ergangen wie Manfred. Nach Einführung von Hartz IV sahen sie sich gezwungen, ihren Liebling abgeben zu müssen.. Die Hunde brauchen ja täglich Futter und der Vorrat in den ohnehin schon klammen Haushaltskassen war bei vielen Besitzern längst aufgebraucht.
Bobby stellt seine Ohren und dreht diese wie Radaranlagen auf Robby. Dieser nimmt die Signale auf und er redet tief schluchzend, mit trostlosen, verzweifelt klingenden Worten, auf das Tier ein.
„ Bobby, ich muss Dich ab morgen für immer verlassen.“ Robby wiederholt diesen ergreifenden Satz noch so oft er kann und würgt einen Fluss rührender Tränen aus seinen flackernden Augen.
Bobby steht auf. Während er leicht seinen Schwanz wedelt, springt er auf und seine Vorderpfoten legt das Tier auf Robbys Schoß ab. Er schiebt seine lange rote Zunge hächelnd durch gelbe scharfe Zähne, die aber zu keiner Zeit eine Gefahr für Robby bedeuteten.
Seine schönen blauen Augen haben jeglichen Glanz verloren. Während glitzernde Tränen über Robbys glühenden Wangen rollen, gleitet seine warme rechte Hand zart und sanft über das samtige Fell seines geliebten Freundes.
Ein leises Knurren setzt ein. Sekunden später antwortet ein helles langgezogenes Wimmern auf das nicht enden wollende Weinen des kleinen Robby.
Robby weint, Bobby weint, auch Mutti und Vati würden weinen, wenn sie nicht rein zufällig im Garten wären. Ströme nicht abreißen wollender Gedanken ergießen sich durch sein hochrotes Köpfchen. Während Robby grübelt und grübelt sagt er dem Hund mit lieblichen Worten: „Bobby, komm doch noch einmal mit mir mit.“ Bobby scheint jede noch so kleine Regung des Jungen in sich einzusaugen. Er heultlos wie eine Sirene.
In einsamer Stille atmet das frische duftende Grün der Natur. Zum unwiderruflich letzten Male wird Robby den vertrauten Weg zum Baggersee mit ihm gehen.

Doch das von beiden geliebte Spielchen wird wohl diesmal ausfallen. Robby kriegte sich kaum ein vor Lachen, als er das klumpige Stück eines Astes, weit von sich geschmissen hatte, der Hund mit einem Affenzahn nach diesem jagte, er sich darin verbiss, um es nach einem rekordverdächtigen Sprint, vor seinen mickrigen Füßen keuschend ablegen zu können. Bettelnd schlug er seine Zunge durch die gelben Zähne und Robby ließ sich freilich nicht lumpen und wiederholte dieses Schauspiel, so oft er konnte.. Bobby rannte und rannte. Er stresste seine Lungenflügel so sehr, dass diese in jeder Sekunde hätten platzen können.
Alles hätte doch bis in alle Ewigkeit hinein so bleiben können.

Zierliche Vögel hüpfen fröhlich flatternd von Ast zu Ast und trällern helle Frühlingsmelodien, über die sich Robby nicht mehr erfreuen kann. Klar, dass er kein Zauberkünstler ist, der seine Sorgen so einfach in einen schwarzen Zylinder verstecken kann. Es sieht aus, als könne der vierbeinige Schlauberger Robbys feinfühlige Gedanken lesen.
In hundert Metern Entfernung tapst ein fetter rotgetigerter Kater über den Waldweg. Als dieser behäbig trödelnd, den Hund im Visier seines Blickes hat, flüchtet er panikartig in angrenzendes dickes Gebüsch, was vielleicht gar nicht nötig ist, da Bobby fast keine Zuckungen von sich gibt, von einem leisen Knurren und einem leichten Hächeln mal abgesehen.
Der aus der Ferne schimmernde goldig gelbe Raps, deutet auf das Ende des Waldes hin Ein frohes wildes Kreischen, Kichern und Gaggern, welches vom nahen Baggersee her rührt, beschwingt die lauschig laue Frühlingsluft. Klipprige Felsen fangen schallend die Geräusche ein und schmettern diese dreifach, in die vom süßen Blütenduft geschwängerte Weite der Natur. Der Baggersee lädt in diesem Jahr schon im Wonnemonat Mai zum Baden ein. Bobby fühlte sich in den warmen Fluten pudelwohl und auch Robby schätzte das erfrischende Bad sehr. Beide Wasserratten schwammen sichtlich vergnügt um die Wette.

Doch dieses Mal entschließt sich Robby plötzlich umzukehren. Bobby folgt getreu seinem Wegbegleiter, der ihn noch nie in seinem fünfjährigen Hundeleben im Stich gelassen hatte und schnüffelt, scheinbar gelangweilt, an frischen Moosen und saftigen Gräsern.
In der letzten Nacht vor dem Abschied hat Robby kein Auge mehr zugekniffen und selbst die von ihm gefürchtete Mathearbeit aus seinem Gedächtnis gestrichen. Robby bleiben die Bisse der dick gebutterten Weißbrotschnitte förmlich im Halse stecken. Schon am gestrigen Abend hatte er kaum einen Happen verschlingen können – so sehr krampfte sein sturer Magen.
Bobby huscht durch die halb geöffnete Tür in den Flur. Er schüttelt sein Fell, breitet sich auf dem glänzenden Parkettfußboden aus und rollt sich wie eine Schnecke zusammen. Seine gebeugten Hinterpfoten kitzeln sanft das ruhig atmende Näschen. Zeitgleich hebt und senkt sich sein samtiges Fell. Einen winzigen Hauch später klinkt ganz sacht die Tür und Robby kommt zitternd in den Flur, um sich für die Schule fertig zu machen. Als er sieht, wie friedvoll still sein treuer Liebling atmet, wie ruhig sein warmes Herz unter seinem Fell pocht, heult er los wie eine Sirene. „Bobby, geh doch nicht fort, bleib doch bitte bei mir“, schlagen flehentlich schrille, weinerliche Töne aus seinem kleinen Spitzmausmund.
„Du wirst das schon überstehen“, versucht Vati, der gerade den Autoschlüssel aus einem der vielen Fächer des Wohnzimmerschrankes geholt hat, vergebens zu beruhigen. Viel zu tief hat sich unsäglicher Schmerz in das Innere seiner wunden Seele eingegraben. Mutti, die auch noch herbeigeeilt kommt, kann sich ein Leben ohne Bobby nie und nimmer vorstellen. Auch aus ihren dunklen Augen quillt ein nicht enden wollender Tränenfluss auf ihre blütenweiße schicke Bluse, als ihr sorgenvoller Blick Robbys tränenverquollene Augen und sein scharlachrotes Gesicht trifft. Zum letzten Mal fährt die sensible schmale Hand des kleinen Robby über das flaumige Fell seines geliebten Freundes, der bis an sein Lebensende in seinem klugen Gedächtnis haften bleiben wird.
Nur mit Mühe gelingt es ihm, letzte, gütige Worte des Abschieds aus seinem trockenen Mund herauszuquetschen: „ Machs gut, mein lieber Bobby.“ Robby hat jetzt genug. Der dichte Tränenschleier vor seinen Augen gibt nur noch ein verschwommenes Bild des Tieres wieder. Ergriffen flüchtet er in das Kinderzimmer, knallt die Tür hinter sich zu und im Trance registriert er nicht mal mehr ein letztes verzweifeltes Bellen des Hundes.
„Komm mit Bobby, sagt Vati trocken. Er öffnet die Tür und Bobby schleicht – seinem Herrchen blind gehorchend – durch den breiten Spalt. Was wird in diesen entscheidenden Sekunden in Bobbys Kopf sich nur abspielen?
Vati erträgt den Abschiedsschmerz mit Würde und Fassung. Mutti dagegen triefen die Tränen nur so aus dem schmalen Schlitz ihrer Augen, als auch sie im Tierheim, umgeben von wild bellenden gepeinigten Hunden, endgültig Abschied vom Familienliebling nehmen muss.
Robbys Seele ist innerhalb kürzester Zeit auf und davongeflogen.
In der Schule sackt er immer mehr ab und mit Ach und Krach schafft der ehemals sehr gute Schüler die Versetzung in die fünfte Klasse.


Im Traum gleitet Robbys Hand noch einmal geduldig über sein weiches Fell. Robby schwitzt. Er öffnet seine Augen, die anfangen zu zittern und bettelnd fleht er: „Komm doch zu mir, Bobby!" Doch ganz schnell holt ihn die reale Wirklichkeit ein. Bobby wird nie mehr bei ihm sein können, nur in der sauer aufstoßenden Scheinwelt bittersüßer Träume wird er wieder aufleben.
 

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