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TOPP, die Wette - Der Anfang...3

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© Ingrid Alias I   
   
EIERTANZ

Und als ob er ihren Blick gefühlt hätte, drehte der Kerl sich um und sah ihr voll in die Augen. Er grinste und kam auf sie zu, während sie wie gelähmt auf ihrem Stuhl saß. Nein, das konnte nicht sein. Wie kam er hierhin? Oder hatte er das arrangiert?
Wäre ihm zuzutrauen, dem Drecksack... Obwohl... Nein, es konnte nicht sein, das war höchst unwahrscheinlich, das war reiner Zufall. So anziehend war sie nicht, um so einen Typen zu interessieren... Obwohl sie manchmal ziemlich anziehend sein konnte.... Und wie lange war er schon da? Hatte er das Gespräch mitbekommen? Ach Quatsch, das interessierte ihn bestimmt auch nicht.
Er kam unaufhaltsam auf sie zu, beugte sich zu ihr herab, drückte ihr flüchtig einen Kuss auf die Stirn und sagte: "Hallo Irma!"
Irmas Mund stand leicht offen, sie glotzte ihn fassungslos an und sagte auch etwas ähnliches wie "Hallo". Fast wäre ihr dabei der Teller mit den Vorspeisen vom Schoß gefallen.
Aber schon drehte er sich weg, ging wieder zum Büffet, packte sich irgendwas auf einen Teller, gönnte ihr noch ein flüchtiges Lächeln - und verschwand im Haus.
"Huch, was war das denn?", fragte Anna erstaunt.
"Er ist Lehrer", antwortete Irma zerstreut. Und Anna, die wohl in dieser Aussage keinerlei Zusammenhang mit ihrer Frage erkannte, schaute sie verblüfft an.
Irma ignorierte die neugierigen Blicke, die Ralf, Anna und sogar Markus ihr zuwarfen. Wie sollte sie denen das erklären? Sie konnte es sich ja selber nicht erklären und es war besser, wenn sie nichts von dieser blöden Geschichte wussten.
Tatsächlich war sie ein wenig durcheinander, und das machte sie ziemlich fertig. Wie konnte das passieren? Sie hatte sich ja total von dem Kerl überrumpeln lassen. Peinlich, peinlich.
Ihre Freunde hielten jedenfalls die Klappe und ließen sie in Ruhe, während sie krampfhaft versuchte, ihre Unsicherheit in den Griff zu kriegen. Und es funktionierte einigermaßen. Irma dachte noch einmal nach und kam zu dem Schluss, dass seine Anwesenheit bestimmt Zufall war. Und darauf konnte sie sich einstellen. Die Stadt war nicht so groß, dass man sich nicht über den Weg laufen konnte. Wenn's aber kein Zufall war, dann würde sie das schon merken. Jetzt kannte sie ihn ja und würde nicht mehr auf ihn reinfallen - und auf seinen Charme auch nicht, falls er den raushängen lassen sollte.
Und wenn, dann wollte er sowieso nur das eine. Okay, das wollte sie auch, sie wollte unbedingt wissen, wie er im Bett war. Wenn er so gut war, wie er aussah, dann war es bestimmt überwältigend. Aber nein, die meisten gut aussehenden Männer benahmen sich im Bett wie elende Stümper. Sie hielten es wohl nicht für nötig, ein bisschen was für die Frau zu tun. Irma musste kichern. Anna schaute sie befremdet an, aber Irma bemerkte es gar nicht, sondern dachte weiter nach: Bernie sah ja auch gut aus, auf eine massive Weise irgendwie, aber im Bett? Heiliger Strohsack! Nur das eine, nämlich rein-raus, und er fand das auch noch normal! Aber Chris traute sie mehr zu. Falls er sie überhaupt wollte, es waren ja so viele hübsche Frauen hier, und er hatte die freie Auswahl...
Aber es war aufregend, die Party war Klasse, das Leben war toll, und eine halbe Stunde später wanderte Irma ins Barzimmer, um sich noch ein Glas Rotwein zu genehmigen. Und um weiter zu überlegen.
Warum überlegte sie überhaupt? Alles war normal, es war Zufall, dass er hier war, und er wollte bestimmt nichts von ihr. Trotzdem sah das Leben auf einmal verheißungsvoll aus, das Blut floss ihr schneller durch die Adern und sie spürte es förmlich rauschen.
Aber sie musste aufpassen, sie durfte nicht offenkundig nach ihm Ausschau halten, sie würde einfach so tun, als ginge sie das gar nichts an. Und es ging sie ja auch gar nichts an.
Sie goss sich noch ein Glas ein und sah aus den Augenwinkeln, dass Chris gerade hereingekommen war, zusammen mit einem Typen, den sie flüchtig aus dem E-body kannte. Die beiden unterhielten sich angeregt, und Irma schlenderte lässig an ihnen vorbei.
Es sollte schließlich nicht so aussehen, als ob sie vor ihm weglaufen würde. Aber sie musste sich das gut einteilen, mal einfach dableiben und mal einfach abhauen, wenn sie sich über den Weg liefen. Also ganz normal handeln...
Und vor allem musste sie sich von anderen Männern fernhalten. Denn irgendwie hatte sie das Gefühl, als sähe Chris das nicht so gerne, eingebildet und arrogant wie er war. Gut, er hatte sie mit Ralf gesehen, aber Ralf zählte nicht als Mann, obwohl er objektiv gesehen gar nicht schlecht aussah. Und er war der netteste Kerl überhaupt, aber leider war er gar nicht ihr Typ.
"Hallo Irma, mein Schatz!" Eine dunkle Stimme schreckte sie auf. Oh nein, Bernie! Sie war voll in ihn hineingelaufen. Hoffentlich hatte Chris das nicht gesehen.
Sie packte Bernie beim Ärmel und versuchte, ihn unauffällig aus dem Barzimmer zu lotsen. Aber Bernies massige Gestalt war nicht so einfach wegzulotsen, es war so, als versuchte man, einen schweren Sack Kartoffeln irgendwohin zu schleppen.
"Was ist denn los mit dir?", zischte sie ihn leise an. "Und seit wann bin ich dein Schatz?"
"Ich glaube, ich liebe dich, Irma", Bernie lallte ein wenig. Er hatte vermutlich schon reichlich gesoffen, und wenn er so weitermachte, würde er bald in einer Ecke liegen und schnarchen, und dann hätte sich das Problem gelöst. Mein Gott, bin ich gemein, dachte Irma.
Aber tatsächlich wusste sie nicht mehr, warum sie jemals Gefühle für Bernie gehegt hatte. Mittlerweile argwöhnte sie, dass sie ihren Ex damit ärgern wollte, indem sie mit seinem besten Freund rummachte. Tja, so musste es wohl gewesen sein. Und hoffentlich hatte Chris nichts von diesem Spielchen mitbekommen...
"Sprich doch noch ein bisschen lauter! Da hinten haben sie dich noch nicht gehört!"
Irma warf unauffällig einen Blick hinter sich - und schaute Chris voll in die Augen. Er grinste.
Hilfe, wie peinlich! Sie verzog das Gesicht zu einem nichtssagenden Lächeln, jedenfalls sollte es so aussehen wie ein nichtssagendes Lächeln, aber es geriet wohl eher zu einer Grimasse.
"Du spinnst doch!", sagte sie zu Bernie. Sie ließ ihn einfach stehen und marschierte aus dem Zimmer heraus.
Und plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie vor ein paar Wochen zu Chris gesagt hatte, nämlich: Jeder der mit mir schläft, verliebt sich in mich! Ha! Jetzt konnte der Blödmann mit eigenen Augen sehen, dass es stimmte. Na ja, ein bisschen stimmte. Manchmal...

Ein paar Stunden später hat sich die Lage nicht groß geändert.
Was für ein Eiertanz. Man geht sich aus dem Weg, behält sich aber trotzdem im Auge. Sehr seltsam, aber aufregend.
Einmal sieht sie ihn zufällig mit einem Pärchen herumstehen. Aber es ist in Wirklichkeit gar kein Pärchen, die pennen nur ab und zu miteinander. Und Olivia ist so ziemlich die größte Schlampe überhaupt, die geht mit jedem ins Bett, aber sie ist eine Schönheit und sieht außerdem noch interessant aus. Sie hat eine bestimmte Masche, Männer anzumachen, nämlich sich hilflos hinzustellen und aus ganz großen Augen zu glotzen... Total bescheuert, aber es wirkt immer. Auch jetzt sieht sie so hilflos aus, und ihre Augen kullern fast aus ihrem hübschen Gesicht. Wen will sie wohl anmachen?
Na wen wohl? Irma muss ein Lachen unterdrücken.
Das Objekt von Olivias Begierde kümmert sich absolut nicht um sie, aber Irma wettet, dieser Schweinehund registriert jeden Blick, den eine Frau ihm zuwirft. Oder wie in diesem Falle nicht zuwirft...
Hach, ist das schön und aufregend. Irma greift sich Freund Ralf, sie gehen ins Tanzzimmer und inspizieren die CDs. Aber da ist wirklich nix Gescheites dabei, nur Stones, Roxy Music und Trini Lopez. If I had a hammer... Und ein bisschen was aus den Achtzigern, Tears for fears, Billy Idol.
Karel, der Wirt torkelt herein. Mann, ist der besoffen! Und er ist anscheinend aggressiv wie ein alter gereizter Elefant. Irma schwant Böses. Die Party wird wohl nicht mehr lange dauern, denn wenn Karel in diesem Zustand ist, legt er sich mit den eigenen Gästen an, beleidigt sie, droht ihnen Schläge an - und sogar Lokalverbot, was natürlich viel schlimmer ist.
Leider hat sie Recht. Die Stimmung ist versaut, die ersten Gäste verlassen die Party. Und es gehen immer mehr, bis schließlich nur noch ein paar Leutchen übrig bleiben.
Och schade, das ist ja wohl gelaufen. Und wo ist Maja abgeblieben? Wahrscheinlich ist sie frustriert ins Bett gegangen, denn wenn ihr Göttergatte Karel diesen Zustand erreicht hat, dann kann ihn niemand mehr beeinflussen, geschweige denn besänftigen. Arme Maja, denkt Irma. Scheiß Saufen! Obwohl, sie hat selber auch ganz schön zugelangt heute Abend und ist deswegen, hupps, auch ganz schön angeschickert.
Aber sie will nicht, dass die Party vorbei ist! Was kann sie tun, damit die Party nicht vorbei ist?
"Wir könnten zu mir gehen." Huch, was sagt sie da? Aber jetzt hat sie es gesagt und muss dazu stehen. Und vielleicht...
"Ich komme mit. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast", sagt eine Stimme, die sie irgendwie kennt. Und der Besitzer dieser Stimme ist, na wer wohl? Ja! Es ist Chris!
Er hat ihre Worte mitbekommen. Sonderbar, sonderbar, aber vielleicht war er gerade in der Nähe. Und es ist gut, es ist sogar saugut, dass er mitkommt. Vielleicht hat sie es ja nur gesagt, damit er mitkommt, denn wenn er nicht mitkommen würde, wäre alles andere schal und langweilig.
Sie lächelt ihn an und sagt lässig: "Was sollte ich dagegen haben." Und denkt bei sich: Konsequenz, dein Name ist nicht Irma...

Nächster Teil: ZUHAUSE BEI IRMA
 

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