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Der Esel und der Josef

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©  rosmarin   
   
Der Jungbauer Josef aus Niederbayern hatte sich in Schale geworfen. Der Gamsbart wippte lustig auf seinem grünen Hütchen. Stramme Waden steckten in frisch geglänzten Schnallenschuhen, kräftige Hände schnippten die Hosenträger mit den Edelweißen nervös hin und her.

Ungeduldig wartete der Josef auf seine Verlobte, die schöne Melanie, die in der Stadt Arbeit gefunden hatte. Sechs lange Wochen war er schon von ihr getrennt. Das war einfach nicht mehr zum Aushalten. Wo sie doch sonst fast täglich zusammen gewesen waren. Vom Sonntag bis zum Freitag. Da hatten sie sich getroffen. In der Alten Mühle. Drunten am Bach. Und geliebt. Jeden Abend. Manchmal auch zweimal, bevor wieder jeder zu sich nach Hause eilte.
Ihre Eltern durften davon natürlich nichts wissen. Sie waren ja nicht verheiratet. Noch nicht. Also nicht im Stand der Heiligen Ehe. Und weil das Lieben unter diesen Umständen eine Sünde war, war am Freitag Schluss damit. Da gingen sie, wie alle Dorfbewohner, in die kleine Kirche am Ende des Dorfes und beichteten ihre Sünden.
Die Pause währte bis Sonntagmittag. Da bekamen sie die Hostie, die ihnen ihre Sünden vergab, und erst am Abend, nach der Sportschau, lief jeder aus einer anderen Richtung wieder zur Alten Mühle am Bach. Dort sammelten sie dann wieder ihre gemeinsamen Sünden bis zum nächsten Freitag.

Melanie, die schöne Braut, brannte ebenfalls vor Ungeduld. Sie wollte wieder nach Hause, ihren Josef umarmen und lieben. Und sie vermisste die Alte Mühle am Bach. Also hatte sie dem Josef ein Telegramm geschickt und ihn gebeten, sie am Bahnhof zu erwarten, was er ohnedies getan hätte.
Der Bahnhof war etwa eine Stunde Fahrt entfernt vom Dorf. So hatte Josef seinen Esel, dem die Bewegung auch gut tun würde, vor den Wagen gespannt und den Traktor in der Scheune stehen lassen.
Am Bahnhof angelangt, wartete er geduldig mit seinem Gespann. Doch der Zug kam und kam nicht. War er etwa schon weg. Oder würde er noch kommen?
Also machte er es sich auf dem Kutschbock bequem, schloss die Augen, träumte von seiner Melanie. Sehnsuchtsvoll stellte er sich einen der Tage von Sonntag bis Freitag vor und vergaß die Welt. Und die Ausbuchtung an einer gewissen Stelle seiner Hose verriet: Er war ein Mann mit Fantasie.
„Sakrament“, rief er und rieb heftig diese verräterische Stelle, „wann kommt das damische Weib denn endlich? Mich zerreißt 's fast. Die pack ich mir gleich unterwegs.“

Ein paar Frauen gingen im Gänsemarsch an dem Josef vorbei. Sie grüßten, schauten zu dem Esel und kicherten hinter ihren vorgehaltenen Händen. Das wiederholte sich einige Male.
Der Josef, der sich dieses ungebührige Verhalten nicht erklären konnte, stieg vom Wagen, guckte dahin, wohin die Frauen geguckt hatten, und erschrak.
Der Esel, was sollte er auch anderes tun aus Langeweile, war mit seiner Esligkeit aus der Haut gefahren und ließ nun das Zeugs ungeniert hin und her baumeln.
Da übermannte den Josef die Wut. Er gab dem Esel einen kräftigen Tritt in sein zitterndes Hinterteil und schrie:
„Du verdammter Saukerl. Miserabler. Hast du das Telegramm bekommen? Oder ich!“


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http://www.webstories.cc 23.04.2024 - 13:17:36