... für Leser und Schreiber.  

Baumgedanken

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©  Tis-Anariel   
   
“Folgst du fremdvertrauten Pfaden
durch das Schattenlicht der Bäume.
Wirst du es auch einstmals wagen
folgst du den Wegen deiner Träume?”



Stark, so sind wir, der selben Wurzel entsprossen, so scheint es.
Nur im heftigsten Sturm, aneinandergelehnt, stützen wir uns, scheinbar.

Der Schein trügt.
Denn wir sind nicht aus dem selben Holz.
Meines ist hart und deines so weich.
Im heftigen Sturm, lehnst du dich auf mich und ich breche fast dabei. Doch meine Wurzeln sind stark, stärker als deine. Viele Jahre habe ich dich gerne gestützt und dich in meinem Schatten beschützt. Doch so kann es nicht für immer sein. Schon spüre ich die Zeit, wie sie an mir, an meiner Rinde nagt und erbarmungslos Spuren hinterlässt. Ah, hab keine Angst kleiner Bruder, noch bricht mich kein Sturm, doch du, du wirst mir nun zu groß. Du musst nun alleine stehen, nicht länger kann ich dich stützen. Wann immer du dich trotzdem an mich lehnst, stoße ich dich nun von mir. Auch wenn dich das verletzt, es ist gut für dich. Deine Wurzeln müssen stark werden, ebenso stark wie meine.

Weitere Jahrzeiten kommen und gehen, reihen sich aneinander und nur noch manchmal, in denn allerschlimmsten Stürmen lehnen wir aneinander und stützen uns. Gleichwertig schon bald, denn du wirst immer stärker.
Einige meiner Äste jedoch sind schon morsch, Moos wuchert auf meiner Rinde.
In einer Astgabel hat sich eine Höhle gebildet und eine zweite liegt weiter höher in meinem Stamm. Letztere hat ein Specht gezimmert, der mich auch von den Insekten, die in dem feuchten Sommer so zahlreich unter meine Rinde krochen, befreit hat. Jedes Frühjahr, wenn der weiße Schnee endlich schmilzt und die Säfte wieder fließen, da beziehen Vögel diese Höhlungen. Sie bauen darin ihr Nest, brüten ihre Kücken aus und ziehen sie groß. Jedes Jahr freue ich mich über das Lied der Eltern und über das winzige Leben, dass da geborgen in meine Stamm aus seinem Ei kriecht und langsam wächst. Wenn die Winzlinge endlich, beinnahe flügge aus ihrem nunmehr engen Zuhause klettern und tollpatschig in meinen Ästen herumflattern, dann kann ich oft nur lachend meine Blätter schütteln.
Aber ich gebe nicht nur, ich bekomme auch. Denn die Eltern erjagen eine Vielzahl von Insekten in meinen Ästen oder verbreiten später dann, im Herbst meine Samen.
Wenn sie dann endlich fortfliegen, bin ich immer ein wenig traurig. Doch es warten schon andere Tiere, die für den Winter ein Versteck brauchen und schon bald darauf zieht eines davon ein.
Doch die Öffnungen lassen auch anderes hinein, immer tiefer graben sie sich in mein Holz. Die Zeit nagt unerbittlich an mir und sie lässt dich groß und stark werden. Längst schon hast du mir verziehen, dass ich dich von mir stieß. Nun weißt du ja, dass es zu deinem besten war und zu meinen ebenso.
Und tatsächlich hast auch du schon Gäste im Sommer und im Winter, die Zuflucht zwischen deinen Zweigen finden. Ich bin stolz auf dich, mein kleiner Bruder. Du bist so groß und stark geworden und nun bin ich es, die ich mich manchmal an dich lehnen, mich auf dich stützen muss, wenn der Sturm mir zu heftig wird. Die Zeit hat sehr an mir genagt, doch noch sind meine Wurzeln stark, nur der Stamm ist etwas mürbe geworden.

Weitere Jahrzeiten vergehen, die Zeit nagt weiter, hinterlässt ihre Spuren auf allem was ist. Die Höhlung in meinem Stamm, in der einst Singvögel brüteten ist nunmehr groß genug um einer Eule Platz zu bieten. Sie bleibt nun schon den dritten Sommer. Doch nun naht der Herbst, wir lassen unsere Blätter fallen. Die ersten Stürme toben über das Land und ich, ich muss mich nun immer öfter an dich lehnen. Doch meine Wurzeln sind noch immer stark und mittlerweile so gänzlich mit den deinen verflochten, so dass sie sich nicht mehr wirklich trennen lassen. Nun entspringen wir doch den selben Wurzelgeflecht.
Dieser eine Herbst verlangt mir vieles ab und dann geschieht es. Der letzte der großen Stürme reißt mir einen meiner größten Äste ab.
Diese Verletzung macht mir zuerst gehörig zu schaffen, doch schon bald fließt mein klebriges Blut und verschließt die Wunde langsam. Bald schon geht es mir wieder besser.
Wir fühlen keinen Schmerz, zumindest nicht so wie Tiere oder Menschen. Wir nehmen aber etwas damit vergleichbares wahr. Bei kleineren Verletzungen spüren wir so gut wie gar nichts, auch wenn man uns zuschneidet können wir einigermaßen ertragen, doch leider geben sich viele Menschen damit nicht zufrieden. Manch einer von uns wurde regelrecht von ihnen verstümmelt und das Geräusch ihrer Motorbetriebenen Sägen versetzt uns alle in Angst und Schrecken.
Du machst dir Sorgen um mich wegen dem abgerissen Ast, doch gerade das war der Schwachpunkt, der mich langsam krank gemacht hat. Damals, in dem feuchten Sommer, als ich so von Insekten befallen war, da nahm gerade dieser Ast viel Schaden, der wohl nie mehr wieder ganz verwachsen konnte. Jetzt wo er weg ist, fühle ich mich besser. Mein Harz verklebt die Wunde bis sie zuwächst. Danach kann ich noch viele Jahrzeiten stehen und sein. Genau das erkläre ich nun auch dir, der du dich so sorgst um deine große Schwester.
So erleichtert begeben wir uns in die Winterruhe, denn wir schlafen im Winter die meiste Zeit, die Säfte fließen so langsam, darum. Nur an denn schönen sonnigen Tagen, da wachen wir zeitweise auf. Aber die langen dunklen Nächte, die verschlafen wir. Erst im Frühjahr, wenn die Säfte langsam wieder stärker fließen, werden wir wieder wacher. Auch wenn es noch viele Nächte friert und der Winter noch nicht wirklich fort ist.

Diesmal werde ich vor dir munter, mein kleiner Bruder, aber das liegt an meinem Alter.
Die Kälte hat das ihre dazugetan meine Wunde zu schließen. Rinde wird nie mehr darüber wachsen, aber das stört mich nicht. Ich bin froh, dass ich dieses auch noch überstanden habe und freue mich schon auf die kommenden Jahrzeiten mit dir, mein Bruder.
Tage darauf nehme ich erstaunt Menschen wahr, die mich betrachten. Ich ahne nichts gutes.
Meine Sorge vertieft sich, als mich Tage später eine Maus auf eine Farbige Linie auf meinen Stamm hinweist. Ich weiß was das bedeutet und du mein Bruder auch. Endlich bist auch du wach und ich erzähle dir von allem, was ich denke, dass du noch wissen solltest. Soviel Wissen in so kurzer Zeit weiterzugeben, das liegt uns nicht. Eigentlich hätte ich noch viele, viele Jahrzeiten dafür gehabt, doch nun läuft mir die Zeit davon.
Bald nach dem Besuch der Menschen erklingt das verhasste und gefürchtete Geräusch der Sägen. Sie dringen sogar in unsere Träume und so bleiben wir auch die Nächte wach, auch wenn uns das schadet. Aber so habe ich noch etwas mehr Zeit für dich. Mir wird klar, dass ich den Frühling wohl nicht mehr erleben werde, was mich sehr traurig stimmt. Für uns gibt es kaum eine schönere Jahrzeit.
Viel zu schnell nähert sich das schreckliche Geräusch und bald sind die Menschen und ihre Sägen ganz nah. Die Zeit ist gekommen. Eine letzte Nacht sprechen wir und lehnen uns sacht aneinander, so wie damals, als du noch kleiner warst als ich.
Ich bin so stolz auf dich mein lieber, kleiner Bruder. So wunderschön groß und stark bist du geworden und deine Wurzeln fast noch stärker als die meinen. Ich hoffe, die Menschen lassen sie in der Erde, damit sie dir nicht auch noch damit schaden.

Der Morgen graut und mit dem Licht kommen die Männer und ihre Sägen. Ich verabschiede mich traurig von dir und versuche, was jeder von uns versucht, wenn er sein Ende so deutlich kommen sieht. Ich versuche alle meine Säfte, mein Sein, meinen Geist hinab in die Wurzeln zu ziehen.
Plötzlich werde ich ganz ruhig, bin völlig auf mein Zentrum konzentriert und die Welt draußen beginnt zu verschwimmen. Ich spüre wie sie die Säge ansetzen und nehme wahr, wie der kalte Stahl sich grausam durch Rinde und Holz frisst. Langsam verdunkelt sich alles, ich spüre meine Stamm instabil werden. Eine seltsame Art von Losgelöstheit ergreift mich und stillt den Nichtmenschlichen Schmerz, der mich erfüllt. Ich höre deine Rufe noch, dein verzweifeltes Weinen und auch die Menschen und ihr raues Gelächter. Sie hören uns nicht, könnten sie es, dann würden sie vielleicht nicht lachen.
Doch das kümmert mich nun auch nicht mehr, um mich herum wird alles dunkel und still.
Ich bin nicht mehr und bin doch noch irgendwie. Geborgen fühle ich mich, egal wo ich nun bin.
Wie lange ich dort verweile, dass weiß ich nicht.

Dann plötzlich, wie aus dem Nichts durchfährt mich eine hell gleißende Kraft, eine wundervolle Energie. Sie durchschneidet die Dunkelheit um mich. Es fühlt sich ganz ähnlich an wie damals, als ich noch ganz zart und winzig war. Als ich mit meinem allerersten Trieb die Erde durchbrach und meinen ersten Sonnenstrahl erfuhr.
Danach ist es wieder dunkel um mich, doch die Kraft hat einen Spalt geschlagen zum Licht und ich folge meiner Natur und treibe hinaus zum Licht. So wie damals, mit dem ersten Trieb und denke nicht dabei.
Es vergeht eine Zeit, in der ich nur meiner Natur folge und meine Umwelt nicht wirklich wahrnehme, so wie damals, als ich winzig war. Doch auch diese Zeit hat ein Ende, nachdem ich weit genug getrieben bin um genügend Licht zu bekommen, mache ich mich daran meine Umwelt wieder zu erfahren und staune. Denn alles ist so groß und ich so klein. Verwirrung streift mich, doch dann höre ich dein frohes Lachen, Bruder.
Da erst erkenne ich, dass ich noch am selben Ort bin. Ich bin gefallen, und doch nicht gefallen. Ich habe es geschafft meinen Geist ins Wurzelwerk zu ziehen und bin nun aus meinen eigenen Stumpf neu gesprossen. Staunend nehme ich dich wahr meine Bruder, denn nun bist du der große und ich die Kleine. Nun bin ich es, die Schutz bedarf.
Doch ohne die fremde Kraft hätte ich wohl nicht geschafft neu zu treiben und wäre so doch noch vergangen. Aber woher kam sie, diese Kraft?
Viele Tage später erschließt sich auch dieses Rätsel, als eine Menschenfrau vorübergeht und dann staunend stehen bleibt. Frohmut, und Erfreuen fließt aus ihrer Gegenwart und lässt mich selber froh werden. Sanft streicht ihre weiche Hand über die noch glatte Rinde meines neuen, noch so schlanken Stammes und ihr entströmt sie, die selbe Kraft, die mich in der Dunkelheit erreichte. Sanfter diesmal, aber unverkennbar die selbe. Und plötzlich weiß ich, dass ich auch dich Mensch wiederkennen werde, solange ich existiere, egal in welchen Körper du steckst und du Mensch, du wirst mich ebenso wiedererkennen. Einen Teil der eigenen Kraft hast du gegeben einen gefällten Baum zu retten. Für immer wirst du Menschenfrau eine Schwester der Bäume sein, meine Schwester sein. Ich glaube das weißt du, als du dich abwendest und weitergehst.

Auch du, mein Bruder erkennst dies an. Dankbar rufst du ihr nach, doch ob sie dich hört, dass wissen wir nicht. Froh summst du mir nun das selbe Lied, das ich einst dir gesungen, als du noch klein gewesen bist. Ich fühle mich geborgen und beschützt von dir, dessen Wurzeln mit meinen eigenen so sehr verflochten sind.

Wir sind nicht aus dem selben Holz und dennoch Bruder und Schwester.
Nur im heftigsten Sturm, aneinandergelehnt, stützen wir uns.
Stark, so sind wir, dem selben Wurzelwerk entsprossen.



©Anariel 22.10.09
 

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