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Crysella und der Schwarze Mond/ Kapitel 9

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©  rosmarin   
   
9. Kapitel
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Noch ganz benommen erzählte Crysella Gabi das eben Erlebte.
„Ich dachte, es sei ein Traum“, sagte sie verwirrt. „Aber es ist wohl doch die Realität. Immer in den Vollmondnächten erlebe ich die unglaublichsten Dinge.“
„Du hattest ja schon immer ein Rad ab“, erwiderte Gabi. „Aber das geht zu weit.“
„Es ist wahr“, beteuerte Crysella. „Lilith war dabei.“
„Jetzt ist ja wohl alles zu spät“, entrüstete sich Gabi. „Wer ist denn Lilith nun schon wieder?“
„Meine Doktorarbeit. Du weißt doch.“
„Ach, ja. Aber was hat die mit dem Quatsch zu tun?“
„Sie ist im Spiegel.“
„Nein. Echt?“, spottete Gabi.
„Sie verfolgt mich. Und bestimmt schickt sie mir auch diese irren Träume.“
Crysella war wütend und traurig. Traurig über sich, weil sie ja offensichtlich tatsächlich nicht mehr in der Lage war, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Genau, wie die Hexe Vanessa es gesagt hatte. Und wütend über Gabi, die ihr nicht glaubte. Sie bereute, ihr von ihrem nächtlichen Vollmonderlebnis erzählt zu haben. Es war doch zwecklos. Seit sie ihr von Seth, ihrem Nachtgemahl, berichtet hatte, hielt sie sie für die größte Spinnerin aller Zeiten.
„Das spielt sich alles nur in deiner kranken Phantasie ab“, sagte sie jetzt und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Behalt in Zukunft deine Schauermärchen für dich. Ich bin nämlich schwanger.“

Schwanger? Gabi. Das durfte nicht sein. Nicht jetzt. Wo Lilith, dieses Nachtgespenst, aufgetaucht ist und sie verrückt macht. Sie würde das Kind töten, wenn es nicht durch das Amulett geschützt ist. So, wie sie es geschworen hatte, nachdem jeden Tag Hunderte ihrer Kinder sterben mussten, weil sie nicht zu Adam zurück kehren wollte. Die Namen der drei Engel, die ihr diese Botschaft überbrachten sind: Sanvai, Samsanvai und Semangloph. Sie brauchten unbedingt ein Amulett mit diesen Namen.
Aber wie sollte sie das Gabi erklären, die sie sowieso schon für verrückt hielt.
„Nur, weil es dir in deiner Drogenkarriere auch so ergangen ist, glaubst du mir nicht“, sagte sie trotzig.
„Ich habe ein wunderbares Doppelleben geführt“, lachte Gabi, „von dem du nicht die leiseste Vorstellung hast. Und dann, in der Klapper, haben die aus mir so einen blöden Mittelzombie gemacht. Stinke langweilig. Pass nur auf, dass es dir nicht auch so ergeht.“
„Ja, ja“, murrte Crysella, „ich pass schon auf. Ich bin doch nicht verrückt.“
„Man kann nie wissen.“
„Du gehst ja heute noch zu deinem Psychiater und würdest ihn, wie du mir immer wieder versicherst, als einzigen Mann auf der Welt sogar heiraten.“
„Würde ich auch.“
„Klaro. Aber ich bin ja in deinen Augen die größte Phantastin aller Zeiten. Nur weil ich ohne Tabletten und Alkohol diese Phantasien, die ja keine sind, habe.
„Ich bin schwanger. Hörst du? Schwanger.“
„Sagtest du schon.“
„Und?“
„Toll. Das freut mich aber. Etwa von Andreas? Deinem Sklaven.“
„Du bist nur neidisch. Schöne Freundin. Ruf mich an, wenn du dich eingeholt hast.“

Verwundert schüttelte Crysella den Kopf. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, Lilith zu sehen. Ihr Gesicht an ihres zu schmiegen, ihren Kuss zu empfangen, den Todeskuss, wie sie gesagt hatte. Schnell lief sie ins Bad.
„Niemand glaubt dir.“ Liliths schönes Gesicht lächelte ruhig aus dem Glas des Spiegels. „Wir sind für alle Zeiten miteinander verbunden.“
„Ich bin du.“ Crysella drückte ihre Lippen fest auf Liliths. „Das ist der Schwesternkuss. Und soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen?“
„Ich bin du.“
„Ich bin du.“

*

Es war Sonnabend. Crysella hatte ihren Großreinemachetag. Und gerade als sie sich für einige Minuten ausruhen wollte, klingelte das Handy.
„Drei Tage habe ich überlegt, ob ich dich überhaupt wieder anrufen sollte“, sagte Matthias. „Nachdem du mich so übel weggedrückt hattest.“
„Sorry“, erwiderte Crysella nicht gerade freundlich.
Der Albtraum erstand plötzlich vor ihrem inneren Auge. In all seinen Schrecken. Und sie hatte wahrhaftig keinen Bock, sich den im Traum erlebten Gefahren auszusetzen.
„Können wir uns sehen, Crysella?“
„Hm. Ich weiß nicht... “

„Ich freue mich.“ Oh, Gott. Lilith.

„Ich mich auch.“ Matthias’ Stimme hatte einen warmen, zärtlichen Klang.
Nach einigem Hin und her entschloss sich Crysella, Matthias am S-Bahnhof Pankstraße zu erwarten.
„Da hast du es nicht so weit“, sagte sie.
Doch schon bald bereute sie dieses Entgegenkommen. Denn sie wartete in Regen und Kälte fast eine viertel Stunde, ehe Matthias endlich auftauchte.
„Ich habe mein ganzes Leben noch auf keinen Mann gewartet“, wütete sie. „Ich wollte gerade gehen.“
„Da kann ich mir ja was drauf einbilden.“ Matthias nahm ihre Hand. “Entschuldige, aber ich stand so lange im Stau.“
„Angenommen. Aber lass es nicht zur Gewohnheit werden.“
„Oh, was hast du denn mit deinen Haaren angestellt? Das sieht ja süß aus.“
„Findest du?“
„Rot steht dir gut.“
„Ist Naturfarbe. Henna.“
Um Lilith ähnlicher zu sein, hatte sie die Haare gefärbt. Rot. Und Lilith hatte um dieses Geheimnis gewusst, als der Gedanke noch ein Geheimnis wahr. Wahnsinn.

Mit Matthias’ weißem BMW fuhren sie nach Steglitz. In der anderen Richtung war noch immer Stau. Kurz vor Matthias‘ Wohnung machten sie Halt, kauften im Spar zwei Flaschen Wein und schlichen dann, wie zwei Kinder, die einen Streich aushecken, die drei Treppen zu der Eigentumswohnung hinauf.
Schon im kleinen Korridor stellte Crysella fest:
Diese Wohnung ist von Brigittchen geprägt. Überall war die liebevolle Hand einer Frau älteren Jahrganges zu spüren. Freundlich, hell, verspielt, etwas verkitscht.
Alle Türen standen offen. Am besten gefiel ihr das Bad, in das sie jetzt neugierig blickte.
Das war Matthias‘ Reich. Herrlich romantisch. Kleine Nischen, eingebaute, hell geflieste Schränkchen, eine Stufe zur geschwungenen Badewanne. Diffuses Licht verbreitete eine warme, anheimelnde Atmosphäre.
In diesem Bad könnte man sich stundenlang aufhalten. Schon sah sie sich mit Matthias in der breiten Wanne liegen. Auf dem gefliesten Beckenrand verströmten ätherische Kerzen ihren betörenden Duft. Aus der Ferne erklang ihre geliebte Sethmusik. Verdammt. Schnell weg damit.
„Kommst du mit in die Wanne?“
Noch immer im Mantel stand Matthias im kleinen Korridor und sah sie unverwandt an.
„Nein, danke. Ich habe heute schon gebadet.“
„Ich auch. Im Krankenhaus. Doch ich bin schon wieder durchgeschwitzt.“
„Wieso das?“
„Wahrscheinlich vor Aufregung. Ich bin total aufgeregt, wenn ich dich nur ansehe. Wenn ich dich berühre, wie vorhin, als ich dir einen Kuss gegeben habe. Oder im Auto. Auf der Fahrt hierher. Da war es besonders schlimm. Ich bin völlig erregt. Mein Gott, dieses Gefühl. Ich hatte es schon eine Ewigkeit nicht mehr.“
„Du wolltest doch keine Gefühle investieren“, erinnerte Crysella rachsüchtig.
„Wollte ich nicht. Doch was kann ich dafür.“ Matthias lächelte schuldbewusst. „Sie sind einfach da. Immer und überall habe ich dich vor mir gesehen. Deine Stimme gehört. Deine Augen vor mir gesehen. Und dann diese Träume. Völlig verrückt. Ich habe Dinge mit dir angestellt, über die ich nicht zu sprechen wage. “
„Wüste Träume?“
„Wüste Träume.“ In Matthias‘ Augen brannte ein unheimliches Feuer. „Träume, die deine Existenz in mir ausgelöst haben. Begierden, die auch des Tags nicht weichen.“
„Was wird nur Brigittchen dazu sagen.“
„Ist mir egal. Ich will dich. Jetzt gleich.“
„Nur nicht so stürmisch“, wehrte Crysella Matthias ab, als er auf sie zukam. „Ich möchte erst etwas trinken.“
„Erst?“
„Ja, erst.“
„Du kannst dich ins Wohnzimmer setzen.“
„Wie freundlich.“

Crysella setzte sich ins Wohnzimmer auf die helle Eckcouch. Davor stand ein kleiner, viereckiger Glastisch mit verchromten, runden, dünnen Beinen. Darauf lagen zwei goldfarbene ovale Deckchen. Auf dem linken ein künstlicher Blumenstrauß. Daneben einige Zeitschriften.
Neugierig schaute sie sich weiter um, während sie ab und zu einen Schluck Wein aus dem antik geformten Kristallglas trank, das Matthias auf den Tisch gestellt hatte.
An der Wand der Couch gegenüber stand eine weiße Anbauwand mit schwarzen Griffen an den Türen. Aus einer Glasvitrine glänzten allerlei neckische Nippes.
Links neben der Zimmertür standen Fernseher, Musikanlage.
Vor dem sauber geputzten Fenster, hinter dem ein Balkon mit üppig blühenden Pflanzen sichtbar war, stand ein auf alt getrimmter weißer Puppenwagen mit blauen Spitzenvolants. Und auch die Kissen in dem weißen Wägelchen waren blau gerüscht. Die Porzellanpuppe mit ihren blonden Locken und den blauen Kulleraugen war ganz in gerüschte weiße Seide gekleidet.
Das muss sie Gabi erzählen. Crysella lächelte boshaft. Kann sie sich ja in Groß kaufen. Und darin schwelgen. Sie hatte plötzlich ein seltsames Gefühl. Sah wieder das Amulett mit den drei Engelsnamen vor sich. Sie würde es anfertigen lassen und Gabi bitten, bei der Geburt des Kind zugegen sein zu dürfen. Das Übrige würde sich dann schon finden. Hauptsache, dem Kind passiert nichts. Irgendwie war sie neidisch auf Gabis Schwangerschaft. So gern hätte sie selbst ein Kind. Ein süßes Baby. Etwas, das sie ihr Eigen nennen konnte. Einen angenehmen Zeitvertreib, wenn Ricardo auf Reisen war. Aber leider hatte es ja bisher nicht geklappt. Mit Will natürlich auch nicht. Doch da war auch der Wunsch noch nicht da. Doch jetzt, in diesem Moment, war er übermächtig. Es wäre so schön, endlich auch Mutter zu werden. Das würde ihrem Leben einen ganz neuen Sinn geben. Vielleicht würde sie dann mit Gabi auf einer Bank sitzen und den süßen Kleinen beim Buddeln zuschauen. Und sie brauchte nicht mehr zu schreiben, zu recherchieren und ihrer Karriere hinterher zu rennen. Ach, ja. Verstohlen wischte sie über ihre Augen.
„Alles Träume“, flüsterte sie. „Der Scheißkerl hat mich ja verlassen.“
Plötzlich fiel ihr Seth ein. Ihr Nachtgemahl. Auch so ein Phantom. So ein Unsinn. Träume. Aber es war doch immer so real. Wie Lilith. Sollte es sie etwa in echt auch nicht geben? Alles Unsinn. Jetzt war sie hier. Und Matthias war real. Klar. Vielleicht könnte er sie schwängern. Aber, nein. Der hatte doch Brigittchen.

Dicht vor der Balkontür stand ein runder, brauner Tisch. Davor drei altneue braune Holzstühle. Daneben ragte ein weißer Deckenfluter. An der Decke hing ein winziger Kristallleuchter.
Den Fußboden der ganzen Wohnung bedeckte ein hellbrauner Spannteppich, einen kleinen, bunten Teppich gab es nur im Flur.

Matthias stellte den Wein und ein zweites Glas auf das Golddeckchen, schenkte den Wein ein, setzte sich dann neben Crysella.
„Auf uns.“
„Auf uns.“
Matthias nahm seine Brille ab. Feuerfünkchen funkelten im Blau seiner undurchsichtigen Augen.
„Komm, wir gehen ins Schlafzimmer.“ Matthias zog Crysella von der Couch. „Komm. Bitte. Es muss sein. Wir wollen es doch beide.“
So ganz angenehm war es Crysella allerdings nicht, so ohne weiteres in einem fremden Schlafzimmer zu landen. Sex zu haben. In einem fremden Bett. Vielleicht war es ja noch warm von Brigittchens Körper.
Hohe braune Schränke umrahmten das breite Bett. Darüber protzte ein großer Spiegel.
Verführerisch schmiegte sich Crysella in die weichen Satinkissen. Ließ wie zufällig ihren schwarzen Mini noch etwas höher rutschen.
„Du bist ein Biest“, sagte Matthias.
„Na und?“
Crysella hielt seinen Schmachteblick fest, spreizte leicht ihre Beine, so dass er den Spitzenrand ihrer Strümpfe sehen musste.
Unter diesem Spiegel würde sie ihn lieben. Matthias. Den Erdenmann. Matthias und sie. Nackt. Auf dem breiten Bett. Im Spiegel ihre verschlungenen Körper. In Wollust sich aufbäumend. Wieder und wieder. Und Lilith würde sie stöhnen hören. Wie damals. Auf den weißen Wattewolkenbergen mit Ricardo. Doch diesmal wollte sie sie nicht festhalten. Nicht wieder versinken in bodenloser Tiefe. Dunkler Nacht. Einsam erwachen auf ihrem Bett. Diesmal war alles echt.
„Du machst mich völlig verrückt. Kleine Hexe.“
„Mach ich?“
„Ich kann nicht mehr warten.“
Matthias löste sich aus seiner starren Haltung. Schwang sich mit einem Satz auf das Bett. Im gleichen Moment sprang sie vom Bett. Posierte in der Pose einer Wildkatze auf allen Vieren vor ihm. Soll er nur um Gnade winseln. Sie würde sich beherrschen können. Damit ihre Lust, ihr Begehren, ins Unermessliche steigern. Den Verstand auslöschen. Verbannen ins Reich der Dämonen. Gefühl wollte sie. Nichts als Gefühl. Ertrinken im Taumel der Lust. Wie auf den Wattewolken mit Ricardo.
„Der Spiegel musste randvoll sein. Damit Eros wachsen kann.“ Und wie er wachsen sollte.
Matthias rutschte über das Bett. Hinunter zu den Füßen der Wildkatze. Umarmte sie stürmisch. Hungrig suchten seine Lippen ihren Mund.
„Noch nicht.“ Sanft wehrte Crysella Matthias ab. „Die Vorfreude ist die größte Freude.“ Sie stand auf. Zupfte ihren Mini zurecht. Ein Computer auf dem viereckigen Tisch in der Ecke vor dem Fenster hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. „Hier schreibst du also deine Doktorarbeit.“ Sie nahm einige der lose aufeinander liegenden Blätter in die Hand.
„Ja, hier.“ Mit schnellen Schritten war Matthias neben ihr. „Aber lass bitte alles so, wie es ist.“
„Das kannst du im Schlafzimmer? Ohne Ablenkung?“
„Mit dir könnte ich es natürlich nicht.“
Matthias legte die Blätter wieder auf den Stapel.
„Wie schmeichelhaft.“
Sacht berührte Crysella Matthias’ weiche Haut am Hals, spürte mit Genugtuung sein Erzittern, sein mühsam unterdrücktes Begehren.
Er zog gerade ein kleines Fach des Schreibschrankes auf. Zum Vorschein kam ein Päckchen Kondome.
„Nimmst du die Pille?“
„Nein.“
„Dachte ich mir.“
„Wieso?“
„Du siehst so aus.“
„Brauchst du die Verhüterli etwa für Brigittchen“, spottete sie. „Denke, sie ist schon älter. Oder bist du ein notorischer Fremdgeher. He.“
„In Spanien“, erwiderte Matthias, ohne auf ihre Anspielung einzugehen, „haben wir ein Häuschen, direkt am Meer.“
„Wie schön für euch.“

Mit einem Ruck zog Matthias Crysella etwas unsanft auf den Boden. Seine Zunge öffnete ihre Lippen, drang tief in ihren Mund. Ein Beben fuhr durch ihren Körper. Alle Poren öffneten sich bereitwillig. Die Schleimhäute füllten sich mit Blut. Das Pulsieren in ihrem Schoß verstärkte sich unaufhaltsam. Aufstöhnend fieberte sie dem Sexerlebnis mit Matthias entgegen. Nur Sex. Jedes Mehr strich sie rigoros aus ihren Gedanken. Sex als pure Lusterfüllung. So, wie Matthias es ihr vorgeschlagen hatte. Willig hob sie die Arme, als er versuchte, den durchsichtigen, kurzen Top über ihre zerzausten roten Locken zu streifen.
„Gehst du in diesem Ding mit deiner Freundin aus?“
„Ja. Warum?“
„Da kann man ja sehen, was darunter ist.“
„Und was ist drunter?“
„Diese Brüste!“
Matthias hielt den Top in seinen zitternden Händen, ließ ihn fallen, streichelte zärtlich über Crysellas volle Brüste, streifte dann den Mini über ihre schlanken Hüften.
„Das sind halterlose Strümpfe“, klärte sie ihn scherzhaft auf. „Es ist ein total geiles Gefühl, wenn man läuft und das kleine Stückchen Fleisch zwischen Strumpf und Slip beim Gehen aneinander reibt.“
„Oh, reibt“, flüsterte Matthias, „du machst mich verrückt. Es ist ein wahnsinnig geiles Gefühl, wenn ich das sehe. Wenn ich das küsse.“
Leidenschaftlich berührte er das schmale, unbedeckte Stückchen Fleisch zwischen Strumpf und Slip mit seinen Lippen. Rechts, links. Rechts, links. Befreite dann Crysella ungeduldig von dem Nichts von Slip, streichelte mit seiner Hand leicht über ihre feuchte Scham und legte sie unter tausend Küssen auf das Bett.
Das Kaltspiel hatte lange genug gedauert.
Lustvoll spürte crysella Matthias‘ Kopf zwischen ihren Schenkeln.
Da klingelte das Telefon.
„Ich geh nicht ran“, flüsterte Matthias. „Ich kann jetzt nicht. Ich will dich.“
„Und wenn es Brigittchen ist?“
„Auch dann nicht.“
Es war Brigittchen.
„Wo steckst du denn nur?“, tönte eine klangvolle Stimme aus dem Anrufbeantworter. „Ich habe schon öfter angerufen. Aber du bist nie da. Und dabei machst du dir immer solche Sorgen um mich.“
„Machst du?“
„Muss ich. Sie ist schon ein bisschen tuddelig.“
Crysella schaute auf die beiden Kleider im Hängerstil, die am Schrank hingen, und dachte: ‚Ein bisschen pummelig wahrscheinlich auch‘. Ihr war alles vergangen. Als Matthias mit seinem Liebesspiel fortfahren wollte, sprang sie auf.
„Ich habe genug“, sagte sie kalt. „Ich bin nicht mehr in Stimmung. Und die blöden Kondome hätte ich sowieso nicht gewollt.“
Wütend verschwand sie im Bad.
Matthias kam mit einem großen weißen Handtuch nach, um sie abzurubbeln.
„Du bist wunderschön.“ Er küsste sie auf den Bauch. „Wie hast du es am liebsten?“
Fragen alle Männer das Gleiche? Ist wohl eine Standardfrage. Gehört vielleicht zu einem Buch - Wie befriedige ich eine Frau. -
„Finde es raus“, sagte sie.
Matthias trug Crysella wieder zum Bett, und sie erlaubte ihm, noch ein Weilchen in ihr zu spielen.
Später hatten sie Hunger. Sie duschten, kleideten sich an und fuhren chinesisch essen. Sie Seelachsfilet Peking. Dazu gab es Wasser und Pflaumenwein. Matthias aß Hühnchenfilet Peking. Dazu trank er ein großes Weizenbier.
Zwischendurch erzählten und lachten sie ungeniert. So erfuhr Crysella auch etwas über Brigittchen.

Es war einmal eine große Liebe. Eine Liebe wie im Märchen. Matthias war dreiundzwanzig, als er Brigitte kennen lernte. Sie vierzig. Er kam aus dem Osten. Sie wohnte im Westen. Sie kannte alles, wusste alles. Er setzte sein unterbrochenes Medizinstudium fort, nachdem er zu ihr gezogen war. Eine wilde Zeit begann. Nächtelang zogen sie um die Häuser.
Brigitte ließ sich für Matthias scheiden.
„Ihr Ex lädt uns noch manchmal zum Essen ein.“
„Liebst du sie?“
„Ja“, erwiderte er nach kurzem Zögern, „ich liebe sie, noch immer, sie braucht mich.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Liebst du sie?“
„Ich weiß nicht. Wohl nicht so richtig. Sonst könnte ich mit dir wohl nicht, “
„Das ist nur der Sex. Hat mit Liebe nichts zu tun.“
„Und wenn doch?“
„Hast du ein schlechtes Gewissen?“
„Nein. Du?“
„Nein. Wieso ich? Ich kann tun und lassen, was ich will. Was du tust, musst du mit deinem Gewissen ausmachen. Falls du eines haben solltest.“
Matthias schaute Crysella mit seinen undurchsichtigen Augen nachdenklich an.
„Vielleicht ist es auch Gewohnheit mit ihr“, sinnierte er, „ich wollte mir schon mal eine Wohnung suchen. Es geht nicht. Ich kann sie nicht verlassen. Sie hat viel für mich getan.“
„Und warum habt ihr nicht geheiratet.“
„Ich wollte ja. Aber sie nicht.“
„Und?“
„Jetzt will sie. Aber ich nicht. Wenn es zwischen uns stimmen würde, wäre das mit uns nicht geschehen.“
„Kann schon sein. Küsst du sie auch so, wie mich?“
„Wie soll denn das gehen?“ Matthias lachte frech. „Wenn ich mit dem Kopf zwischen ihren Beinen bin?“
„Das geht doch auch.“ Crysella lachte ebenfalls frech. „Natürlich nicht gleichzeitig.“
„Sie will es nur so. Wenn überhaupt.“
„Aha.“
„Und so, wie wir?“
„Das will sie nicht.“
„Und du?“
„Es ist wunderbar. Du fühlst dich so herrlich an. Ich bin Arzt. Und ein Arzt will das Innere eines Menschen erforschen.“
„Eines Menschen?“
„Einer Frau, die man begehrt. Es macht mich wild. Und dich dabei zu beobachten. Mann, oh Mann. Du bist toll. Du bist eine Wucht. Du gehst ab wie eine Rakete.“
„Oh.“
„Verzeih den etwas abgedroschenen, banalen Ausdruck. Aber mir fällt kein anderes Bild ein.“
„Hör auf. Guck nicht so lüstern. Wir fahren lieber.“
„Ich denk an deine Wahnsinnsbrüste.“

Matthias bezahlte. Hand in Hand verließen sie das Restaurant. Inzwischen war es Nacht geworden. Nur noch wenige Autos fuhren auf den notdürftig beleuchteten Straßen. Plötzlich hielt Matthias vor einem Park.
„Komm, lass und noch ein wenig schmusen„, verlangte er. „Ich habe schon wieder Lust.“
Crysella erstarrte. Der Traum war da. Die blutige Fesselszene. Das Messer in ihrer Hand. Sie starrte in den bleichen Vorvollmond. Gepeinigt von Erinnerung an das grausige Geschehen.
„Fahr sofort weiter“, herrschte sie Matthias an.
„Warum? Ich muss noch eine Weile im Dunkeln mit dir schmusen.“
„Fahr weiter!“ Mit Schaudern fühlte Crysella das Messer in ihrer Hand. Das kühle Metall. Die scharfe Klinge. „Oder es passiert was.“
Vor Schreck drehte Matthias den Motor auf. Etwas in Crysellas Stimme hatte ihn wohl gewarnt. Fast ängstlich sah er in ihr weißes Gesicht.
„Darf ich mit zu dir?“ Sie hielten vor ihrem Haus. „Du wohnst doch allein.“
„Nein“, sagte Crysella fast grob. „Meine Hunger - und Durstgefühle sind vorerst gestillt.“
Plötzlich sah sie in Matthias einen Fremdgänger. Einen Betrüger. Einen miesen, kleinen, feigen Wichser. Doch das hielt sie nicht ab, weiterhin mit ihm zu schmusen. Autos hatten sie von jeher sexuell stimuliert. Sex auf engstem Raum fand sie toll. Es gab kein Entkommen.
Matthias wurde immer feuriger. Er kurbelte die Sitze zu Liegesitzen. Als er sie berührte, wo sie am heißesten war, konnten sie ihr Stöhnen nicht mehr unterdrücken und pressten ihre Münder fest aufeinander.
Später forderte Matthias völlig aufgelöst:
„Wir müssen uns morgen wieder sehen. Ich will es richtig.“

„Noch nicht.“ Mein Gott. Liliths Stimme.

Erschreckt öffnete Crysella die Augen. Bald würde der Vollmond in seiner ganzen Pracht erstrahlen. Dann wäre es zu spät für Matthias. Das fühlte sie. Das Auto stand einsam in seinem gespenstischen Licht. Die Scheiben waren beschlagen. Wie ein Schemen lächelte Liliths schönes, bleiche Gesicht hinter ihnen. Wissend. Betörend. Und wie ein Heiligenschein schwebte golden der Hof des Mondes über ihrem vollen, roten Haar.

„Bis zwei Uhr bist du wieder zu Hause“, drängte Matthias.
„Nein. Es geht nicht. Ich bin mit Gabi verabredet. Und kein Mann ist es wert, dass ich seinetwegen meine beste Freundin versetze. Keiner.“
„Wenn du so gegen zehn Uhr losfährst zur Pankstraße, haben wir zwei Stunden Zeit. Ich bin verrückt nach dir. Ich brauche deinen Körper. Bitte“, forderte Matthias unbeirrt.
„Heute kommt doch Brigittchen“, spottete Crysella. „Vielleicht klappt es ja wieder mit euch.“
„Ich bin süchtig nach dir.“
„Nein, bist du nicht.“
„Von diesen Berührungen kann man nicht süchtig werden? Nein?“ Gewaltsam spreizte Matthias Crysellas Beine. „Ich brauche dich. Deinen Körper.“
„Ja, meinen Körper.“ Crysella spürte die Wut in sich kriechen. „Für alles andere hast du ja Brigittchen.“
In einer Woche würde Matthias mit Brigittchen in Urlaub fahren. Sie vergessen haben. Und sie ihn. Nein, sie wollte ihn nicht. Er war nicht besser als andere. Schnell ordnete sie ihre Kleidung, fuhr mit den Händen flüchtig durch ihre jetzt rote Mähne, stieg aus dem Auto.
„Tschüss, Matthias.“
Crysella rannte in ihre Wohnung, ohne sich noch einmal umzudrehen. Matthias war gerettet. Und sein Penis noch an am richtigen Ort. Vorerst.

Die ganze Situation war doch nun wirklich sehr makaber. Eine unverkennbare Duplizität mit Ricardo nicht zu leugnen. Ausgehen, chinesisch essen, schwärmen, Offenheit für sinnliche Genüsse, schmusen im Auto. Makaber. Makaber. Und er ist feige. Feige wie alle Männer. Sagt, er wolle sich nicht in seine Gefühle verstricken und ist schon mittendrin. Er wolle ganz bewusst Distanz wahren und tut es nicht. Sagt, sie sei ihm unheimlich. Er wolle nur eine sexuelle Beziehung, für alles andere hätte er Brigittchen, und redet von heißen, unkontrollierbaren Gefühlen für sie. Sie lachte laut auf.
„Scheißkerl“, zischte Lilith im Spiegel. „Sex ohne Gefühle.“
„Heuchler. Der ist Leidenschaft pur.“ Crysella zwinkerte Lilith verschwörerisch zu.
„Dem wollen wir mal so richtig einheizen.“

Lilith lachte boshaft und verschwand.

***

Fortsetzung folgt
 

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