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Das Herz des Drachen - Kapitel 03

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©  Alexander   
   
Tante Sophie hieß die Pension in der das LKA Max und Susanne vorläufig unterbrachte, bzw. in eins der freien Zimmer mit getrennten Betten. Trotz des Protests bekamen sie kein eigenes Zimmer. Sparmaßnahmen, erwiderte ein LKA Beamter sarkastisch. Er informierte sie, dass der Polizist, ein leicht Übergewichtiger Ende 40 im Foyer der Pension seinen Posten bezog. Als Max nach etwas zu Essen fragte, sagte der LKA Mann, er solle einen Lieferdienst nehmen. Bis auf Weiteres hatten sie das Gebäude oder das Zimmer nicht zu verlassen.
Max legte sich aufs schmale Bett, schaute sich in dem spartanisch eingerichteten Zimmer um, schaltete den Fernseher an und zappte durchs Programm. Wenige Minuten später klopfte es an der Tür. Der Polizist gab ihnen eine Auswahl von Lieferdienstkarten. Nicht mehr als 20 Euro, alles darüber mussten die Beiden aus eigener Tasche bezahlen, so der kahlköpfige Mann. Vor sich hin murmelnd ging Max die Karten durch.
Susanne hingegen hatte keinen Hunger. Einmal mehr fragte sie sich, wieso sie ihre Retter gedeckt hatte und der LKA-Beamtin nichts von ihnen erzählte. Man verdankte ihnen ihr Leben, daran gab es nichts zu rütteln. Doch so edelmütig wirkten die Beiden dann doch nicht. Wie die Mörder ihrer Freunde hatten sie etwas in der Kammer mit der Sternendecke gesucht. Bloß was!? Sie versuchte sich die Kammer ins Gedächtnis zu rufen. Außer der fulminanten Sternendecke befand sich nichts in ihr. Da kam ihr ein Gedanke. Was wenn sie nach der Sternendecke suchten? Ja, das musste es sein. Doch was hatte es mit der Sternendecke auf sich? Ihre Neugierde war geweckt. Wieso brachte man dafür 17 Menschen um? Susanne verdrängte die Erinnerung an die Erschießung ihrer Freunde, schluchzte innerlich und versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
So beschloss sie TV zu gucken. Auf einem hiesigen Nachrichtensender wurde vom Syrau Massaker berichtet. Da klopfte es wieder an der Tür, 30 Minuten nachdem Max seine Bestellung beim Polizisten abgegeben hatte. Er nahm die Lieferung entgegen, setzte sich an den Fenstertisch, aß seine Pizza Salami und den mitgelieferten Salat. Danach legte Max sich aufs Bett.
Zusammen schauten sie "Wer wird Millionär", rieten fleißig mit, freuten sich mit den Kandidaten oder ärgerten sich über sie. Am Ende der Sendung schaltete man ins öffentlich-rechtliche Programm, wo eine Sondersendung zu den Geschehnissen in der Drachenhöhle Syrau ausgestrahlt wurde. Auszüge aus der Pressekonferenz wurden eingespielt. Hypothesen ausgestellt. Vermutungen geäußert. Inhaltlich brachte die Sondersendung nichts neues.
Da Max im Verlauf der Sendung eingeschlafen war, zappte Susanne durch die Kanäle. Eigentlich war sie niemand der zappte, sondern sich im Fernsehprogramm eine Sendung heraussuchte und diese anschaute. Heute war jedoch kein Tag wie sonst.
Gerade als sie etwas Interessantes gefunden hatte, gingen die Tischlampe neben ihrem Bett und der Fernseher gleichzeitig aus. Na Toll Stromausfall. Als nach Minuten weder das Licht noch der Fernseher wieder funktionierten, stand Susanne von ihrem Bett auf und ging zur Zimmertür, um ihre Laune an dem nichtsnutzigen Polizisten im Foyer auszulassen. Sie streckte die Hand nach dem Knauf aus.
„Verdammte Scheiße. Was ist das für ein Saftladen hier.“
Susanne schaute durch den Spion. Ein fülliger Mann trat auf den Flur und stapfte wie ein Koloss in Richtung Treppe. „Hey. Wer sind Sie?“, rief der Mann ungehalten.
Blobb!! Blobb!! Dann schlug etwas Schweres auf den Boden auf. Eine unheimliche Ruhe kehrte ein. Susanne stand einfach nur da, starrte auf die Tür.
Knrrrr!! Das Ächzen der Bodendielen war ein Weckruf. Das war kein Stromausfall. Jemand hatte die Stromversorgung gekappt, war ins Gebäude eingedrungen, die Treppe hinaufgegangen und schritt nun den Flur entlang. "Sie waren Zeugen", hörte Susanne den jungen Mann sagen. "Genau wie Max und sie."
" Knrrrr!!" Wer auch immer es auslöste, kam näher.
Eine unerklärbare Furcht kam auf. Langsam, bedächtig ging sie rückwärts, von der Tür weg. Eine Panikattacke drohte ihr rationales Handeln zu ertränken. Eine Stimme schrie in ihrem Inneren, sie solle weglaufen, sich verstecken. Doch wohin? Wollte ihr rationales Ich wissen. Darauf hatte die Stimme keine Antwort. In ihrem Zimmer gab es nichts, wo sie sich verstecken konnte. Aus dem Fenster konnte sie nicht fliehen. Das Zimmer lag drei Etagen über den Erdboden. Es gab kein Fenstersims. Sie ging zum Telefon, nahm den Hörer ab. Doch kein Freizeichen war zu hören. Das Knirschen der Bodendielen hörte auf, direkt vor ihrer Zimmertür. Die Klinke wurde langsam, wie in Zeitlupe, hinuntergedrückt.
Susanne eilte nach hinten an die Wand, wo der kurze Flur in den Wohn/Schlafraum des Zimmers führte. Sie lugte um die Ecke, sah, wie die Tür sehr langsam geöffnet wurde. Lautlos traten 2 Gestalten in schwarzer Kleidung über die Schwelle. Hastig zog sie den Kopf zurück, hielt das altmodische Telefon in Händen, umklammerte es so stark, dass ihre Fingerknöcheln weiß waren und hielt vor Angst die Luft an.
Ihre Sinne waren aufs äußerste gereizt. Sie hörte wie die Gestalten langsam durch den kurzen Flur schlichen. Kein schneller Schritt. Vorsichtig, um die Bewohner des Zimmers nicht zu wecken, damit ihre Opfer nicht um Hilfe rufen konnten. In der Pension mochte es kein Lebender mehr hören, dafür aber die Nachbarn, wenn ein Todesschrei durch die Nacht ertönte und einen aus dem Schlaf riss.
Susanne richtete ihren Blick nur auf den Übergang vom Flur ins Zimmer. Ein Schalldämpfer tauchte auf, erst die Spitze dann immer mehr.
„Ole … Ole … Ole“, tönte es lallend von draußen.
Die Gestalt mit dem Schalldämpfer verharrte, bewegte sich nicht. Ein unverständliches Flüstern ertönte aus dem Flur. Dann verschwand der Schalldämpfer.
„We are the Champions …“ Schritte ertönten, das Knarren vom Holz des Treppenaufgangs.
Sie wagte vorsichtig um die Ecke zu schauen. Zu atmen traute Susanne sich einfach nicht. Die Gestalten standen hinter der Tür. Einer schaute durch den Spion, wie vorhin sie, als der dicke Mann polternd aus seinem Zimmer getreten war.
„Ole … Ole … Ole … Wir sind die Macht im“ Der Verursacher lallte auffällig, wie jemand der sturzbetrunken war. „Hey“, unterbrach der Mann seinen Gesang. Er musste den dicken Mann bei der Treppe gefunden haben. „liegst hier einfach im Gang, Alter.“ Der betrunkene Schlachtenbesinger schlurfte den Flur entlang, nuschelte Kauderwelsch. „Ups!“ Ein betrunkenes Lachen ertönte. Dann klimperte es. Er hatte den Zimmerschlüssel aus seiner Tasche gezogen. „Geh rein …Ole …Ole“, setzte er seine Arie fort. Man hörte wie der Mann versuchte den Schlüssel ins Schloss zu stecken. „Ätsch.“, stieß er triumphierend hervor. Anscheinend war es ihm gelungen den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Klack!! Er musste beim Klinkendrücken abgerutscht sein.
Dann ging alles unglaublich schnell…

***
Ben, die Kurzform von Benjamin, war bis zur nächsten Straßenecke gegangen, schaute sich sporadisch um. Links. Rechts. Autos fuhren auf der Hauptstraße entlang, ebenso Lkw’s, die die Lkw-Maut auf der Autobahn umgehen wollten. Die Lkw’s kamen meist aus dem Ostblock. Nicht allzu weit von Plauen entfernt lag die Grenze zur Tschechischen Republik. Am Ortseingang, wie Ausgang, standen Blitzer und regelmäßig machte die Polizei Fahrzeugkontrollen in der Umgebung.
Er wollte gerade wieder zurückgehen, als ihm eine Limousine auffiel. Sie fuhr von der Hauptstraße in eine Nebenstraße und verschwand aus seinem Sichtbereich. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Auch nicht, dass das Fahrzeug dem Kennzeichen nach aus München kam. Vermutlich war es nur auf der Durchreise. Oder jemand in Plauen bekam Besuch. Doch sein Bauchgefühl war anderer Ansicht. Zu Recht, wie sich herausstellen sollte.
Kurz nachdem die Limousine in die Nebenstraße eingebogen war, traten 2 Männer aus eben dieser hinaus auf die Hauptstraße, nutzten die Möglichkeit die Straße zu überqueren und liefen völlig normal. Ben konnte sich nicht erinnern die Kerle bereits gesehen zu haben oder zu kennen. Trotzdem war etwas an ihnen das ihm wohl bekannt war. Sie wirkten nicht wie gewöhnliche Leute.
Ihre Haltung. Ihr Gang. Ihr Gehabe. Ihre Ausstrahlung. Die Männer gehörten zum Tross des Generals. Er wusste es vom ersten Augenblick an. Sie waren Angehörige des Söldnertrupps, dass der General befehligte.
Er glaubte nicht, dass deren Anwesenheit in Plauen Zufall war.
Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte er ihnen.
Am Ende der Straße betraten die Männer ein Gebäude. Tante Sophie stand auf dem Schild über dem Eingang. Eine Pension. Ben kannte den General gut genug, um zu wissen, dass der Mann sich niemals dort einquartierte. Schon gar nicht nach einer solchen Aktion wie in der Drachenhöhle.
Er wartete. Dann ging er über die Straße und betrat die Pension. Kaum war Ben durch die Tür stoppte er. Im Sessel, in einer Ecke, gegenüber der Rezeption, saß ein Polizist mit einer Zeitung und 2 Schüssen in der Brust. In dem Gebäude selbst war es dunkel. Langsam schlich Ben weiter. Hinter der Rezeption lag eine Dame. Auch in ihrer Brust steckten zwei Kugeln. Schalldämpfer!! Andernfalls hätte er die 4 Schüsse gehört. Im Gegensatz zu jemand anderem konnte er Knallfrösche oder Böller von Schüssen unterscheiden. Nichts dergleichen war zu hören gewesen. Demzufolge mussten die Söldner Schalldämpfer benutzt haben. Bloß wieso waren sie in die Pension eingedrungen?
Vom Treppenaufgang ertönte ein Knirschen. Sie waren Oben. Dort mussten die Zimmer für die Gäste der Pension liegen. Sein Blick ging zum Polizisten. Der Mann hatte nicht mal die Chance gehabt seine Waffe zu ziehen oder danach zu greifen. Er hatte vermutlich nicht damit gerechnet, dass professionelle Mörder die Pension betraten. Doch weshalb war der Polizist überhaupt in der Pension!? Er saß da in dem Sessel und schien auf etwas zu warten.
Nein, er wartete nicht sondern hatte seinen Posten im Foyer bezogen, wie es Polizisten taten, die auf Zeugen aufpassen sollten. Jetzt wusste Ben den Grund, weshalb die Söldner in die Pension gekommen waren. Sie wollten jemanden eliminieren. Und Ben kannte nur 2 Personen, um die sich der General kümmern lassen würde.
Er handelte, ohne groß darüber nachzudenken. Schon auf der ersten Stufe wurde ihm bewusst, wie er vorgehen würde. „Ole …Ole …Ole …“, rief er lallend und stampfte schwankend die Stufen hinauf. Ben hatte keine Waffe dabei, geschweige denn einen Plan. Also musste er improvisieren. Bei dem, was er tat, musste man flexibel sein, sich auf die Situation einstellen und auf Veränderungen reagieren, statt zu agieren.
„We are the Champions …“, sang Ben genauso, wie es Betrunkene nach einem Fußballspiel taten. Für die Söldner kam es mit Sicherheit überraschend. Sie würden sich auf die Situation einstellen, sobald ihnen klar war, dass eine Gefährdung von ihm ausging. Von einem Betrunkenen ging höchst selten eine Gefahr aus.
„Ole … Ole … Ole … Wir sind die Macht im“ Er erreichte das Ende der Stufen. Keinen Meter entfernt lag ein dicker Mann auf dem Flur. In seiner Brust steckten 2 Kugeln. Auf dem XXL-Hemd war ein großer Fleck Blut. Neben ihm lag ein Schlüssel für eins der Zimmer. Ben wankte die letzte Stufe hinauf, stützte sich an der Wand ab. „liegst hier einfach im Gang, Alter.“ Dann schlurfte er an ihm vorbei. Im Flur selbst war niemand. Langsam und schwankend ging er vorwärts. Die Söldner mussten in einem der Zimmer sein. Er tastete nach der Gravur auf dem Schlüssel, 5. Somit gehörte dem dicken Mann das Zimmer 5. Ben erweckte nahezu perfekt den Eindruck ein Betrunkener zu sein. Ein Plus für ihn war der Stromausfall, so konnten ihn die Söldner nicht genau sehen, vor allem sein Gesicht. Ihm fehlte nämlich der trübe Blick und die glasigen Augen eines Mannes, der zu viel getrunken hatte.
Nur noch wenige Schritte war er von Zimmer 5 entfernt, als er bemerkte dass die gegenüberliegende Tür, also Zimmer 4 nur angelehnt war. In der Dunkelheit fiel das einem Betrunkenen sicherlich nicht auf. Hinter der Tür mussten also die Söldner stehen. Wahrscheinlich beobachteten sie ihn durch den Spion. Sein Gesicht konnten sie durch die Dunkelheit nicht sehen. Außerdem achtete Ben darauf, es ihnen nicht zu zeigen.
Seine Darstellung war eine Oscarnominierung wert, fand er. Andernfalls hätten ihn die Söldner längst über den Haufen geschossen, sehr zur Freude des Generals. Doch darauf musste der Kerl weiterhin warten.
Er rülpste. „Ups!“ Ben klapperte mit dem Schlüssel, als er vor der Zimmertür 5 stand, sich gegen den Rahmenvorsatz lehnte, hörbar schnaufte. Er stützte sich ab, beugte sich zum Schloss herunter und fingerte mit dem Schlüssel herum. Dabei achtete er darauf die Tür im Blick zu haben. Sie konnten ihm jetzt einfach in den Rücken schießen. Dass die Söldner es nicht taten würden sie bereuen.
„Geh rein …Ole …Ole“ Der Schlüssel steckte. Ben schloss auf, griff nach der Klinke, richtete sich auf und rutschte ab. Klack!!
Der Moment war gekommen. Blitzschnell drehte er sich rum, sprintete los, sprang und warf sich gegen die Zimmertür. Der Söldner hinter der Tür bekam die volle Wucht ab, als die Tür gegen ihn flog. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass der Betrunkene eigentlich gar keiner war, so überzeugend war Ben gewesen.
Er schlüpfte ins Zimmer, sah eine Gestalt im Flur stehen. Der Partner hob die Waffe. Ding!! machte es und der Söldner sackte bewusstlos zusammen. Sein Kollege erholte sich von dem Aufprall, sprang den Eindringling an und hieb mit Schaft nach Ben’s Kopf. Er wich dem Hieb aus, ging in die Knie und schlug dem Söldner auf den Solarplexus, in die Nieren und die Leber. Sein Gegner stöhnte, machte einen Schritt nach hinten, um aus dem Infight zu gelangen und den nicht Betrunkenen zu erschießen.
Ben hingegen nutzte den Schritt, kam hoch, griff nach dem Arm mit der Pistole, schlug dem Söldner mit der Faust ins Gesicht, brach ihm dabei die Nase. Der Griff um die Waffe lockerte sich. Er verstärkte seinen Druck, blockte den Schlag des Söldners, trat ihm mit dem Knie in die Rippen, packte den anderen Arm und warf ihn kurzerhand gegen die gegenüberliegende Wand. Der Mann sackte an, ließ die Waffe fallen, ächzte, keuchte und stöhnte. Er bekam keine Chance sich zu erholen.
Mit einem Schlag knockte Ben ihn aus. Etwas außer Atem trat er ins Zimmer. Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung, machte einen Ausfallschritt und griff zu.
Vor Schreck ließ Susanne das Telefon fallen, schrie erschrocken auf und schlug geistig gegenwärtig mit der freien Hand zu. Klatsch!!
„Verdammt.“, beschwerte sich eine ihr bekannte Stimme.

***
Als der Trubel losging, wachte Max erschrocken auf. Er wollte etwas rufen, doch Susanne zeigte ihm, er solle still sein. Sie lugte um die Ecke, sah, wie eine weitere Gestalt ins Zimmer schlüpfte, wie ein Fuchs in einen Hühnerstall. Derjenige, der Eindringlinge, der tiefer im Flur stand, hob die Pistole. Susanne reagierte einfach. Sie zog dem Kerl das altmodische Telefon über den Hinterkopf und der Mann sackte in sich zusammen.
Die Rauferei ging los.
Irgendwann kehrte Ruhe ein. Bis eine Gestalt an der Schwelle zum Übergang vom Flur im Zimmer auftauchte. Sie konnten nicht erkennen, ob es einer der Eindringlinge war oder der Helfer. Rein instinktiv schlug sie mit dem Telefon zu. Vollkommen unerwartet machte die Gestalt einen Ausfallschritt, packte ihr Handgelenk. Sie erschreckte sich so sehr das sie das Telefon fallen ließ und es klirrend zu Boden fiel. Dann schlug sie mit der freien Hand dem Kerl ins Gesicht und verpasste ihm eine Ohrfeige.
„Verdammt.“ Es war die Stimme des jungen Mannes aus der Drachenhöhle. Die aufgestaute Angst und Furcht fiel augenblicklich von ihr ab. Da ließ er ihr Handgelenk los. „Behandeln Sie so jeden, der Ihnen das Leben rettet? Zum zweiten Mal.“ Ben rieb sich die Wange.
Susanne stand kurz davor sich zu entschuldigen, doch der aufkommende Trotz erstickte das Vorhaben im Keim. „Was machen Sie hier?“, wollte sie, statt einer Entschuldigung wissen. „Wo ist der Polizist?“ Die Antwort darauf kannte Susanne bereits. Wenn die Männer im Flur, den Dicken einfach über den Haufen geschossen hatten, hinderte sie es mit Sicherheit nicht daran einen Polizisten zu erschießen. Da wurde ihr zum ersten Mal bewusst in was für einem Schlammassel sie steckten. Susanne wurde übel.
„Packen sie ihre Sachen, hier sind sie nicht mehr sicher.“
Doch wenn sie in der Obhut der Polizei nicht sicher waren, wo dann? Gab es überhaupt noch einen sicheren Ort? „Und wo sind wir sicher?“, fragte Susanne niedergeschlagen. Die Polizei konnte sie nicht schützen. Vielleicht konnten sie sich irgendwo verstecken, doch Susanne bezweifelte dass sie sich vor den Männern aus der Drachenhöhle lange genug verbergen konnten. Was also sollten sie tun?
Ben schwieg. Darauf hatte er keine Antwort. Möglicherweise würde die Polizei ihre Maßnahmen zum Schutze der Beiden verstärken, sie in einem sicheren Haus unterbringen, wo man sie rund um die Uhr be- und überwachte. Nichts davon konnte den General daran hindern die Zeugen zu eliminieren. Sie hatten etwas gesehen, was sie nicht hätten sehen sollen. Ob sie überhaupt wussten, was sie gesehen hatten oder nicht, spielte für den Mann keine Rolle.
„Bis ich mir etwas überlegt habe, kommen sie mit uns.“ Für den Augenblick waren sie bei ihnen sicherer, als irgendwo sonst. Jedenfalls für eine Weile.
So verließen die Drei eilig das Zimmer, liefen den Flur entlang, vorbei an der Leiche des Dicken, die Treppe hinunter, wo die Leichen der Dame und des Polizisten lagen, durchs Foyer nach draußen. Ohne jede Hast gingen sie die Straße entlang, erweckten den Anschein 3 Freunde zu sein, die auf dem Heimweg oder zu einer Unternehmung unterwegs waren.
Unterwegs holte Ben sein Handy heraus, rief seinen Freund an und teilte ihnen mit, unverzüglich die Zelte abzubrechen. Er und Alice sollten ihn an der Hauptstraße Richtung Bayreuth abholen. Sie gingen die Hauptstraße entlang, bis eine Mittelklasse Limousine neben ihnen hielt. Max und Susanne zögerten nicht einzusteigen. Ben stieg auf der Beifahrerseite ein, schaute Jonas kurz an. Man sah ihm an, dass er mit der Situation alles andere als einverstanden war, doch er behielt seinen Einwand für sich- vorerst- und fuhr los, nachdem alle eingestiegen waren.
Sie fuhren aus Plauen hinaus, folgten der Bundesstraße bis zur Autobahnauffahrt der A72, nahmen die Auffahrt Richtung Bayreuth, reihten sich in den fließenden Verkehr ein und waren eins von Hunderten Fahrzeugen, die die Autobahn befuhren.
Nach 20 Minuten des Schweigens drehte sich Ben um, schaute die beiden an. „Ich glaube wir sollten uns einander vorstellen.“ Den Seitenblick von Jonas ignorierte er. Alice hingegen schien keine Meinung dazu zu haben. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt auf ihr Netbook einzutippen. Ben hielt der Frau die Hand hin. „Mein Name ist Benjamin.“
Susanne zögerte. „Susanne.“
Ben schaute ihren Begleiter an.
„Max.“, stellte er sich verlegen vor.
„Das sind Alice und Jonas.“, vollendete Ben die Sache.
Schweigen kehrte ein. Bis Susanne eine wohl berechtigte Frage stellte. „Wohin fahren wir?“
Ben’s Mundwinkel verschoben sich zu einem Schmunzeln. Damit wirkte er noch jugendlicher als er sowieso schon aussah. Sie schätzte ihn auf höchstens Anfang Dreißig.
„Alice?“ Er wandte sich wieder nach vorne.
„Nürnberg.“ Sie schaute nicht einmal auf, als Alice die Antwort gab.

***
Die Angelegenheit entwickelte zu etwas, das weit mehr war, als ein bloßer Amoklauf oder Massaker an Unschuldigen. Bisher hatte sie nichts Neues in Bezug auf die Drachenhöhle Syrau. Dafür aber in Plauen.
In der Pension Tante Sophie lagen 3 Leichen. Die Besitzerin, ein Gast und ein Polizist. Von Susanne Reuter und Max Falk fehlte bisher jede Spur. In ihrem Zimmer sah es wie nach einem Kampf aus. Blutspritzer im Flur. Zerstörtes Mobiliar. Beschädigtes Türscharnier. Dellen und Löcher in der Flurwand. Ein im Zimmer liegendes Telefongerät mit Wählscheibe. Die Spurensicherung fand daran Haare und Hautreste. Es wurde ebenso sichergestellt wie die Blutspritzer.
Daher konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass Tina Schuster nicht allerbester Stimmung war. Die Ablösung des Beamten im Sessel hatte ihn mit 2 Schüssen in der Brust im Foyer sitzend gefunden. Sofort machte der Kollege Meldung. Zusammen mit dem Beamten, der draußen im Wagen saß und den toten Polizisten zum Revier fahren wollte, durchsuchten sie die Pension. Dabei fanden die beiden Beamten lediglich die erschossene Besitzerin hinterm Empfangstresen und den dicken Mann im Flur.
Sofort nachdem man Schuster informierte, fuhr sie zur Pension. Dort verschaffte sie sich einen Überblick. Alle 3 Toten wiesen ein Doppelschussmuster auf. Wie einige der Opfer in der Drachenhöhle. Wer auch immer hierfür verantwortlich war, war ein Profi, so viel stand schon mal fest. Ansonsten hatten sie nicht viel. Schuster hatte die sichergestellten Blutspritzer sowie das Haar und die Hautreste mit der allerhöchsten Dringlichkeitsstufe per Kurier ans LKA-Labor in Dresden geschickt.
Sie blickte auf ihre Uhr. Der Kurier musste die Sachen vor 10 Minuten im Labor abgegeben haben. Sobald sie in ihrem vorläufigen Büro in der Polizeidienststelle von Plauen war, würde sie im Labor anrufen und sich erkundigen, ob die Proben eingetroffen waren. Sie wollte sicherstellen, dass das Labor nicht trödelte. Ein Kollege war erschossen worden. Der Umstand spornte Schuster und jeden aus ihrem Team nur umso mehr an, die Täter zu finden. Des Weiteren mussten sie Frau Reuter und Herrn Falk ausfindig machen.
Wer auch immer hinter dem Mordanschlag steckte, würde es wieder versuchen. Da war sie sich absolut sicher. Demzufolge musste etwas in der Drachenhöhle geschehen sein, von dem die Beiden nichts hätten wissen sollen. Vermutlich hatte die Frau ihr genau das verschwiegen. Bei der nächsten Unterredung würde Tina nicht so freundlich sein, sondern solange bohren, bis sie Antworten hatte auf ihre Fragen.
Ihr Handy klingelte.
Sie schaute aufs Display, die angezeigte Nummer hatte die Vorwahl von Dresden. Die restlichen Zahlen kannte Schuster ebenfalls. Die Nummer gehörte dem Chef vom LKA Sachsen.

***
Man sah es dem General nicht direkt an aber er war wütend. Wieder hatten seine Männer versagt. Er hielt ihnen zu gute, das sie überrumpelt wurden. Ihr Gegner war nicht irgendjemand, sondern einer der Besten. Genau aus diesem Grund gehörte er einst zu seinen Männern. Daher wussten sie auch, gegen wen sie kämpften, kannten seine Stärken und Schwächen.
Nichtsdestotrotz gelang es ihm erneut seine Männer auszuschalten, als wären es Anfänger oder Amateure. Nichts von beidem waren die zwei, die der Major aussandte, um die Zeugen zu beseitigen. Trotzdem versagten sie genauso wie Olaf und Derek.
An ihnen ein Exempel zu statuieren konnte durchaus vernünftig sein. Und für einige Augenblicke war der General sogar geneigt, die Anweisung dazu zu geben. Dass er es letztlich nicht tat, lag nicht an seiner Güte oder Menschlichkeit. Sein Problem war, dass es heutzutage nicht einfach war, fähiges und noch geschultes Personal zu finden.
So würde er Notgedrungen an ihnen festhalten, auch wenn sie sich eigentlich keine Fehler mehr leisten konnten.
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Ende, Kapitel 3
© by Alexander Döbber
 

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