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Das Herz des Drachen - Kapitel 06

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©  Alexander   
   
Im Verlauf der Jahrhunderte wurde die Villa immer wieder beschädigt, zerstört, neu aufgebaut und umgebaut. Trotz allem gehörte sie zum ältesten Bauwerk der Stadt, mit einer bewegten Vergangenheit und stand unter Denkmalschutz. Eine Ausstellung im Südhaus dokumentierte die Geschichte des Hauses.
Man hatte die Villa in einen Gebäudekomplex integriert, worin unter anderem der hessische Landtag tagte. Die historische Stuckfassade aus Sandstein der Villa war vor Jahren restauriert und instand gesetzt worden. Auf der Rückseite befand sich eine neumodische Fassade aus Glas und Stahl sowie der Eingang zum hessischen Landtag.
Sie betraten durch das Eingangsportal der einstigen Villa ein großes Foyer. Der Boden, polierter Granit. Die Wände hatten einen ergrauten Anstrich. Links führte ein Durchgang zu den Räumen, in denen die Ausstellung residierte. Vorne kam man in den Sommergarten, ein mittelgroßer Innenhof. Rechts gelangte man in das Restaurant, das den Innenhof bewirtschaftet. Über einen Treppenaufgang, der durch den mittigen Durchgang geteilt wurde, kam man nach oben. Die oberen Etagen des Gebäudekomplexes waren durchweg Büroflächen. Gespannte Seile, wie bei Theateraufführungen, versperrten einen den Weg hinauf. Ein mehrsprachiges Schild wies daraufhin, dass das Betreten der Treppen verboten war.
Ben und Susanne standen im Foyer, der Villa, dem heutigen Südhaus. „Wir sind drin, Alice. Wohin jetzt?“ Über ein ergonomisch sitzendes Handy-Headset sprach Ben mit Alice via Handy. Sie schauten sich um.
Unzählige Besucher, Touristen, Einheimische und Auswärtige hielten sie im Foyer auf, kamen oder gingen aus den Räumlichkeiten der Ausstellung und oder des Restaurants. Der Innenhof war gut besucht mit Rentnern, Gruppen, Paaren, Familien. Kellner schwirrten umher, nahmen Bestellungen auf, brachten Rechnungen oder Getränke und Speisen. Ein Koch am offenen Grill wendete Fleisch, Fisch und Rohkost. Den Geruch vom Holzkohlegrill lag in der Luft. Durch die Oberlichter der hohen Decke fiel Sonnenlicht und sorgte für eine angenehme Atmosphäre.
Neben all diesen Dingen suchte Ben nach Dingen, auf die Otto normal Verbraucher kaum achtete. Überwachungskameras, Bewegungsmelder, Lichtschranken, Sicherheitspersonal.
Wie er feststellte, gab es 2 festinstallierte Überwachungskameras, deren Fokus auf die Durchgänge zum Restaurant und der Ausstellung lagen. Ein Sicherheitsmann einer privaten Sicherheitsfirma, der zugleich auch als Infogeber fungierte, stand dekorativ im Foyer herum, ohne auf Besonderheiten zu achten. Wofür er wahrscheinlich nicht hoch genug entlohnt wurde.
Alice Stimme erklang. „Ben. Ihr müsst ins Eckzimmer, 2. Stock im Nordwestflügel des Südhauses.“ Über die Verbindung hörte er wie ihre Finger auf die Tastatur eintippten. „Ich sende die GPS-Koordinaten an dein Handy.“ Sekunden später piepte das Handy die Empfangsmelodie einer eingehenden SMS.
Kurz vor dem Einsatz hatte Alice auf jedes Handy ein GPS-Live Programm installiert, das einem über das Display die aktuelle GPS-Koordinate anzeigte. Die geschickten Koordinaten wurden automatisch ins Programm eingespeist und fixiert. Nun mussten sie nur noch den aktuellen Wert in Einklang bringen.
„Alice. Log dich ins Sicherheitssignal der Überwachungskameras. Ich will nicht ins offene Messer laufen.“
„Bin schon dabei, Boss.“ Alice Finger schwirrten über die Tastatur.
Ben schaute Susanne an, nickte ihr zu, sah sich nach dem Sicherheitsmann um, wies mit einer Kopfbewegung zum Treppenaufgang.
Sie gingen darauf zu, bemüht völlig normal zu wirken. Sein Blick wechselte zwischen den Kameras und dem Sicherheitsmann hin und her. Der Mann, Mitte 40, war viel zu sehr damit beschäftigt eine Gruppe junger Frauen im Auge zu behalten, als sich mit möglichen Gefahren zu beschäftigen. Der Erfassungsbereich der Kameras streifte den Treppenaufgang. Es war also durchaus möglich, dass man ihr hinaufgehen bemerkte.
„Bin drin.“ Sie war eine Zauberin. Keine 5 Minuten hatte ihr Log-in gedauert. Das Sicherheitssystem der Firma musste keine Herausforderung für Alice gewesen sein. „Erzeuge eine 30-Sekunden-Schleife.“ Sie warteten geduldig am Treppenaufgang. Auf den Monitoren sahen sie wie ein unschlüssiges Paar aus. „Okay, Ben. Ihr könnt hoch gehen. Ich weiß jedoch, nicht wie lange die Typen brauchen, um die Schleife zu erkennen.“, warnte Alice ihn.
Ben schaute, nachdem Sicherheitsmann, wartete auf den passenden Moment. Als der Mann seine Aufmerksamkeit wieder den Frauen widmete, statt der Umgebung, nickte Ben Susanne zu und zusammen stiegen sie über das Seil, nahmen 2 Stufen auf einmal und verschwanden.

***
Wie erwartet war der Treppenaufgang im 1. Stock der hinunter führte ins Erdgeschoss ebenfalls mit einem Absperrband versehen. Sie stiegen drüber und setzten ihren Weg in den 2. Stock fort. Im offenen Treppenhaus gab es keinerlei Videoüberwachung. Genauso in den Fluren, wie Ben feststellte, als sie in Richtung Eckzimmer gingen. Der GPS-Höhenwert auf dem Handydisplay stimmte exakt überein.
Wie es Manius, zu dessen Zeit, möglich war den Höhenwert zu berechnen, war Ben schlichtweg ein Rätsel. Andererseits konnten die Ägypter und Griechen zu jener Zeit komplexe mathematische Rechnungen aufstellen und lösen, die selbst heute Herausforderungen waren.
Der 2. Stock war so gut wie verwaist. Die 2 Leute, die ihnen über den Weg liefen, waren viel zu sehr mit eigenen Dingen beschäftigt als auf sie zu achten. Und selbst wenn nicht, machten Ben und Susanne den Eindruck als würden sie irgendwo im Gebäudekomplex arbeiten. Hätte jemand sie angesprochen, hätte Ben ihnen eine plausible Lüge aufgetischt.
Das Eckzimmer erwies sich als ein Aufenthaltsraum. Eine Kaffeeküche, wenn man so wollte. Mehrere Tische mit Stühlen. Eine Kaffeebar. Eine kleine Küchennische, mit Herd, Kühlschrank, Ober- und Unterschränken, einer Spüle und eine Anrichte. Der Duft von frisch gebrühten Kaffee lag in der Luft. In zwei Schalen lagen Knabberzeug und Kekse.
Die Wände waren cremefarben gestrichen. Der Teppich war abgewetzt, verschließen und in dunkelblau. Die Eckwände waren komplett verglast. Sie boten einen schönen Ausblick auf das Stadtbild.
Ben nahm das Handy zur Hand, schaute auf das Display und ging solange umher, bis die GPS-Koordinaten übereinstimmten. Dann sah er auf, drehte sich einmal herum. Auf den ersten Moment sah und fiel ihm nichts auf, was auf einen weiteren Hinweis hindeutete. Das hieß natürlich nicht, dass dieser nicht existierte. Dieser Teil vom Gebäudekomplex, das Südhaus, war die eigentliche Villa. Nun konnte es für den fehlenden Hinweis mehrere schlüssige Erklärungen geben. Doch im Moment machte er sich darüber keine Gedanken, denn wie sie bei der Suche nach dem Herz des Drachens schon mehrmals festgestellt hatten, war Manius niemand der seine hinterlegten Hinweise allzu offen platzierte.
Susanne trat neben ihn, schaute auf das Handydisplay und sah sich um. Wie schon Ben konnte sie nichts entdecken. „Und was jetzt?“
Ben strengte seine Fantasie an, versuchte sich in die damalig Zeit hinein zu versetzen, in einen Mann, der dazu auserkoren war, etwas zu verstecken, was nicht in die falschen Hände fallen durfte, es aber denjenigen nicht zu schwer machen durfte, die verhindern wollten, dass die Bösen in den Besitz des Artefakts kamen.
Alle bisherigen Hinweise entpuppten sich als ausgeklügeltes Netzwerk, aus Sackgassen, falschen Fährten und Fehlinformationen. Nur die die würdig sind, finden den Weg. So lautete ein Satz in den Schriften des Manius. Dumm nur; dass sich der Satz auf die Guten wie Bösen anwenden ließ, wie der General und seine Männer zeigten.
Ein weiteres Mal sah sich Ben im Raum um, schaute wohlbedacht nach allem, was sich als Hinweis entpuppen konnte. Doch hier war nichts. Jedenfalls sahen sie es nicht, da der Raum, so wie heute, damals nicht ausgesehen haben mochte. Ein Punkt, der natürlich bedacht werden musste. Sie konnten aber schlecht die Wände zerkloppen, um zu sehen, was dahinter lag. Was a; zu lange dauerte und b; nicht unbemerkt blieb. Nichtsdestotrotz hatte Ben das Gefühl, dass der Hinweis irgendwo hier lag. Woher dieses Gefühl oder was es war, konnte er nicht sagen. Es war einfach da.
In seiner Fantasie wandelte sich der Raum vom Aufenthaltsraum der Gegenwart in das Eckzimmer der Vergangenheit. Die Wände waren mit Sandsteinplatten und Holzpanellen verkleidet. Die Fenster hatten romanische Rahmen, das Oberlicht war aus Bleiglas mit verschiedenen Mustern. Draußen sah er das damalige Wiesbaden, eine wachsende römische Siedlung am Rand vom germanischen Kernland.
Immer wieder verschwammen die Bilder der Räume miteinander, wie ein abstraktes konfuses Gemälde eines namenlosen Künstlers, wo man dachte, er sei beim Malen auf Droge gewesen.
Er inspizierte das Eckzimmer ausgiebig, ließ keinen Millimeter aus. Ben schaute aufs Handydisplay, wo die GPS-Daten übereinstimmten, sah auf und blickte aus den Fenstern bzw. der Glasfassade hinaus.
Da kam ihm ein Gedanke, der ihm den nötigen Schubs gab.
Er drehte sich zur Seite. Dadurch änderte sich eine der Koordinaten. Es handelte sich um die Himmelsrichtung. Wie auch immer Manius es fertigbrachte, er hatte nicht nur eine exakte Positionsangabe errechnet, sondern auch die Himmelsrichtung angegeben, in die die Sucher blicken mussten.
Ben schmunzelte anerkennend.
Er kehrte in die gewünschte Ausgangsposition zurück, sah hinaus. Sein Schmunzeln wurde zu einem breiter werdenden Lächeln.
„Jonas?“
„Yo.“ Die Stimme seines Freundes erklang.
„Seid ihr am Brunnen?“
„Unsere Position stimmt mit den Koordinaten überein.“
Ben richtete seinen Blick wieder hinaus. „Seht ihr was wir sehen?“
Susanne schaute ihn verwundert an. Sie wusste nicht, wovon er sprach.
„Wenn du das meinst, was ich glaube, dass du es meinst, dann ja.“
Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Wovon redeten die Beiden!?
„Meine Güte!“, hauchte Max verblüfft.
Ihr Freund schien es auch zu sehen. Was zum Teufel war es!! Susanne trat wieder neben Ben, blickte auf das Handydisplay, schaute auf. Direkt vor ihr erhob sich ein Kirchturm aus dem zu sehenden Stadtbild. Ansonsten sah man nichts außer Häusern und Dächern.
„Unglaublich.“, fügte Max seinem vorherigen Ausruf hinzu.
„Was zum Geier seht ihr?“, wollte Susanne ungehalten wissen.
Bei der Antwort weiteten sich ihre Augen.

***
In den hiesigen Stadtführern Wiesbadens wurde die Sankt-Michael-Kirche als eins der ältesten Bauwerke der Stadt ausgewiesen. Was zum Teil auch stimmte, denn der Kirchturm war in der Spätepoche der römischen Periode erbaut worden, als sich der christliche Glaube über die Grenzen Roms hin ausbreitete und zur Festigung vom Christentum führte, der fortan diesen Teil der Welt prägte. Festzuhalten war aber, dass der Turm zwar in jener Zeit erbaut aber nicht fertiggestellt wurde. Das geschah erst rund 50 Jahre später, um das Jahr 61 nach Christus. Wo der Niedergang Roms bereits im vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten war.
Der Turm widerstand in den gut 2000 Jahren komischerweise allen widrigen Bedingungen. Er ragte knappe 75 Meter in die Höhe, war damit verhältnismäßig klein geraten. Dennoch war der Turm ein prägendes Element vom Wiesbadener Stadtbild.
In den 80ger Jahren drohte er sogar einzustürzen, da die Jahrhunderte auch am Turm doch nicht spurlos vorüber gegangen waren. Die Stadt investierte an die 3,5 Millionen D-Mark zur Stabilisierung. Vor 5 Jahren hatte die Kirchenverwaltung den Turm für den Publikumsverkehr gesperrt. Aus Gründen der Sicherheit, so die Begründung.
Um zu verhindern, dass Leute dennoch unerlaubten Zutritt zum Turm unternahmen, wurde der Zugang vom Kirchenschiff mit einer Gittertür versperrt. Seither konnten Unbefugte den Turm nicht mehr betreten.
Für Ben und seine Gefährten war das lediglich ein Hindernis, nicht mehr.
Sie suchten im Kirchenschiff der Sankt-Michael-Kirche der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft nach Hinweisen des Germanen Manius. Doch da das Kirchengebäude erst Jahre nach dem Turm erbaut worden war, verwunderte es keinen, dass sie nichts fanden. Demnach blieb als Aufbewahrungsort nur der Turm. Und Ben war nicht gewillt sich von einer Gittertür daran hindern zu lassen, das Herz des Drachens vor dem General zu finden. Nur war es zweifelhaft, ob die Kirchenobrigkeit mitspielte.
Ben hatte nicht vor, eine Erlaubnis einzuholen.
Der Turmaufgang lag im hinteren Bereich des Kirchenschiffs. Eine der Säulen verdeckte ihn teilweise, was ihnen ganz zuträglich war. Susanne, Max und Ben standen so, das andere nicht sehen konnten, was Jonas hinter ihnen an der Gittertür machte.
Er sprühte den Eisenriegel der Tür mit flüssigen Stickstoff aus einer herkömmlich aussehenden Sprayflasche ein. Als der Riegel vereist genug war, schlug Jonas mit einem Spitzhammer dagegen, wodurch dieser regelgerecht zerbröselte. Er klopfte Ben auf die Schulter, nickte ihm zu und verstaute die Spraydose in seiner Jackentasche.
„Wir gehen hoch. Ihr bleibt hier.“ Sein Freund und Kumpane erhob keinen Widerspruch.
Zusammen mit Susanne schlüpfte Ben durch die Gittertür, zog diese hinter sich zu und ging die Wendetreppe hinauf. Jonas und Max begaben sich ins Kirchenschiff, verhielten sich wie normale Kirchenbesucher. Dabei behielt Jonas den Kircheingang im Blick.
Was keiner von Ihnen ahnte, ein Trupp vom General war auf dem Weg zu ihnen.

***
Trotz seiner geringen Höhe dauerte es bis Susanne und Ben oben ankamen. Oben angekommen waren sie ganz schön aus der Puste. Sie brauchten wenige Minuten um zu Atem zu kommen.
Der Wendeaufgang mündete in den Boden, den sie beim verlassen betraten. Der Raum war nicht größer als 30 Quadratmeter, nahm die Länge und Breite vom Turmquerschnitt ein und lag unterhalb der Turmspitze. In den unverputzten Steinwänden lagen mittig kleine Öffnungen auf Kopfhöhe, durch die man hinaussehen konnte.
Susanne sah eher zufällig auf den Boden. „Oh!“
Der Boden war nicht aus Holz, wie man vermuten konnte, sondern bestand aus einer einzigen Steinplatte. Das besondere daran war, die Gravur einer Landkarte. Kein Wunder also, dass der Kirchturm für Besucher gesperrt war. Die Karte war einzigartig und bedeutsam zugleich. Sie zeigte nämlich die heutige Bundesrepublik Deutschland sowie Teile der Nachbarstaaten zur Zeiten der römischen Epoche. Das germanische Kernland. Die Heimat von Arminius und dem Herz des Drachen.
Was interessant an der Kartengravur war, war das fehlen jeglicher Städte, Siedlungen, Provinzen oder Festungen. Daher konnte man die Landesumrisse leicht übersehen oder falsch interpretieren. Doch für Ben gab es keinen Zweifel, hierbei handelte es sich um eine Landkarte des germanischen Kernlandes und deren Nachbarländereien.
Ganz unvermittelt sah Ben nach oben an die Decke.
Wo die nächste Entdeckung wartete.
„Interessant.“
„Was?“ Susanne sah zu Ben, folgte seinem Blick an die Decke.
Die Decke war wie die Wände aus Stein gemauert. Nur mit dem Unterschied, dass in der Mitte eine schwarze Glasscheibe im Durchmesser eines Fußballs eingefasst war. Diese Glasscheibe hing direkt über der Karte.
Ben sah zu den Öffnungen. Deren länglichen Kanten hatten eine gleichwinklige Schräge. Irgendwie glaubte er nicht, dass das Zufall war. Was war aber der Zweck? Diese Frage konnte er nicht so ohne weiteres beantworten. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Boden und die Decke. Was, wenn alles zusammenhing!? Eine Art Zusammenspiel? Ohne Zweifel eine interessante These, aber ihnen fehlte die Zeit sich den Kopf zu zerbrechen. Sie standen unter Druck, schließlich konnte jederzeit der General mit seinen Männern auftauchen.
„Wieso ist das noch keinem aufgefallen?“, fragte Susanne mehr sich selbst als Ben. Sie konnte sich nämlich nicht erinnern jemals hiervon gehört oder gelesen zu haben.
Ben holte eine kleine Taschenlampe hervor. Das Utensil führte er stets bei sich, wie die Glock Pistole. Er schaltete sie ein, leuchtete auf den Boden und ging umher. Irgendwo in diesem Raum fand sich ein Ansatz, der ihnen den nächsten Hinweis präsentierte. Der Steinboden gab das Geheimnis nicht preis. Also versuchte Ben es an der Decke. Doch nichts dergleichen geschah.
Langsam wurde es eng. Zu eng für seinen Geschmack.
Im Überlegen, wie sie dem Raum sein Geheimnis entlockten, drehte er am Kranz, für die Lichtfilterfunktion. Das Gadget, eine Erweiterung von Alice, sorgte dafür, dass man einen Infrarotfilter, Schwarzlichtfilter, Neonlichtfilter und Nachtsichtfilter zuschalten konnte.
„Hey. Was war das?“
Ben hielt inne, schaute Susanne an und stoppte seine Grübelei.
„Was meinst du?“
Sie sah ihn euphorisch an. „Was hast du gerade gemacht?“
„Nachgedacht.“, antwortete er nichtssagend.
Die Aufregung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Irgendwas war passiert. „Nein. Ich meinte was du mit der Taschenlampe gemacht hast!“
Er sah zu seiner Hand. Sein Daumen lag auf dem Filterkranz bei der Lampe. „Ach, das. Damit kann ich verschiedene Lichtfilter einstellen.“ Ben blickte Susanne an. „Wie Schwarzlicht.“
„Halt die Lampe auf die schwarze Scheibe und mach das noch mal.“ Ihre Entschlossenheit war merkwürdig.
„Was?“
„Herrgott.“, grollte sie genervt. „Dreh an diesem Kranz! Ich glaub, ich hab was gesehen.“
Für einen Moment war Ben geneigt, ihr einfach zu widersprechen, doch er ließ es bleiben. Eine Diskussion kostete zu viel Zeit. Also drehte er am Kranz, zielte mit der Taschenlampe auf die schwarze Glasscheibe.
Ein Filter nach dem anderen, ohne Ergebnis. Als er die Sache abbrechen wollte, kam der UV-Filter. Ben öffnete den Mund für einen bissigen Kommentar, als die Scheibe plötzlich explodierte.

***
Sie explodierte nicht im übertragenen Sinne. Gleißende Lichtstrahlen schossen aus der Scheibe. Je mehr er mit dem Lichtkegel der Lampe über die Scheibe glitt, desto mehr Lichtstrahlen entwichen, strahlten wie Laser zu Boden, der von Lichtpunkten gesprenkelt wurde. Ein seltsames und faszinierendes Schauspiel zugleich. Mit einer Besonderheit, die einem bei genauer Betrachtung auffiel, sofern man wusste, was dahinter steckte.
„Wow.“
Als die Lichtstrahlen auf den Steinboden trafen, bildete sich nicht nur ein Lichtpunkt, sondern erschien zu jedem Punkt ein Name in germanisch. Dem Vorläufer der heutigen deutschen Sprache. Ein Großteil der Punkte, einem guten Dutzend, lagen im germanischen Kernland. Nur wenige außerhalb. Und wenn sich Ben nicht komplett irrte, zeigte einer der Lichtpunkte auf eine Stelle, die das heutige Wiesbaden auf heutigen Landkarten darstellte. Das Gleiche auch bei der Drachenhöhle von Syrau, dem Bergbaustollen im Ruhrgebiet, jenseits des Rheins.
All diese Lichtpunkte repräsentierten einen Ort an dem Manius Hinweise versteckte. Manche davon waren nicht mehr existent. Irgendwie musste er damit gerechnet haben, denn Professor Stein nach, hatte Manius jeden Hinweis, bis auf den Letzten, in seinen Schriften vermerkt. Auch wenn das einem nicht ersichtlich war, denn seine kryptologischen Fähigkeiten überstiegen manche Verschlüsselungssoftware von heute.
„Das ist unglaublich.“ Wie recht Susanne hatte.
Ben konnte ihr da nur zustimmen.
„Ähm, Leute. Wir bekommen Besuch.“ Jonas Warnung blieb nicht ungehört.
Nun drängte die Zeit, so gerne er sich die Sache noch länger angesehen hätte, war dies nicht mehr möglich. Ohne Gefahr zu laufen, dass auch der General die Entdeckung machte. Das wollte er unter allen Umständen verhindern. Die Lichtpunkte zeigten neben den Hinweisorten auch noch etwas anderes, was der General nicht sehen durfte.
Mit der Videofunktion seines Handys nahm Ben kurzerhand das Schauspiel auf, schaute sich die Sequenz an und schickte es anschließend als eMail Anhang an Alice. Dann löste er das Video, schaltete die Lampe aus, griff in den Mehrzweckgürtel unter seinem Sweatshirt. Hervor holte er handgroßes grünbraunes Päckchen, in dem ein Drückknopf mit zwei LED-Lampen drinsteckte. Er drückte den Knopf, woraufhin das rote LED-Lämpchen anfing zu blinken.
„Hey! Was ist das?“
Ben ignorierte Susanne’s Einwand. Mit Schwung warf er es an die Glasscheibe. Das Päckchen blieb an der Scheibe haften. Als er die Taschenlampe aus machte, erstarb das Schauspiel abrupt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass etwas stattgefunden hatte.
„Wir müssen gehen. Los!“ Er packte sie energisch am Arm, zog Susanne zur Wendetreppe. „Jonas, verschwindet. Sofort!“

***
Sie eilten die Stufen hinunter, drohten einen Drehwurm zu bekommen. Doch sie mussten so schnell wie möglich weg. In kürzester Zeit hatten sie den Abstieg geschafft. Ben zog die Gittertür auf, schob Susanne hindurch, trat hinaus und prallte gegen sie. Er wollte sie schon fragen, warum sie stehen blieb, als er den Grund sah.
Direkt vor Ihnen, vor Susanne, standen 4 Männer identisch gekleidet. Sie waren alle breitschultrig, grimmig und entschlossen beim ersten Anzeichen von Widerstand, Gewalt anzuwenden. Diese Typen vom General waren von der schnellen Sorte.
Der Anführer trat vor, würdigte Susanne nur eines abschätzendes Blickes. Seine Aufmerksamkeit galt niemand anderem als Ben. Ein freudloses Schmunzeln erschien auf dessen Gesicht. „Du hast es also gefunden.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Yep.“ Ben hatte Jonas und Max nirgendwo gesehen. Er hoffte, dass sie sich noch rechtzeitig absetzen konnten. Andernfalls standen ihre Chancen den General aufzuhalten schlechter als sowieso schon. „Ich war schneller.“, sagte Ben stolz. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Mal wieder.“ Dabei verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.
Der Anführer funkelte ihn wütend an. Per Nicken gab er seinen Begleitern ein Zeichen.
Sie hatten noch keinen Schritt gemacht, als Ben den Button vom Garagentorfunksender ähnlichen Gerät in seiner Hand drückte.
Ein dumpfes Grollen ertönte hinter ihnen aus dem Wendeaufgang des Turms.
Die Männer verharrten. Blanker, nackter Zorn zeigte das Gesicht des Anführers. Er wusste sofort, was das Grollen zu bedeuten hatte.
Mit Gerät, einem Funksender, hatte Ben das C-4 Päckchen detonieren lassen. Was die Glasscheibe sprengte. Der General würde niemals sehen, was sie gesehen hatten. Ein Teilerfolg, dessen war sich Ben bewusst. Denn der General kannte Mittel und Wege an sein Ziel zu kommen.
Ohne Widerstand zu leisten, gingen sie mit den Männern mit, verließen die Kirche, stiegen getrennt in die SUV’s ein. Vorher waren Ben und Susanne unauffällig, aber gründlich, abgetastet worden. Die Handys und sein Mehrzweckgürtel waren ihnen abgenommen worden. Sie warfen alles in die nächstgelegene Mülltonne. Außer der Glock, die behielten sie.
Dann fuhren die Fahrzeuge davon.
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Ende, Kapitel 6
© by Alexander Döbber
 

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