... für Leser und Schreiber.  

„Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?“

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©  Middel   
   
„Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.“
Friedrich Schiller


„Würdest du mit mir schlafen?“ Nein, das klang zu lächerlich, zu direkt. „Möchtest du noch auf einen Kaffee mit zu mir?“ Albern und allerhöchstens in der Werbung effektiv. Doch wie sollte Martin es anstellen, das Offensichtliche möglichst charmant und eloquent in Worte zu packen? Aber – und das war die große Frage – brauchte es überhaupt großer Worte? Sollte er nicht einfach Taten sprechen lassen? Geküsst hatten sie sich ja jetzt schon und auch die eine oder andere Berührung war nicht gerade geschwisterlich vonstatten gegangen.
Nach unzähligen Zungenspielen und Kussvarianten waren sie schon in einer Art kleinem Rauschzustand gewesen. Er hatte an ihrem Ohrläppchen geknabbert, sie ihm sanft mit den Lippen in den Hals gezwickt. Er berührte ihre Innenschenkel, während sie seitlich seinen Bauch streichelte. Gut, dass sie draußen, etwas abseits der Party saßen, so konnte auch der eine oder andere, wenn auch leise geäußerte, Seufzer nicht ins falsche Ohr gelangen.
Wie sich die Haut unter ihrem Top anfühlte, wusste er auch schon und zu gerne hätte er „sein Geschenk“ nun gänzlich ausgepackt. Nun war aber die Frage, ob sie von einer ehrlichen und direkten Einladung zu einer Liebesnacht nicht gänzlich abgeschreckt wäre und dann die Reißleine zöge. Dann säße Martin hier, etwas abseits der Party, und würde diesen traumhaften Lippen und diesem sexy Dekolleté hinterhertrauern und das war das Letzte, was er in diesem Moment wollte.
Andererseits könnte der Abend auch erst gerade seinen verheißungsvollen Anfang genommen haben und die Nacht mit dieser Traumfrau, die es sichtlich verstand ihn um ihre zärtlichen kleinen Finger zu wickeln, zu etwas ganz besonderem werden. In Martin tobte nun ein wahrhafter Krieg der Gedanken. Auf der einen Seite die besonnenen, die auch den kompletten schüchternen Teil seines Inneren auf ihrer Seite hatten und auf der anderen die tollkühnen und abenteuerlichen Gedanken, mit der Fraktion der unkeusch motivierten in ihrem Rücken.
Und als der Krieg in vollem Gange war, vernahm er den zweitschockierendsten Satz an diesem Abend: „Du, ich glaub ich muss jetzt gehen.“ Ehe Martin sich versah und ehe er überhaupt etwas denken, geschweige denn sagen konnte, war seine designierte Affäre auch schon verschwunden.
Etliche Bier später saß er als einer der letzten auf irgendeinem Hocker in irgendeinem Raum und unterhielt sich mit irgendeiner Person über irgendein belangloses Thema, als seine Ohren den schockierendsten Satz des Abends vernahmen: „Annika meinte, der Martin war am Anfang total süß und leidenschaftlich und sie wollte ihn schon fragen, ob sie nicht noch zusammen weggehen, aber nach einer Zeit war er irgendwie total unmotiviert und in sich versunken, da kam sie sich blöd vor und ist gegangen!“
Und während im Hintergrund Fettes Brot den Soundtrack des Abends intonierten, wusste Martin, dass er einen Begriff von nun an aus seinem Wortschatz streichen würde - er würde ihn noch nicht einmal mehr denken: ,JEIN' ...
 

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