... für Leser und Schreiber.  

Dein Leben als Schneemann

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© Anja Mock   
   
Dein Leben als Schneemann ist nicht einfach. Es ist nicht einmal schön.
Dein Körper besteht aus runden Kugeln, die halbherzig geformt wurden.
Dein Gesicht ist mit umherliegenden Plunder zu einer Grimasse ausgearbeitet.
Deine Arme sind nicht mehr als dünne Holzstäbe.
Ein Plastikeimer auf deinem Kopf.
Welch ein Anblick wie du da einsam auf der Wiese stehst.
Man möchte dich fast bemitleiden, wenn man dich sieht. Aber die Leute haben dich schon vergessen, noch bevor sie an dir vorbei gelaufen sind.
Gegenüber von dir steht ein zweiter Schneemann.
Für dich ist er schön. Du erzählst ihm von deinen Erinnerungen. Von deinen Träumen. Ja, fast fragend erzählst du ihm von deinen Zielen.
Aber was weißt du schon? Bist ja nie von der Wiese weggekommen und du hast eh nichts besseres zu tun, als diesen Schneemann zu bewundern.
Ja, man muss zugeben, die schwarzen Steine als Augen passen gut zu seinem weißen Körper. Aber die Wärme der letzten Tage hat das schöne Gesicht entstellt.
Und nun stehst du hier und siehst deinen einzigen Freund vor deinen Augen dahin schmelzen.
Tut das nicht weh? Nichts tun zu können, als da zu stehen und zuzuschauen? Wie er sich langsam einfach geht?
Ja, das tut es.
Du versucht ihm Mut zuzusprechen, ihn aufzuhalten. Aber wie soll er dich hören? Wie willst du sprechen?
Du versucht alles, um zu ihm rennen zu können. Nur, damit er weiß, dass du da bist. Aber wie willst du dich bewegen?
Und noch während du kämpfst, weißt du es. Selbst wenn du ihn erreichen könntest, du kannst nichts ändern, nichts aufhalten.
Aber trotzdem kämpfst du einsam weiter.
Für den Freund der dich nicht hören kann.
Während die Leute an dir vorbei laufen und vergessen, dass sie dich für etwas bemitleiden wollten, dass sie nicht verstehen.
 

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