... für Leser und Schreiber.  

Neulich im Waschsalon.

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© Gerald W.   
   
Kürzlich entdeckte ich im Internet, es war wohl der „Stern“, dass irgendwo in New York Lesungen sogar im Waschsalon gemacht werden. Ich habe zwar eine Waschmaschine zuhause – klein aber mein! - doch hätte ich keine, ginge ich natürlich auch in so einen Waschsalon in der Nähe.
Sicherlich würde ich dort, nachdem ich meine Wäsche in eine der Maschinen gepackt hätte, sofort gemütlich vor mich hindösen, während sich die Trommel dreht und es schäumt. Ich würde wohl nur so an dies und an das denken. Mal nach draußen schauen, dort die Leute beobachten, wie sie vorbei kommen. Vielleicht würde ich auch über die Arbeit nachgrübeln. Kurz ich würde mich einfach mit mir selbst beschäftigen, ohne Fernsehen, oder schlichtweg einschlafen.
Und in dieser kuscheligen Situation stelle ich mir nun vor, wie plötzlich eine wild lärmende Gruppe die Tür weit aufreißt. Zugige Kälte saust sofort in den Waschsalon und mir in den Rücken. Ich hebe deshalb halb verärgert,halb entsetzt die schweren Augenlider ein wenig an. Es sind etwa sechs Männer und Frauen die wild gestikulierend in den Raum hinein stampfen. Ich starre sie an, sie starren mich an. Kampfesmine im Gesicht.
„Sind ja nur Wenige heute da !“, murrt die stämmige Frau ganz vorne und knallt ihre Tasche missmutig neben mir auf die Bank.
„Hat sich wohl herum gesprochen!“, meint der muskelbepackte Kerl hinter ihr kleinlaut.
Wenige? Ich schaue mich um. Ach, da sind ja tatsächlich noch zwei Personen gekommen, während ich geschlafen habe. Sie starren die Eindringlinge eben so verstört an.
Noch eine Tasche wird auf die Bank gepfeffert auf der wir sitzen.
Instinktiv und gemeinschaftlich weichen wir vor diesen Eindringlingen zurück, drücken uns in das äußerste Eckchen der Bank, denn entweichen können wir ja nicht. Wir müssen erst warten bis unsere Wäsche fertig ist. Wir heben überrascht unsere Brauen, denn diese Leute holen keineswegs schmutzige Wäsche hervor. Sondern kleine sorgfältig gefaltete Zettelchen. Brillen werden gezückt. Jemand nimmt ganz besonders mich ins Visier und dann rattert auch schon die erste Person – es ist eine rundliche, sehr aufgeregte Frau - einer Gewehrsalve gleich – ihren Text herunter. Er ist ziemlich lang, ich gähne deshalb nach einem Weilchen, um damit auszudrücken, dass ich genug gehört aber nichts verstanden habe, da sie nuschelt. Doch sie hat kein Erbarmen. „Der Knüller kommt ja noch“, vertröstet sie mich, weil ich unruhig mit dem Hintern auf meiner Bank hin und her geruckelt habe. Sie hat eine etwas feuchte Aussprache, und darum brauche ich mich wohl abends nicht mehr zu waschen. „ ...und zwar ganz am Ende!“ fügt sie noch etwas spritziger hinzu. Ich hole mir ein Taschentuch und tupfe mein Gesicht ab. Das Wort ´Knüller`erinnert mich an etwas, nämlich daran, dass vielleicht inzwischen meine Hemden zerknüllen. Darum springe ich auf, um zur Maschine zu eilen, aber die Dame hält mich eisern fest. Sie hat ganz schöne Muckis an den Oberarmen und drückt mich zurück in die Bank. „Sie bleiben erstmal sitzen!“, erklärt sie mir. Und deshalb wische ich mir abermals das Gesicht. Zwar bin ich schon mal sitzengeblieben, das war in der elften Klasse, aber es macht ihr wohl nichts aus, dass ich es auch heute tue.
„Bravo Beate!“, jubelt die Kampftruppe, kaum , dass das letzte Wort ihren feuchten Lippen entfleucht ist. Sie selbst und ihre Genossen klatschen jetzt wild.
Wir drei bleiben zwar ruhig, aber das scheint kaum zu stören. Schon hat der Nächste seine Waffe entsichert ...äh, seinen Zettel entfaltet. Er holt tief Luft, blickt dann aber erstmal feierlich um sich.
„Also....“ beginne ich, ehe der noch zum Lesen kommen kann.
Seine Augen leuchten begeistert auf. „Ich war wohl etwas schnell?“, fragt er.
„Ja“, erwiderere ich.
„Sie wollen sicherlich noch etwas zu Beates Text sagen?“
„Äh...!“
„Für aufbauende Kritik sind wir jederzeit dankbar!“
„Naja, eigentlich...“ „
„Nur zu, keine Hemmungen!“
„Also, ich will mich dann mal um meine Wäsche kümmern !“
Ein empörtes Raunen macht sich im Waschsalon breit. Tödliche Blicke streifen mich. Mein Nachbar zieht deshalb die Schultern hoch und der dritte, ein ziemlich kleiner schmächtiger Mann, duckt sich sicherheitshalber.
Schon beginnt der nächste mit seinem Text. Auch bei dem verstehen wir kaum etwas, weil er nämlich zu leise spricht. Ich versuche deshalb die Gelegenheit zu nutzen um ein wenig zu schlafen. Doch diesmal ist der Text sehr kurz. Sofort fahre ich wieder zusammen, weil abermals laut geklatscht wird. Mein Nachbar und ich wollen uns jetzt aber wirklich erheben. Da werden wir – diesmal von zwei stämmigen Kerlen aus der Lesekampftruppe – wieder in die Bank zurück gedrückt. „ Also ich finde...“ , sagt mein Nachbar. „ Man sollte vielleicht erstmal einen Schnarchkurs ...äh ...Sprachkurs, so einen für Rhetorik besuchen. Und jetzt will ich mich um die Wäsche...“
Die Kampftruppe hebt die Fäuste Richtung meines Nachbarn. Wüste Worte werden laut. Schrilles Geschrei ertönt, bei dem wir abermals kaum etwas verstehen – was wir sehr begrüßen.
Nachdem bereits der vierte des Vorlesetrupps uns, diesmal mit einem ungereimten Liebesgedicht, überrascht hat, verliert mein Nachbar entgültig die Nerven. Er hat sich inzwischen mit unserem zwergwüchsigen Leidensgenossen verbündet - das übrigens während der Leseprobe zu einem experimentellen Roman - sich mit ihm abgesprochen und stürzt sich nun auf die nächsten zwei Vorleser. Ich ahne, was meine Kameraden vorhaben. Ich entreiße dem einen, den noch jungfräulichen – weil noch nicht vorgelesenen - Text. Eine wilde Schlägerei bricht dabei aus, aber es gelingt uns, ihnen auch einige Euronen zu entwenden und die beiden Werke zu entweihen, einfach in die nächstbeste Waschmaschine zu stopfen. Wo wir den schnellsten Schleudergang eingestellt haben.

Nun, hocke ich gerade daheim hinter dem Sofa, denn es ist bestimmt die Polizei, die geklingelt hat. Stille herrrscht plötzlich. Ich schleiche mich zum Fenster, schaue auf die Straße.
Entsetzen durchfährt mich, denn was ich dort sehe ist schrecklicher, als alle meine schlimmsten Vorstellungen. Denn dort unten steht die Vorlesetruppe und winkt mir zu. Sie haben meine Adresse. Zitternd öffne ich das Fenster. Rufe irgendetwas Wirres nach unten. Da jubeln sie mir auch schon zu. Es ist alles sehr undeutlich, aber ich meine, dass sie mir vergeben hätten und mich nun auf freundliche Weise in meiner Wohnung von der guten Qualität ihrer Texte überzeugen wollen. Und wieviele Bücher ich denn kaufen möchte.
Sie hätten besonders viel Experimentelles.

Tja, so könnte es vielleicht bald bei uns in Deutschland aussehen! Warten wir es ab.
Sollte meine Waschmaschine dereinst ihren Geist aufgeben, wasche ich meine Wäsche sicherheitshalber zuhause mit der Hand.
 

http://www.webstories.cc 05.05.2024 - 15:50:46