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Ahrok 2.Band - 26. Kapitel

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©  Jingizu   
   
Sechsundzwanzigstes Kapitel: Auge in Auge

Ariane saß auf dem kuschlig weichen Fell eines Höhlenbären und starrte in sich gekehrt auf die tanzenden Flammen im Kamin. Es war ein so wunderbarer Abend gewesen mit Musik und Tanz und schwerem Wein, aber all die schönen Annehmlichkeiten waren dennoch einfach so an ihr vorbeigerauscht, ohne ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu hinterlassen. Schritte näherten sich so leise wie die Tatzen einer Katze auf Beutezug und ein Paar feingliedrige Finger legten sich auf ihre Schultern.
„Was ist heut los mit dir meine Liebste?“, erklang die warme Stimme an ihrem linken Ohr.
„Es ist nichts.“, antwortete sie.
Aber anstatt jetzt zufrieden zu nicken und mit einem Zwerg auf Sauftour zu gehen, blieb der ehemals fremde Mann unbeirrt an ihrer Seite.
„Ich muss kein Magier sein, um zu erkennen, dass dich etwas bedrückt.“
„Ach Gilbert, du…“, sie griff nach einer seiner Hände. „Es geht um ihn.“
„Um ihn? Du meinst deinen Verlobten?“, seine Stimme war immer noch warm und weich, aber sie kam nicht umhin zu bemerken, wie seine Hände einen Hauchweit von ihren Schultern abrückten. „Sagtest du nicht, dass es zwischen euch vorbei ist?“
„Das ist es auch.“, beteuerte sie rasch und drehte sich zu ihm um. „Es ist nur… seit Wochen erreicht uns keine Nachricht mehr von der Expedition.“
Der hochgewachsene Hofmagier schenkte ihr als Antwort ein Lächeln und sie war gerade zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den leichten Anflug von Enttäuschung und Trauer dahinter zu erkennen.
„Ich hab mir in den letzten Wochen so oft gewünscht, dass er nicht wieder kommt. Ich hab mir gewünscht, dass er einfach von einem Dämon aufgefressen wird und jetzt… jetzt sind diese Wünsche vielleicht wahr geworden.“
„Hör auf.“, unterbrach er sie.
„Es ist meine Schuld, wenn er…“
„Es ist nicht deine Schuld.“, Gilbert zog sie in seine Arme, „Es ist nicht deine Schuld. Er hat sich dieses Leben ausgesucht. Der Namenlose sagt: ´Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert sterben.´ Mach dir bitte keine Vorwürfe wegen Dingen, die du nicht beeinflussen kannst.“
Stille legte sich über die beiden auf dem Bärenfell und nur das Knistern der Holzscheite begleitete ihre Atemzüge.
„Darf ich… darf ich heute Nacht hier bei dir bleiben?“, fragte sie zögerlich.
Gilbert antwortete nicht sofort, doch dann nickte er.
„Natürlich darfst du.“

Ahrok folgte dem untoten Mädchen, welches Abzählreime singend durch die Straßen hüpfte. Beinahe bei jedem Schritt vergewisserte er sich, dass ihn Ragnar auch wirklich immer noch begleitete. Die Dunkelheit um ihn herum bedrängt ihn, sprang ihn an wie ein wildes Tier und nagte an seinem Verstand. Er hatte den Eindruck, dass das Licht des Quarzes immer schwächer wurde, aber hier in dieser grauenhaften Umgebung war er sich seiner Sinne nicht mehr sicher.
Seine Ohren nahmen nur noch den fröhlichen Gesang aus der toten Kehle wahr und seine Augen sahen nur den bleichen, hüpfenden Körper. All das trieb ihn langsam, aber ausdauernd in den Wahnsinn. Allein das schwere Stück Metall in seinen Händen gab ihm hier unten etwas Zuversicht.
Die Häuser und Wohnlöcher links und rechts von ihm lagen außerhalb des Scheins des Lichtquarzes und nichts auf dem Weg diente ihm als Orientierungsmöglichkeit. Liefen sie nun schon eine Stunde diese Irrwege entlang, oder waren es erst ein paar Minuten? Ahrok konnte es nicht mehr sagen, denn er hatte sämtliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Das dringende Bedürfnis nach Vorsicht klingelte mit schrillen Alarmglocken in seinem Hirn, aber er wagte es dennoch nicht, seine Schritte zu verlangsamen, aus Angst das Zwergenmädchen aus den Augen zu verlieren und dann wieder allein in der Dunkelheit zu stehen.
Der Wunsch sich jetzt an einem schönen Ort mit viel Sonnenschein zu befinden hielt sich etwa die Waage mit dem dringenden Bedürfnis den Dämon zu erschlagen. Ragnar widmete in der Zwischenzeit ihrer Umgebung mehr Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich studierte er bereits die Gebäude um sie herum und suchte nach weiteren Anzeichen von Gold, Edelsteinen und was Zwergen sonst noch so lieb und teuer war. Es regte Ahrok insgeheim schon wieder auf, wie wenig der Zwerg darauf bedacht schien, ihrer tatsächlichen Aufgabe nachzugehen, nämlich diesen Jonas zu töten. Der Valr hörte ansonsten Steine wachsen, aber hier und jetzt hatte er sie nicht einmal zu einem monströsen Dämon führen können. Da stimmte doch etwas nicht. Auf dem verdammten Schiff war etwas mit ihm passiert, denn seither verhielt sich der Zwerg immer seltsamer.
Ahrok drehte sich gerade wieder zu Ragnar um, als seine Füße gegen etwas stießen. Sogleich sprang er einen Satz zurück und brachte den Abschlachter nach vorn.
Doch da war nur das tote Mädchen. Es hatte angehalten, vielleicht um ihnen etwas zu zeigen, und er war mit ihr zusammengestoßen. Jetzt lag sie mit ihrem Gesicht auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Sie war einfach umgefallen und lag jetzt leer und geistlos zu seinen Füßen. Erstaunlicherweise beruhigte es ihn, das tote Mädchen jetzt so leblos zu sehen.
„Was hast du schon wieder angestellt?“, meldete sich auch gleich der Valr hinter ihm.
„Nichts.“, rechtfertigte er sich rasch.
„Das sieht mir aber nicht nach ´nichts´ aus. Warum liegt unsere Führerin jetzt da auf dem Boden und gibt keinen Mucks mehr von sich?“
„Ich… ich hab sie nur angerempelt.“
Ein fauliger Luftzug wehte an ihren Gesichtern vorbei und eine Stimme rollte wie ein flüsternder Donner durch die Straßen.
„So schwach… so hungrig…“, die Worte kamen aus der Richtung, die direkt vor ihnen lag und rasten wie eine Flutwelle über sie hinweg. „Was ist gescheh´n…? Sagt es mir. Wo ist sie? Wo ist die Magie?“
Ahrok war für einen kurzen Moment eingeschüchtert, dann festigte er jedoch den Griff um sein Schwert und rannte los.
Je weiter er kam, desto stickiger wurde die Luft, denn der Gestank des Todes kroch durch diese Straßen, drang ihm in alle Poren, nahm ihm den Atem. Am Rande des Lichte erkannte er nun immer häufiger die Überreste von ehemaligen Bewohnern des Caers.
„Komm zu mir… komm ins Dunkel… ich hungere…“, befahl das schleichende Flüstern.
Ahrok stolperte über einen abgenagten Oberschenkelknochen und kam mit einem überraschten Schrei ins Straucheln, nur indem er sein Schwert in den Boden rammte, verhinderte er einen Sturz. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln und die vor Zorn und Furcht gleichermaßen zittrigen Gliedmaßen wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Kommt… ihr alle…“
Die stimmlosen Worte hallten von allen Wänden wieder. Sie kamen von vorn, von hinten und von allen Seiten. Erst als er das Geräusch schwerer, zwergischer Stiefel vernahm, die neben ihm hielten, kehrte ein Teil der verlorenen Zuversicht zurück. An diesem Ort, an dem die finstere Einsamkeit nur ein paar Armeslängen entfernt lag, gab es nichts Beruhigenderes als die Anwesenheit eines Freundes mit einer dicken, großen Axt.
„Da vorn ist er.“, Ragnar wies mit dem Kopf des Wyrmspaltrs hinaus in die eintönige Schwärze.
Ahrok machte ein paar zögerliche Schritte und mit einem jeden offenbarte der Schein des Quarzes mehr und mehr Tote um ihn herum. Berge abgenagter Leichen stapelten sich links und rechts von ihm höher als der Leuchtquarz es ihm zeigen konnte.
„Ich hasse diese Welt.“, ertönte es direkt vor ihm und das Geräusch knackender Knochen folgte diesen Worten.
Nach zwei weiteren Schritten beschien das blaue Licht das abstoßende Wesen vor ihm. Ein wabernder, schwabbeliger Fleischberg erhob sich nur drei Armeslängen von ihm. Das Ding war doppelt so groß wie er selber.
„Diese widerlichen Körper…“, der Dämon zerbrach soeben einen weiteren Knochen und schlürfte das Mark heraus. „… wie haltet ihr das nur aus?“ Ein geradezu winziger Kopf, verglichen mit dem Rest des Körpers, betrachtete ihn neugierig. „Wie schön, dass mich endlich jemand besucht. Willkommen in meinem Gefängnis.“, der Kopf zeigte ein verzerrtes, breites Grinsen, das geradezu furchteinflößend war. „Was bist du nur für ein wunderliches Ding…?“
Ahrok brachte den Abschlachter zwischen sich und den Dämon, doch dieser hob abwehrend die viel zu kurzen Arme.
„Lass deine Waffe stecken, kleiner Bastard. Ich hege keinen Groll gegen meine ersten Besucher. Sag mir nur… was ist geschehen? Wo ist die Magie? Wo ist sie hin?“
Ein Leichnam löste sich aus den Bergen der Toten und wankte auf den Dämon zu. Dieser packte ihn, als er in Reichweite der Stummelarme kam und führte ihn zu seinem Mund.
„Bist du Jonas?“, Ahrok blickte angewidert weg, als der Dämon seine Zähne im Bauch des Toten vergrub und schmatzend die Innereien verschlang.
Der Dämon wischte sich den fauligen Eiter vom Kinn und grinste ihn erneut an.
„Diese Welt hat so viele Regeln… so viele Namen, die man kennen muss… Körper, die immer wieder und immer mehr Nahrung brauchen… Sag mir kleiner Bastard: Gefällt es dir hier wirklich?“
„Es wird mir hier gleich viel besser gefallen, wenn ich dich getötet habe.“
Jonas legte den angefressenen Leichnam zu Boden und kicherte wie ein kleines Mädchen.
„Töten… sterben… so seltsame Worte, so seltsame Regeln... wenn eure kleinen Körper zerfallen, dann verschwindet ihr einfach. Mich würde das sehr beunruhigen…“
Ahrok hatte dem Wesen zwar zugehört, aber die Worte ergaben für ihn keinen Sinn. Dieser Jonas saß wie eine fette Ratte hier unten in seinem Loch und fraß sich an den Menschen satt, die sich hier versteckt hatten. Er wollte dem Dämon nicht weiter zuhören. Er wollte dieses böse Ding nur noch umbringen.
Ansatzlos beschrieb der Abschlachter einen weiten Bogen, doch noch bevor die schwere Waffe auf den Dämon traf, warf sich ein Dutzend Leichen in den Weg des Schwerts. Eine dicke Schicht aus faulem Fleisch und morschen Knochen stoppte die Klinge, bevor sie dem Dämon auch nur nahe kam.
„Ich kann doch nicht zulassen, dass du diesen Körper beschädigst. Nicht nach so langen Jahren des Wartens. Ich bin so hungrig…“, ein weiterer, wilder Angriff wurde durch eine erneut auftauchende Wand von Toten aufgehalten. „Ich hab so lange gedürstet… Geh fort kleiner Bastard. Folge diesem Weg. Dort hinten liegen die glänzenden Dinge, die ihr in dieser Welt so sehr schätzt. Geh deines Weges und stell dich nicht gegen mich.“
Immer mehr Tote erhoben sich, krabbelten aus den Leichenbergen und bauten eine Mauer um den Dämon. Erst ein Dutzend, dann zwei, dann war es ein ganzer Schock. Eine kleine Armee aus verfaulten und halbverspeisten Männern und Frauen versperrte ihnen nun den Weg. Ihre Augenhöhlen waren leer, die Haut rissig und trocken und ihre Bewegungen so falsch und unnatürlich, als ob sie mit dem Tod nicht mehr an die Gesetze der Anatomie gebunden waren.
„Hör auf dich zu verstecken!“, brüllte Ahrok und hieb mit dem Schwert vier der wackelnden Untoten von der Stelle. Doch schneller als er die Waffe wieder in Position bringen konnte, hatten Andere ihren Platz eingenommen.
„So viel Wut.“, lachte die Stimme des Dämons, „Es steckt dir im Blut, nicht wahr?“
Ein weiteres Mal schlug Ahrok zu und zerteilte doch nur morsche Knochen und totes Fleisch.
„Oh hohoho da fliegen noch ein paar. Ich erinnere mich an die zwei. Sie haben bis zu Letzt gehofft, dass alles noch gut ausgeht… Es macht dir Spaß auf sie einzuschlagen, nicht wahr? Es bereitet dir ebenso Freude, wie es mir welche bereitet hat.“
„Hör auf! Komm her! Komm her!!!“, wie ein Wilder drosch er auf die ständig wachsende Wand ein, ohne sie überwinden zu können.
„Oh nein, oh nein.“, kreischte Jonas mit verstellter Stimme jedes Mal wenn das Schwert auf einen der Toten traf, „Tu mir nicht weh, tu mir bitte nicht weh.“ Der wabbelige Fleischberg wackelte vor Lachen.
Ahrok senkte das Schwert und lehnte sich keuchend auf die Parierstange des Abschlachters. Die letzten Wochen hatten sehr an seiner körperlichen Verfassung gezehrt und die Waffe war so ungeheuer schwer. Jeder Hieb kostete Unmengen an Kraft und richtete dennoch nichts an. Der Boden zu seinen Füßen war mit den Stückchen der Körper übersät, die er zerteilt hatte, aber der Dämon hatte nicht einmal einen Kratzer.
„Komm endlich her!“, brüllte er.
„Nein.“, war die belustigte Antwort.
Ragnar trat neben ihn und blickte sich um.
„Es muss ziemlich aufwendig sein, all diese Toten auferstehen zu lassen. Da muss eine ganze Menge Magie am Werk sein… und Magie gibt es zu dieser Zeit nicht gerade im Überfluss.“
Das Lächeln des Dämons fiel in sich zusammen.
„Ah der Zwerg. So klein, so haarig und immer am Graben, Graben, Graben. Hör nicht auf seine Lügen. Er ist nicht so wie wir… Ich hab ihn beobachtet, seit ihr hier angekommen seid. Ich hab gesehen wie er dich ansieht, wenn du ihm den Rücken kehrst. Er ist neidisch auf dich und er will die Schätze dieser Höhle für sich allein. Zwerge werden verrückt, wenn sie Gold riechen. Sei vorsichtig. Trau ihm nicht.“
„Ich soll ihm nicht trauen?“, Ahrok hätte trotz der bizarren Situation beinahe laut aufgelacht. „Der Kleine ist mein Freund und ich glaube, du hast Angst vor ihm.“
„Ey sag mal… hast du mich grad ´Kleiner´ genannt?“
Ahrok zuckte zusammen. Er hatte ganz vergessen wie empfindlich und vor allem unberechenbar gewalttätig der Valr reagieren konnte, wenn man ihn auf seine Größe ansprach.
„Ragnar das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für sowas!“
„Hör nur, wie neidisch er auf deine Größe ist.“, flüsterte es von überall. „Sie sind immer so. So klein und so unförmig. Von Missgunst zerfressen. Erschlag ihn, bevor er diese Axt gegen dich wendet.“
„Klein? Missgünstig und unförmig?!“, Ragnars Augen drohten aus den Höhlen zu treten. „Du mieser, fetter…“
„Haltet die Klappe! Alle beide!“, er hob sein Schwert und legte es auf der Schulter ab. Seine Muskeln waren müde und die Gelenke schwer, aber es gab schon lange kein Zurück mehr. „Ich glaube Ragnar hat Recht. Dir geht die Magie aus, um all die Leichen hier zu beleben.“
Ahrok schlug zu und schickte wieder ein paar Körper damit zu Boden.
„Hör auf!“
„Du kannst dich nicht ewig verstecken.“
„Ich sagte dir ´Hör auf, kleiner Bastard.´ also zieh deiner Wege, oder ich werde DICH töten.“
„Droh nur so viel du willst. Ich hacke mich durch den ganzen Caer, um zu dir zu kommen.“, Ahrok hieb erneut auf die Mauer der Toten ein.
Ein schwaches, gelbes Leuchten ging urplötzlich von den Umrissen des Dämons und erfasste die umliegenden Leichenberge. Körperteile und Knochenstücke ruckelten zitternd über den Boden, erhoben sich in die Luft und fügten sich aneinander. Erst war es nur ein wirrer Klumpen verrottetes Fleisch und Knochen, doch mit jedem Leichenteil nahm es weitere Formen an, bis ein gigantisches, untotes Monstrum zwischen ihnen und dem Dämon stand. Es besaß den Kopf eines Zwerges, der auf mehreren zusammengewürfelten Oberkörpern steckte und darunter erstreckten sich lange, dicke Beine, wie sie nur Trollen gehört haben konnten. Mit zwei seiner vier Arme führte es eine lange Sense, die nur aus bleichen Knochen bestand.
Ein markerschütterndes Brüllen erklang, als die Kreatur zum Leben erwachte.
„Ich hab dich gewarnt.“, erklang Jonas´ Stimme aus der Dunkelheit hinter dem Monster.
 

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