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Alconia im Bann der Dämonen - 4.Teil - ein fantastischer Roman

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©  doska   
   
Narobir hatte sich hinter einem Mauervorsprung versteckt und linste schon seit einem ganzen Weilchen zu Dietmar hinüber. Ein merkwürdiger Kautz war das Kerlchen. Lief hier immerzu den Wehrgang auf und ab und murmelte andauernd etwas angestrengt vor sich hin. Die ganze Zeit schon beobachtete Narobir den seltsamen Jungen und der hatte ihn noch immer nicht entdeckt. War er denn hier wirklich so schwer zu sehen? Narobir hatte sich also recht gut versteckt. Aber so lange in dieser Nische zu kauern, direkt an der zugigen Mauer zu hocken, war auf die Dauer doch recht ungemütlich, ja, fast schmerzhaft, denn die Glieder schliefen einem dabei ein. Da wünschte er sich schon lieber jene Krähe zu sein, welche direkt über ihm auf dem Sims kauerte, denn die fand das da wohl recht gemütlich. Ihr dichtes Federkleid hielt ja auch warm. Er hingegen trug nur die dünnen Stallknechtlumpen. Der kühle Abendwind machte dieser Krähe überhaupt nichts aus. Nur hin und wieder pustete er die drei kleinen weißen Federn an ihrer Brust frei. Merkwürdig, warum war diese Krähe nur so auffällig gezeichnet? Es gab wohl auch in der Natur Ausnahmen, die eben irgendwie aus der Reihe tanzten.
Sein Blick wanderte bei diesem Gedanken wieder zu Dietmar. Der war jetzt an einer bestimmten Stelle des Wehrganges stehen geblieben und schaute grübelnd hinab. Ja, das hatte er sich schon so gedacht, dass sich Dietmar in die Tiefe stürzen, seinem Leben ein Ende setzen wollte. Aber, verdammt, warum dauerte das solange? Dietmar hielt einen kleinen Schemel in den Händen. Wollte er den etwa hinab werfen? So etwas Dummes. Puh, das war schon arg langweilig. Konnte Narobir sich nicht einfach erheben, an Dietmar vorbeilaufen. Nein, das ging nicht mehr. Dietmar würde ihn fragen, von wo er denn so plötzlich herkommen würde und was er hier zu suchen hat. Knechte durften hier nicht so einfach hinauf. Narobar konnte nicht lügen. Darin war er schon immer schlecht. Warum nur war er bloß so neugierig gewesen? Nun hockte er hier blöd herum, statt die Pferde zu füttern. Er versuchte sein Gewicht irgendwie anders zu verlagern, damit die Beine nicht mehr so schmerzten. Es raschelte und die Krähe flog auf. Narobirs Herz klopfte, das musste Dietmar doch gesehen haben? Nein, hatte er nicht. Er schaute gar nicht hin, so schwermütig war er. Heheeee, wenn nun doch etwas Spannendes passierte, würde er der Stallbursche Narobar heute noch Mittelpunkt unter all den Knechten sein. Alle würden ihm endlich mal zuhören.
Da endlich! Narobir sah, dass Dietmar am ganzen Körper zittert, als er auch noch das rechte Bein an den Zinnen vorbei über die Burgmauer schieben wollte. Mit beiden Händen hielt sich der Junge an der Zinne fest und versuchte das Gleichgewicht zu halten. Irgendwie bekam er das Standbein vom kleinen Schemel nicht weg, auf den er gestiegen war. Die Dämmerung kam mit aller Macht. Der Burggraben lag im Schatten und Nebelfetzen waberten aus der Tiefe bis zu Dietmar hinauf. Der Junge blickte jetzt nicht mehr in die Tiefe, hielt die Augen geschlossen.
Er wollte es vermutlich endlich seinem Onkel zeigen. Narobir wusste, dass Dietmar oft von dem Grafen gehänselt wurde. So etwas spricht sich natürlich überall herum. Dennoch hielt sich Narobirs Mitleid in Grenzen.
Dietmar riss die weit Augen und sah mit einem Male ganz entschlossen aus. Er dachte wohl an den obligatorischen Spruch seines Onkels, dass ihm der Mumm fehlen würde, sich selbst zu töten.
„Was machst du da, Junge?“, hörte man plötzlich eine weibliche, etwas heisere Stimme. Narobir reckte den Hals und sah von seinem Versteck aus, dass wohl eine Frau den Wehrgang hinaufgekommen war, die Dietmar trotz der Dunkelheit entdeckt hatte. Sie sprach mit einem leichten Akzent. Der Lichtschein ihrer Fackel hatte ihr wohl dabei geholfen. Sie beleuchtete nun den Wehrgang völlig und näherte sich dem verstörten Dietmar, während sie beruhigend in ihrer seltsamen Sprache auf ihn einredete. Eine Hand legte sich schließlich quer über Dietmars beide Hände, die noch immer an der Zinne klammerten! Billiger Schmuck blitzte dabei am Handgelenk der Frau auf.
„Mein Schicksal… geht dich ...gar nichts an!“, zischelte Dietmar nervös. Obwohl er sich ganz bestimmt nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen wollte, schien er doch neugierig zu sein, wer diese Frau war, denn er schaute sich nach ihr um.
Wenig später wollten wohl noch ein paar Leute den Wehrgang zu ihr hinauf, denn sie riefen ihr irgendetwas in dieser eigenartig singenden Sprache von unten zu. Die Gauklerin, denn so eine war sie ganz gewiss, das konnte man ihrer bunten Kleidung ersehen, antwortete und schon stiegen die zwei Männer, sie sich in weite schwarze Umhänge gehüllt hatten, die Leiter zum Wehrgang hinauf. Der Vorderste trug ebenfalls eine Fackel mit der er nun die ganze Umgebung beleuchtete. Bis auf den kurzen Wortwechsel, waren sie fast lautlos gewesen und verständigten sich nun aufgeregt untereinander mit verschiedenen Handzeichen. Die Helme, die sie trugen, waren mehr als seltsam.
Narobir lehnte sich noch etwas mehr vor in seinem Versteck und riss verblüfft die Augen auf, denn es waren übergroße Krähenköpfe aus Pappmaché mit vielen angeklebten schwarzen Federn. Ernste dunkelhäutige Gesichter, blickten, nachdem sie sich auch mit der auffällig gekleideten Frau in dieser eigenartigen Gebärdensprache ausgetauscht hatten, Dietmar aus den geöffneten Rabenschnäbeln entgegen. Unten im Burghof wurde es laut, denn man rief nach den dreien in dieser typischen singenden Sprache, die wohl nur Dietmar als einziger auf der Burg beherrschte. Und da fiel Narobir auch ein, dass Dietmars Onkel den Jungen ja eigentlich heute als Übersetzer brauchte, weil der zum Abschluss des großen Festessens, denn der König würde ja schon morgen abreisen, baranische Gaukler, Musikanten und Tänzer eingeladen hatte. Narobir wusste nun, dass da unten zwei... nein, sogar drei ihrer bunten Planwagen in den Hof einfuhren und er hörte jetzt auch den Jubel des niederen Burgvolkes, zu dem auch er gehörte. Die drei mussten nur auf ihren Pferden vorausgeritten sein.
„Haut ab von hier!“ herrschte Dietmar die dunkelhäutigen Gaukler an, von denen der eine, mit einer verstohlenen Geste, gerade eine schwarze Feder von seiner Schulter strich, und der andere indes zu den Zinnen gelaufen war und hinab in den Burggraben mit seiner Fackel leuchtete. „Ich mache, was ich will und da könnt ihr mich nicht dran hindern!“, schrie Dietmar aufgebracht.
Doch die etwa vierzig bis fünfzigjährige Barani mit den schulterlangen krausen Haaren wollte nicht aufgeben. „Tu`s nicht.“, sagte sie leise. „Du hast noch dein ganzes Leben vor dir !“
Dietmar schüttelte ihre Hand von sich ab wie eine lästige Fliege. „Welch ein abgedroschener Spruch!“, schimpfte er. „Ich hatte und habe nie eine Zukunft. Meine baranische Mutter starb durch den Krieg als ich etwa fünf Jahre alt war und ich wurde von Hof zu Hof ....“
„Jaja, der Krieg!“, unterbrach ihn die Barani traurig und ihre mandelförmigen Augen schimmerten feucht. „Wir haben viele ...sehr viele der unsrigen verloren. Unser Volk ist fast ausgestorben...“ Doch dann riss sie sich wieder zusammen. „Du darfst es einfach nicht tun , Dietmar. Hörst du? Dein Volk braucht dich und wir brauchen dich auch.“
„Mich ...einen Mischling …einen Bastard? Ich …ich bin ein Versager…so wie eigentlich alle baranischen Mischlinge. Ach, und dazu bin ich auch noch zimperlich, ein …ein baranisches Weichei eben. Außerdem…wo…woher kennt ihr eigentlich meinen Namen?“ Er betrachtete die seltsame Barani verwirrt, denn die schrägen Augen funkelten rötlich, im Schein ihrer Fackel, so als wäre sie eine Hexe, eine schöne dunkle Hexe zwar, mit viel zu großen Ohrringen, aber irgendwie tatsächlich eine Hexe!
„Vielleicht weil ich eine Hexe bin?“, beantwortete die Barani Dietmars Gedanken und warf ihm dabei einen eigenartigen Blick zu.
Dietmar lachte plötzlich hysterisch, ja, er konnte gar nicht mehr damit aufhören. Der hatte wohl vorher ganz schön getrunken, um auch ja zu seiner Tat fähig zu sein.
Die Barani lachte nun auch. Es war ein heiseres sehr warmes Lachen.
„Wenn du tatsächlich zaubern könntest...“, begann Dietmar von neuem, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte. „...hättest du doch damals dein Volk vor diesem großen Krieg beschützt, nicht wahr?“
„Das hätte ich gewiss, aber ich konnte nicht zaubern.“
Dietmar musste wohl zugeben, dass er sich viel besser in Gegenwart dieser Frau fühlte. „Und du kannst es auch heute nicht, richtig?“
„Richtig, es sind nur Tricks!“
„He, es ist nicht fair, dass du meinen Namen kennst, ich aber nicht deinen?“
„Du willst meinen Namen wissen ? Der wird dir nicht gefallen. Oh, man ruft mich Makimba! Was tatsächlich in der Sprache der Baranis so etwas ähnliches wie Hexe heißt! Nur hat eine Hexe bei uns eine ganz andere Bedeutung. Aber steige doch bitte wieder von der Brüstung herunter und komme zu uns, ja?“
„Das werde ich auf keinen Fall tun, Makimba. Meinst du denn, dass jede dahergelaufene Barani mich mit ein paar flotten Sprüchlein von meinem Vorhaben abhalten kann? Nein, so weichmützig bin ich nicht!“
„Na, ich denke nicht jede Barani, aber die berühmte Makimba vielleicht?“ Die Barani tippte sich stolz an ihre mit vielen Ketten behangene Brust.
„Berühmt, das ist es ja eben!" wisperte Dietmar traurig. "Ich werde nie ein berühmter Ritter sein!“
„Vielleicht ein berühmter Bauer?", schlug Makimba vor. " Wer weiß es? Wie kommst du eigentlich zu der Feststellung, dass du ein Weichei, oder wie du das sonst noch nennen magst, sein müsstest?“
„Das sagt immer mein Onkel!“
„Ist er die Wahrheit?“
„Du willst mich irritieren! Weißt du was, Hexe, verschwinde mitsamt deinen komischen Krähenmännern, damit ich in Ruhe springen kann, denn die Menschheit braucht keine Waschlappen, sie braucht Helden.“
„Wer sagt, dass du keiner sein wirst?“, entgegnete Makimba.
„Für einen Moment zögerte Dietmar und Makimba hielt den Atem an, schloss die Augen und wartete, denn sie wusste, jetzt konnte jedes weitere Wort verkehrt sein.
„Du willst mir nur die Welt schönreden.“, sagte er traurig. „Weiß ich, weshalb du das machst, aber es ist zu spät. Ich habe zu viel Schlechtes erlebt, um überhaupt noch an das Gute zu glauben. Verstehst du? Ja, wäre ich ein Mädchen geworden, so wie Alconia, hätte man mir vielleicht meine Weichheit verziehen und ... Nein, wie schrecklich, ich Trottel! Ich habe ja noch das Medaillon von ihr ...hier nehmt es und gebt es dem König zurück.“
Dietmar warf es Makimba vor die Füße. „Der König soll Alconia von mir grüßen. Es war eine schöne Zeit mit ihr. Die einzige ...“ Und dann zog er plötzlich auch noch zweite Bein auf die Brüstung zu sich hoch, hielt sich dabei nur mit einer Hand an der Zinne fest, drehte sich blitzartig und stürzte hinab.
Narobir hockte noch immer in seinem Versteck, er rührte sich nicht, obwohl ihm alles weh tat. Und nun war Ihm auch noch kotzübel. Ooooh ging es ihm schlecht. Er bereute es ja so sehr, gewollt zu haben, unmittelbarer Zeuge dieses schrecklichen Schauspiels zu sein. Keinerlei Stolz regte sich in seiner Brust, nun endlich als Einziger all das den anderen Knechten und Mägden erzählen zu können.
Ach, er war ja auch gar nicht der Einzige. Es gab ja noch die Hexe, die davon berichten konnte. Ob sie wohl eine wirkliche echte Hexe war? Eine Echte die nicht zaubern konnte – merkwürdig!

Fortsetzung folgt
 

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