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Berserkor der übelst Schreckliche (Arbeitstitel)

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©  Jingizu   
   
Prolog

Die Kluft war breit und die Felsen so spitz und scharfkantig, dass sie einem leicht die Hände zerschneiden konnten, wenn der Sprung danebenging. Schnee und ewigwährender Frost machten dazu das Gestein auf beiden Seiten rutschig. Schlimmer als diese gefährlich glatten Stellen war nur noch, dass es zwischen den beiden Felsvorsprüngen viele hundert Meter steil bergab ging. Ein riesiger Mann stand auf der einen Seite, auf der anderen gab es diese große Höhle.
Seine blasse Haut blitzte nur hier und da unter seiner dicken Rüstung aus Bärenfell und seinem gehörnten Helm hervor. Stahlblaue Augen suchten trotz der Finsternis dieser sternenlosen Nacht nach einer geeigneten Stelle für eine Überquerung des Abgrunds.
Der Hüne schnalzte nach erfolgloser Suche unzufrieden mit der Zunge und blickte über seine Schulter hinweg nach Osten. Ein kleiner Fetzen frisches Blau, das zaghaft über die Felshänge der Drakeberge kletterte, kündigte den baldigen Sonnenaufgang an und ermahnten ihn, sich zu beeilen. Der Klingenschwanz schlief womöglich nur noch wenige Minuten und wenn der Drache erst erwachte, würde der Kampf mit ihm um so viel schwerer werden. Ganz zu schweigen davon, dass sich das feige Schuppenmonster bei den ersten Anzeichen von Gefahr aus dem Staub machen würde und er die Jagd von vorn beginnen müsste. Klingenschwänze waren zwar für ihre todbringenden Klauen und schneidende Angriffe mit dem besagten, stachligen Schwanz berühmt, nicht jedoch für ihren Mut. Diese Echsen verließen ihr Revier beim den ersten Anzeichen von Gefahr und kehrten meist jahrhundertelang nicht mehr zurück. Doch dass sie so schwer zu fassen waren, machte diese Beute für einen Drachenjäger nur noch attraktiver.
Er versenkte seine beiden gezahnten Schwerter wieder in ihren Scheiden und bereitete sich auf den Absprung vor. Es blieb nur noch Zeit für den direkten Weg und der führte nun einmal drei Meter durch die Luft.
Seine breite, stark behaarte Brust pumpte vor Erregung und Vorfreude, während er sieben Schritte zurücktrat, um Anlauf zu nehmen.
Ein marscherschütterndes Brüllen drang aus der Höhle und ließ seine langen, blonden Haare im schwefligen Atem des Lindwurms wehen. Er kam zu spät, der Drache war bereits erwacht. Doch der Hüne lächelte nur grimmig. Vier raumgreifende Schritte brachten ihn an den Rand der Kluft. Mit einem gewaltigen Sprung setze er über den tiefen Abgrund mit seinen spitzen, scharfen Felsen hinweg. Noch in der Luft zog er seine Schwerter und landete sicher auf der anderen Seite der Schlucht. Er hielt nicht einmal inne sondern rannte ungebremst weiter voran in die pechschwarze Höhle hinein, aus der noch immer dieses schaurige Gebrüll erklang.
Sein blondes Haar, reifbedeckt, wehte wie die Fahne eines stolzen Ritters, als er den Unterschlupf des Ungetüms betrat. Der riesige Wikinger stutzte kurz, als er in den hell erleuchteten Drachenbau gelangte.
Grelle Flammen brannten auf den geschmolzenen Felsen und der Drache jagte einen schmächtigen Jungen durch das Flammenmeer, so wie eine Katze eine Maus jagt. Der Junge hatte seine Axt fortgeworfen und versteckte sich so gut es ging hinter dem hölzernen Schild, welches jedoch kaum einem weiteren Angriff des Klingenschwanzes standhalten würde. Ein Hieb mit dem stachelbewehrten Schwanz riss den Schild vom Arm des Jungen und ließ diesen quer durch den Raum segeln.
Mit einem wilden Gebrüll, das dem des Drachen gleichkam, stürzte sich der riesige Mann auf die Flammenechse, die ihn bisher gar nicht bemerkt hatte. Tausende Male geschärfter Stahl prallte auf steinharte Schuppen und Klauen. Schwarzes Drachenblut floss sogleich aus mehreren kleinen Wunden.
Der überraschte Klingenschwanz suchte sofort nach einem Fluchtweg, aber der Weg nach draußen war ihm durch den gewaltigen Krieger versperrt. Seiner einzigen Fluchtmöglichkeit beraubt und in die Ecke getrieben fauchte die Bestie rauchgeschwängerte Drohungen. Ein Flammenstrahl brannte sich durch die Höhle, doch der Hüne wich dem feurigen Angriff geschickt aus und griff wiederum seinerseits an.
Funken flogen und der feurige Atem des Drachen erlosch, als der Wikinger sein Schwert bis zum Heft in die wenig geschützte Brust des Lindwurms rammte und somit sein Herz durchbohrte.

Sehen Sie das? Das bin ich.
Nein, nicht der, der soeben auf den toten Drachenleib steigt, um dort heldenhaft zu posieren. Ein Stück weiter links, da neben den Stalagmiten. Ja genau und jetzt noch etwas nach unten. Ich bin der, der sich gerade aus dem Haufen Geröll wühlt, in das ihn der Klingenschwanz geschleudert hat. Meine schöne, neue Rüstung ist völlig dahin. Nur noch ein Häufchen schwelendes Bärenfell und wofür? Den Klingenschwanz hat mir dann doch noch Erik der Drachenschlächter weggeschnappt, dabei hatte ich ihn als Erster aufgespürt. Meine Eltern werden begeistert sein…
Ich bin Berserkor. Berserkor der übelst Schreckliche mit vollem Namen. Sohn von Hendrik dem grausam Grinsenden und Helga der Kopfabreißerin. Ein vierzehn Jahre alter Spross einer angesehenen Familie aus Drachenjägern, Monsterschlächtern und Ungeheuertötern. Ob klein, ob groß, ob jung, ob alt, alle sind wir etwas Besonderes. Es fing damals mit Uroma Liesl der Herzfresserin an, die von allen im Dorf mittlerweile nur noch liebevoll Herzi genannt wird. Sie hat damals vor über sechzig Jahren erfolgreich für die Frauenquote in der Heldengilde gekämpft, indem sie alle ihre männlichen Konkurrenten erst besiegt und danach ihre Herzen verspeist hatte. Die gigantischen Rundungen ihres Brustpanzers sind noch heute im ganzen Land ein inspirierendes Symbol für angehende Drachenjägerinnen. Und all ihre Kinder und Kindeskinder setzten diese Tradition fort. Nicht das Herzverspeisen, nein, aber eben das Heldentum. Es gibt also durchweg nur wahre Helden in meiner Familie. Vorreiter. Streiter für das Gute. Mächtige Wikinger allesamt. Nennen sie irgendein Monster. Es gibt niemanden in der Familie, der nicht schon dutzende davon erlegt hat. Nun ja… bis auf einen in der Familie.
Der Klingenschwanz sollte nicht nur mein Meisterstück, sondern auch mein erster, richtiger, erlegter Drache sein und dann kam der blöde Erik dazwischen. Erik mit dem wallenden Haar. Erik dessen Unterarme dicker sind als meine Oberschenkel. Erik mit den strahlend blauen Augen und dem hinreißenden Lächeln, das jedes Mädchen von hier bis hinauf zu den Fjorden verzaubert… Erik eben.
Schon in der Heldenschule tut er sich immer hervor.
Schnellster im Köpfeabhacken, Bester im Axtweitwurf, Inhaber des Preises für die beeindruckendste Heldenpose, unbesiegt im Schwertkampf… ich könnt seine Erfolge noch ewig weiter ausführen.
„He! He Berserkor! Sieh her! Wie seh ich aus?“
Erik stand auf dem Rücken des toten Drachens. Den rechten Fuß auf dessen Schädel und die Arme in die Hüfte gestemmt reckte er den Kopf gen Höhlendecke, als gäbe es dort etwas nur für ihn sichtbares zu sehen.
„Gut.“, bestätige ich hilflos.
„Das stimmt.“, nickt er selbstzufrieden und verstaut die blutigen Schwerter wieder in ihren Scheiden.
„Das war mein Drache.“, murmel ich eine kaum hörbare Anklage, aber Erik, Erik mit den ach so hübschen und guten Ohren, hört das natürlich.
„Sah aber eher danach aus, als würde der Drache dich jagen.“, lacht er fröhlich.
Er meint es nicht böse. Ich glaube der gute Erik weiß nicht einmal wie das geht, aber dennoch tun seine Worte weh.
„Ich hab ihn nur müde gemacht.“, verteidige ich meine fruchtlosen Bemühungen, obwohl ich weiß, dass kein Wort davon wahr ist. Selbst dieser junge Klingenschwanz war eine Nummer zu groß für mich gewesen.
„Und ich hab ihm den Rest gegeben. Wir sind eben ein gutes Team Bersi.“, lacht er und schon wieder ist kein Hohn in seiner Stimme.
„Ja Erik.“, murmele ich schon wieder.
Es wird Zeit nach Hause zu gehen und von Eriks Erfolgen bei der Jagd zu berichten. Mama wird sicher nicht erfreut sein, dass die neue Rüstung so zerschlissen ist, ohne dass ich einen Drachenkopf mit Heim bringe und außerdem ist morgen wieder Schule. Oh man… ich hasse es ein Drachenjäger zu sein.
 

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