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Die Liebhaberin

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© Michael Kuss   
   
DIE LIEBHABERIN.
"Wir haben ein bisschen gefeiert!" lallte Linda und schwankte zur Tür herein. Linda hatte viele Jahre als Stewardesse gearbeitet. Nach der zweiten Entziehungskur war sie zum Gepäckschalter versetzt worden. Noch eine Abmahnung, und die Entlassung bei der Airline wäre fällig gewesen.
Wenn Linda angetrunken ist, hat sie sich zunächst unter Kontrolle. Meistens bemüht sie sich, ihren Schwips zu verbergen und ihre lallende Stimme unter Kontrolle zu halten. Aber sie kann auch, vor allem wenn man sie provoziert, von einer Sekunde auf die andere ausflippen. Daran hätte ich an diesem Abend denken und die peinliche Unterhaltung auf einen günstigeren Moment verschieben müssen.
Sie hatte ihr Auto am Flughafen gelassen und war mit dem Bus gekommen. Ich habe den Schlüssel zu ihrer Wohnung, hatte aufgeräumt, ihren Slip, den Massagestab und die Weinflasche unter dem Bett hervorgeangelt, den Müll entleert und die Kaffeemaschine mit den angebrannten Resten ausgeschaltet. Dann hatte ich das Abendessen zubereitet und auf Linda gewartet.
"Der Gerichtsvollzieher war wieder da!" sagte ich. "Es sind noch Sechstausend offen! Ich konnte ihm nur die Hälfte zahlen! Du musst endlich selbst eine Lösung finden!" Ich konnte Lindas Schulden nicht mehr finanzieren. Ich habe noch eine geschiedene Frau und zwei studierende Kinder. Der Preis wurde zu hoch und auch nicht durch die frivolsten Liebesnächte mit Linda ausgeglichen. Linda war noch immer attraktiv und erotisch und dreißig Jahre jünger als ich. Aber meine Fleischerei war kein permanenter Goldesel...
Linda starrte auf die dampfenden Kartoffeln. "Das Essen ist vergiftet!" platzte sie heraus. Ich hätte durch ähnliche Eskapaden gewarnt sein müssen. Aber ich lachte gekünstelt und sagte leichthin: "Klar! Ich will dich um die Ecke schaffen und mich mit deinen Schulden auf und davon machen!"
"Du hast das Essen vergiftet! Ihr Metzger seid alle Mörder!" schrie sie jetzt. Mit einer Handbewegung fegte sie den Teller auf den Teppich. Dann rannte sie auf die Toilette und schloss sich ein. Nachdem ich den Teppich gesäubert und das Geschirr aufgeräumt hatte, klopfte ich an die Toilettentür und versuchte es mit Sachlichkeit und Lockung: "Ich fahre jetzt mit Fritz zum Flughafen, dein Auto holen! Du wirst es morgen brauchen!"
Sie öffnete und stand in der Toilettentür. Sie schwankte jetzt stark und stierte vor sich hin; in der Hand eine halbvolle Whiskyflasche. "Du willst also mit meinem Auto abhauen!" lallte sie. "Und mich hier mit deinem vergifteten Essen verrecken lassen!"
Ich hatte sogar mit einem Psychotherapeuten über das Problem gesprochen. Er hatte für Linda die Möglichkeit einer beginnenden Schizophrenie angedeutet, mit ausgelöst vom Alkoholismus. Die Fernsehnachrichten der letzten Wochen hatten wohl auch noch zu Lindas Wahnvorstellungen beigetragen. Wie soll da ein ohnehin übersensibles Persönchen noch Nerven behalten? Ich konnte sie ja verstehen. Aber ich bin doch auch nur ein Mensch!
"Linda! Du bist betrunken, schön und gut! Aber jetzt ist Schluss mit dem Theater! Sonst ...!"
"Sonst ...?!" Sie stierte mich an. "Sonst ...!? Du willst mir also drohen? Ausgerechnet du!" Sie schrie hysterisch. "Schleicht sich hier bei mir ein, wohnt schon fast hier, ich prostituiere mich für deine paar Euro, die du mit deinen vergifteten Bouletten verdienst, und jetzt willst du mir auch noch drohen?! Du Schlappschwanz kriegst kaum dein Ding noch hoch und fummelst jede Nacht an mir herum wie eine halbe Portion, und diese Hanswurst will mir drohen ...!“
"Linda, das ist doch wohl ...!" sagte ich empört. Jetzt ging sie aber zu weit!
"Was ist das? Was?“ fauchte sie. „Oder willst du mich auch noch schlagen?" Sie hielt mir das Gesicht hin. "Los, schlag zu! Immer feste drauf! Willst wohl beweisen, dass du wenigstens da noch ein Mann bist, du -, du impotenter Gockel!"
Ich schlug zu. Ich hämmerte auf sie ein, bis sie auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte. Es war wie eine Erlösung. Dann rief ich die Polizei an und wartete ruhig auf ihr Eintreffen.
*
(Foto: www.apotheken-umschau.de)
 

http://www.webstories.cc 04.05.2024 - 13:48:38