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Raupe Nimmersatt

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© Luna Seele   
   
Irgendwann im Mai kletterte eine Raupe über den Sand im Blumentopf daher.
Woher die Raupe kam, weiß man nicht. Vielleicht war sie schon immer, gut versteckt, im Blumentopf gewesen. Vielleicht war sie auch aus den Fängen eines Vogels entflohen. Oder sie war die 7 Stockwerke bis zu dem Balkon, auf dem der Blumentopf stand, hochgeklettert.
Auf jeden Fall war sie nun da.
Sie sah sich plötzlich zwischen einer Menge Blumen und zwei davon hielt sie für besonders schön. Sie kletterte erst die eine, es war eine Lilie, ein Stückchen hoch, entsann sich dann anders und begann die andere zu erklimmen, diese war eine Rose. Dieses Schauspiel betrieb sie einige Zeit, bis sie sich schließlich für die Rose entschied. Sie war die schönere Pflanze, sie roch auch besser und sie fühlte sich bei ihr geborgen und sicher.
Sie dachte sich, nun wäre sie endlich zu Hause angekommen.
Einige Zeit fühlte die Raupe sich sehr, sehr wohl auf der Rose. Sie fraß von ihren Blättern, klammerte sich an den Stiel und dankte der großen Macht, die über sie und diese Rose wachte, dass diese so ein wunderbarer Ort war und ihr wunderbarer Weise auch die Stacheln entfernt wurden.
Doch die Tage vergingen und die schöne Blume begann krank zu werden. Die Raupe nahm sich zu viel von ihren Blättern, rutschte zu viel über den Stiel, so dass dieser brüchig wurde.
Die Raupe bemerkte diese Veränderung und es tat ihr leid und auch sie selbst fühlte sich nicht mehr so wohl wie anfangs, immer öfter bemerkte sie, dass sie auf einem welken Blatt saß, oder den Stiel gefährlich belastete, doch sie wollte nicht weichen, wollte dieses perfekte Plätzchen nicht aufgeben, um nichts in der Welt.
Doch es hatte ihr doch klar sein müssen. Sie war nur eine kleine Raupe, mit nichts verdiente sie diese perfekte Blume, sie hatte nicht das Recht, sich hier breit zu machen und die Rose darunter leiden zu lassen.
Und eines Tages, es war ein schöner Nachmittag und die Raupe hatte sich an den Boden der Pflanze gesetzt, um dieser ein wenig Raum zu lassen, wurde sie gesehen.
Ein großer Schatten fiel über sie, dass musste die höhere Macht sein, die über die Blumen wachte, deren Besitzer, Pfleger könnte man sagen. Beinahe deren Vater.
Die Raupe ahnte furchtbares. So schnell sie konnte, probierte sie, die Rose wieder zu beklettern, aber es war hoffnungslos. Erschütterungen ließen die Blume erbeben, die Raupe probierte ich festzuklammern, so gut es ging, aber die ehemals stabilen Blätter der schönen Pflanze rissen. Gemeinsam mit einem dieser Blätter segelte die Raupe über das Geländer. Sie dankte der Rose im Stillen, stellte sich vor, deren übrige Blätter würden ihr im Wind wehend zum Abschied zuwinken. Die Raupe fiel und fiel, Stockwerk für Stockwerk, das Blatt immer noch festumklammernd.
Mit diesem gemeinsam landete sie auf einem anderen Balkon. Auch hier stand eine Blume. Eine Margerite. Die Raupe mochte diese Art von Blume nicht. Und sie wusste, sie würde auf ewig an ihren perfekten Platz denken müssen. Sie war zu Hause gewesen, sie war glücklich gewesen, doch sie hatte diesen Ort zerstört und nun musste sie das nehmen, was sie bekommen konnte. Was sie verdiente. Die Margerite war welk. Braun und spröde wuchs sie aus der trockenen Erde. Die Raupe zog das Rosenblatt bis hinüber zu ihrer neuen Heimat. Niemals würde sie es loslassen.
 

http://www.webstories.cc 08.05.2024 - 22:54:17