... für Leser und Schreiber.  

Muss man Schönschreiben können?

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© Michael Brushwood   
   
Dem kleinen rundlichen Fritz, gerade mal zehn Jahre alt, konnte keiner von seinen bockigen Schulkameraden so schnell etwas vormachen. Das Schreiben beherrscht er aus dem Effeff, am Reck turnte er wie ein angehender Weltmeister und auch beim Umgang mit dem runden Leder schien er von seinem Vorbild, dem argentinischen Superstar Lionel Messie, einige raffinierte Dribbelkünste geerbt zu haben.. Nur eines war ihm nicht in die Wiege gelegt worden - nämlich das Schönschreiben! Darauf hatte der redselige Wuschelkopf absolut keinen Bock.
Warum auch! Die Ziffern und Buchstaben rationell in seine mit Eselsohren gezierten Schulhefte zu kritzeln war doch viel einfacher als die edle Kunst des Schönschreibens perfekt zu beherrschen.
Doch Blondschopf Elvira, die nette gutaussehende Klassenlehrerin, die schon des Öfteren ihre schönen blauen Glühwürmchenaugen auf ihren einzigen Lieblingsschüler geworfen hatte, wollte ihn eines Besseren belehren.
„Fritz, das mit deiner verflixten Krakelei, das kannst du dir künftig abschminken. Du bist doch der einzige Genie in meiner Klasse. Lass es dir doch mal in aller Ruhe durch den Kopf gehen! Wenn du erwachsen bist, kannst du mal ein ganz Großer werden, vielleicht sogar ein Superstar wie David Copperfield. Oder wird aus dir möglicherweise sogar ein herausragender Politiker. Jene intellektuellen Begabungen die es möglich machen mit flotten Sprüchen die stetig wachsende Nichtwählerschar aus ihren Hartz IV-Villen zu locken, hast du – ohne Wenn und Aber! Voraussetzung ist allerdings, dass du dich endlich mal lernst schön zu schreiben!“, legte ihm Elvira mit unmissverständlich strengem Blick ans Herz, mit jenem strengen Blick, den der Filius in seiner kurzen schulischen Blitzkarriere nur verdammt selten „genüsslich aufsaugen“ durfte.
Noch während die Lehrerin mit ihm Tacheles redete, begannen die Hälse seiner Klassenkameraden giraffenartige Ausmaße anzunehmen.
„Weshalb soll ich mir das Schönschreiben angewöhnen? Krakeln ist doch viel einfacher!“, konterte Fritzchen mit gewohnt-selbstsicherem Schmollmund, aus dem nicht zum ersten Male die passenden Worte wie von einem Felsvorsprung purzelnde Steine geronnen waren.
Elvira gelang es sogar ein haarkleines aufmunterndes Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern, furchte aber dennoch im gleichen Atemzuge tiefe Falten auf ihre schmale Stirn. Vermutlich der einzige Grund, weshalb Fritz seine forschen Augen plötzlich in eine andere Richtung lenkte. Sorgenvolle Blicke machten die Runde.
„ Bist du etwa nicht gewillt – natürlich erst wenn du später einmal mit beiden Beinen fest im Leben stehen wirst - den von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Armuts- und Reichtumsbericht zu schreiben? Das wäre doch ein lukratives Angebot, dass du dir auf keinen Fall entgehen lassen solltest!“
Auf alle möglichen Fragen – egal wie schwer diese auch wogen - vermochte der stets hochmotivierte Intelligenzbolzen die richtige Antwort zu finden. Hatte möglicherweise sogar ein unsichtbares Wesen eine Tube Leim in den Klassenraum geschmuggelt, um seinem unverdrossen plappernden Mundwerk endlich mal ins Handwerk zu pfuschen?
Fortan nahm sich Fritz die Worte seiner einstigen Klassenlehrerin zu Herzen. Er übte was das Zeug hielt und mit der Zeit stellte sich auch ein gewisser Erfolg ein. Einem steilen Aufstieg sollte nun eigentlich nichts mehr im Wege stehen.
Sollte!...

Fritz ist zu einem rechtschaffenen Menschen herangereift. Beruflich und familiär hat er festen Boden unter seinen Füßen gewonnen...
Eines schönen Tages schmuggelt sich die schmucke Elvira mit ihrem ausgesprochen tiefen Dekolletee und ihrem zugegebenermaßen ein bisschen zu knapp geschnittenen Jeansrock wiedermal in seine schräge bizarre Gedankenwelt ein. Aber sein wilder, aber dennoch an „Harmlosigkeit“ kaum noch zu übertreffender Blick, verfängt sich unwiderstehlich in Cindys leuchtenden Augen – die Augen seiner nicht minder hübsche Chefsekretärin, die sich - wie auf Kommando – spürbar geweitet haben.
„Du Cindy!“ Fritzens Worte sind mit einem Male im Halse steckengeblieben, zumal Cindys Mundwinkel plötzlich von solch entzückenden Lachfalten umspielt sind, die sogar – man höre und staune – seiner ohnehin schon leidgeprüften Hose infolge des Formens einer überaus merkwürdigen Beule unter gehörige Spannung versetzt haben. Ungeachtet dessen wagt Fritz einen erneuten Anlauf.
„Cindy – ob du es glaubst oder nicht. Ich möchte morgen beginnen mit dem Schönschreiben des neuen Armuts- und Reichtumsberichtes, den die Bundesregierung so dringend benötigt!“
„Da irrst du dich aber gewaltig, mein Schatz! Niemand hat die Absicht einen schön zu schreibenden Armuts- und Reichtumsbericht in Auftrag zu geben!
Ein gewaltiger Schreck durchfährt die Glieder des staunenden Herrn. Ein Schreck, dessen Ausmaß wie von selbst diese gespenstische Wölbung in der Reißverschlussregion seiner schicken Cordhose gelegt hat. Dabei hatte sich Fritz in den verflossenen Jahren so ins Zeug gelegt, um die wahren Künste des Schönschreiben in fabelhafter Perfektion zu vollenden, und nun das!
Der Geknickte sitzt wie betröppelt in seinem gemütlichen Schreibsessel und ruft in halbem Unterbewusstsein überraschend Cindys Worte „mein Schatz“ wieder in sein Gedächtnis zurück.
Ist doch schon etwas komisch, denn sein eigentlicher Schatz tigert unermüdlich durch das traute Heim, um dem Bronchien stressenden Hausstaub endlich mal zu Leibe zu rücken.
In seiner denkbar knapp bemessenen Freizeit gerät Fritz nämlich am gemeinsamen PC ständig ins Schwitzen, da sein Gedächtnis beim Schreiben seiner Kurzgeschichten ständig unter Strom steht. So bleibt der Frau nichts anderes übrig als den gesamten Haushalt mutterseelenallein allein zu schmeißen. Oder sie versucht einfach mal den Stecker zu ziehen. Auf diese famose Idee ist sein liebenswertes Pechmariechen allerdings noch nicht gekommen.
Und wenn, könnte ja Sekretärin Cindy beim Erstellen seiner spektakulären Horrorgeschichten noch helfend unter die Arme greifen, während es sich Mariechen derweil am knallig heißen Bügeleisen es sich so richtig gutgehen lässt.
Wie heißt es doch so schön?
Man gönnt sich doch sonst nichts im Leben!...
 

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