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Erwin

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© Wolfgang scrittore   
   
Erwin

Langsam war Elvira es leid, immer wieder mußte er alles sabotieren, was ihr gefiel und das heimtückische grinsen dabei, das seinem Gesicht einen verschlagenen Ausdruck verlieh.
Ja wirklich Erwin war ein stetig lästiger werdenes Ärgernis für sie, ein Haustyrann und Ekel.
Dass ihr Tagebuch „aus Versehen“ in der Altpapiertonne gelandet war, mochte noch ein Zufall gewesen sein. Das Tags darauf Willy, ihr über alles geliebter Dackel, beim Rückwärtseinparken von Erwin übersehen worden war, machte sie schon stutzig.
Jetzt hatte er aber allen die Krone aufgesetzt und Willy in den Häcksler gesteckt. Gerademal eine Woche nachdem sie ihn vom Tierpräperator so kunstvoll ausgestopft zurückbekommen hatte. Er hatte jetzt wieder seinen Lieblingsplatz auf dem Sofa unterm Fenster gehabt, wo er auch zu Lebzeiten gerne gesessen hatte.
„Was zuviel ist, ist zuviel“, dachte sie sich und beschloß zu handeln.
„Hat dir dein Tee etwa nicht geschmeckt Erwin?“
„Lausig wie alles was du kochst“, hatte er noch gebrummt, sich dann mit hochrotem Kopf ans Herz gefasst und war umgekippt, aus dem Leben geschieden.
Sie lächelte und beschloß ihre Idee, die sie schon seit ein paar Tagen mit sich herumschleppte in die Tat umzusetzen.
„Mein Gott, was bist du schwer“, murmelte sie, als sie ihn hinter sich her die Kellertreppe herunterzerrte. Erwin war zu Lebzeiten schon kein Leichtgewicht, aber jetzt als Leiche schien er noch mehr zu wiegen.
Selbst ist die Frau Elvira, du schaffst das schon, dachte sie und schritt zur Tat. Sie hatte dem Präparator damals in der VHS interessiert über die Schulter geschaut, war seine Meisterschülerin geworden und beherzigte jetzt dessen Vorgehen. Schritt für Schritt arbeitete sie sich voran, es war eine gewaltige Schweinerei, aber der Boden im Keller ließ sich gut abspritzen. Gott sei dank hatte Erwin im wahrsten Sinne des Wortes ein dickes Fell. Nachdem seine Hülle getrocknet und mit Glycerin imprägniert geschmeidig worden war konnte sie ihn weiter verarbeiten. Nur gut, dass vom Isolieren des Dachbodens noch jede Menge Steinwolle übrig geblieben war, für Erwins Gewichtsklasse brauchte sie reichlich. Langsam nahm ihr Erwin wieder Gestalt an, sogar seine häßliche Wampe kam lebensecht herüber. Mit grobem Faden vernähte sie den Balg und ließ ihn dann probesitzen, nachdem sie die Gliedmaßen zurechtgebogen hatte. So kam nackt kam es ihr aber unschicklich vor und sie streifte Erwin Wäsche und seinen ballonseidenen Hausanzug über. Sie konnte sich nicht verkneifen ihn auch mit dem verhaßten gelben Pullunder, den sie ihm einmal gestrickt hatte, auszustatten.
Wenn ihr jetzt nach Gesellschaft war, durfte Erwin in seinem Lieblingssessel sitzen, nachdem sie ihn abgestaubt hatte. Ansonsten verbrachte er seine Zeit in der Abstellkammer.
Er sagte nichts, das gefiel ihr am Besten.
 

http://www.webstories.cc 29.04.2024 - 18:03:11