... für Leser und Schreiber.  

Weihnachten im Wäldchen

105
105 Stimmen
   
© Wolfgang Reuter   
   
Es war einmal eine Waschbären-Familie, die hieß Wusch. Sie lebte in einem wunderschönen deutschen Wäldchen, an einem lustig plätschernden Bächlein gelegen, fast so eine Art Wassergrundstück also.

Eines Tages ging Frau Wusch zu diesem Bächlein, um – was Waschbären bekanntlich ja täglich tun – zu waschen. Und natürlich traf sie dort Frau Wisch, Frau Wasch, Frau Wosch und Frau Weisch. Auch was nun folgte, kann sich jeder vorstellen: Sie quatschten, tratschten und klatschten wie die Waschweiber.

Plötzlich aber kam Frau Wusch eine Idee: „Wie wäre es“, so überlegte sie laut, „wenn alle Tiere unseres Wäldchens gemeinsam Weihnachten feierten?“

Diese Idee kam sehr gut an. Denn es war in dem kleinen Wäldchen gar nicht so leicht, für jede Familie eine Weihnachtstanne zu schlagen. Noch zwei Feste – und der Wald wäre keiner mehr! So aber könnten sich alle um die eine große Tanne an der Lichtung versammeln zum gemeinsamen Fest.

Schnell sprach sich die Idee der Waschbären im Wäldchen herum, und alle Tiere lobten den guten Einfall. Nur die Ratten, die neidisch waren, nicht selbst auf diese Idee gekommen zu sein, hatten etwas zu meckern: „So ein Unsinn! Weihnachten ist ein Fest der Familie! Das muss jede Familie für sich alleine feiern! Diese blöden Waschbären mit ihren feuchten Einfällen! Typisch Ausländer!“

„Wieso Ausländer?“, fragten die Eichhörnchen, die eben Nüsse sammelten für den gemeinsamen Weihnachtsteller.

„Die sind doch eingewandert aus Amerika“ erwiderte eine Ratte mit Irokesenfrisur und pfiff verächtlich durch die schiefen Zähne.

„Ausländer raus!“ kreischten da schon vier Jungratten und begannen, den Gleichschritt zu üben. Und zwei fette Wildsäue, die in der Nähe gerade Eicheln fraßen, grunzten gedankenlos mit „Raus, raus!“

Da kam der Fuchs vorbei, der Rotpelz. Der hörte das stupide Gegrunze und Gepfeife und dachte sich: Na, die sind aber primitiv! Und damit hatte er wohl Recht. Dann aber überlegte er, wie er den Waschbären helfen könnte… Schon bald lief er kichernd davon.

Am nächsten Tag hing an vielen Baumstämmen ein Plakat mit der Losung:
Ratten und Schweine,
feiert alleine!

Am Weihnachtsabend trafen sich alle Tiere wie verabredet zu ihrer gemeinsamen Weihnachtsfeier an der großen Tanne. Es wurde ein sehr lustiges und schönes Fest, zu dem sogar ein paar Wölfe aus Polen und ein russischer Bär angereist waren.

Die Ratten und Wildschweine aber hockten abseits in einer Sauensuhle und weinten bittere Tränen ob ihrer Einsamkeit.

Ach – ginge es doch bei den Menschen ähnlich zu!

www.wolfgang-reuter.com, 01. 12. 2014
 

http://www.webstories.cc 18.04.2024 - 06:31:57