... für Leser und Schreiber.  

elfte Folge, Souterrain der Seele, Johanna Ringena

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© Novalis Breton   
   
"Was ist mit dir?", fragte William leise. "Ach, es ist nichts", Amanda schluckte, sie war so erschrocken. Sie konnte William doch nicht erzählen, dass sie Fabius gesehen hatte, seine eindringlichen dunklen Augen, dass er sich seit Jahren in ihrem Inneren eingerichtet hatte wie ein Kobold unter einer Baumwurzel.
"Was wirst Du nun mit diesem Zettel machen"?
Amanda griff nach seiner Hand, die sich von ihrer Schulter gelöst hatte, langsam und ein wenig traurig. Da lag eine Möglichkeit vor ihr, eine Möglichkeit, sich aus ihrer jahrelangen Einsamkeit zu befreien. Obwohl sie ihn erst gerade kennen gelernt hatte, fühlte Amanda sich bei William warm und geborgen und sie wusste, dass dieser erste Eindruck sie nicht täuschte.
Jedoch, was konnte dies gegen die Macht ausrichten, die Fabius immer noch über sie hatte?

Der Zettel.

Shit, hatte William anfangs gesagt. Bei längerem Nachdenken, so befand er, seien diese Worte obskur. Und es sei krank, soetwas in einer Kirche zu hinterlegen. Es gebe mittlerweile eine Menge Leute, die sich auf diese Weise profilieren wollten, indem sie geheime Botschaften an besonderen Orten auslegten in der Hoffnung, jemand würde sie finden und dadurch in Aufregung versetzt werden. Zumindest das habe der Schreiber dieses Zettels erreicht.
"Aber die Handschrift darunter?", wendete Amanda ein. "Ach Gott, auch eine Methode, Aufmerksamkeit zu erregen", entgegnete er.
"Weißt du, heute, wo du als Individuum gigantische Erwartungen befriedigen musst, die dir täglich überall präsentiert werden: in den Medien, in den beruflichen Anforderungen, im Freundeskreis, in der Familie. Du musst gut aussehen, schlank sein, immer "gut drauf" sein, erfolgreich sein, gesund sein ...."

Amanda hörte Williams warmer Stimme gerne zu, ein leichter Wind rauschte durch die Zweige der Zedern und sie war keinen Schritt weiter gekommen in der Frage, was sie mit dem Zettel anfangen sollte.
Als hätte William ihre Gedanken gelesen, sagte er abrupt:" Vergiss es, wirf den Zettel weg, es sind wahrscheinlich Worte irgendeines Aufmerksamkeitsfanatikers."

Sie waren wieder an der Terassentür angelangt, die noch offen stand und William bat Amanda, auf seinem Zimmer noch ein Glas Wein mit ihm zu trinken.
Sie lehnte ab.
Über Williams Gesicht floss eine Traurigkeit, die Amanda berührte, die sie zu ihm hinzog, aber Fabius' dunkle Augen ließen sie nicht los.
 

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