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Souterrain der Seele, zwölfte Folge, Johanna Ringena

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© Novalis Breton   
   
Amanda war nicht zufrieden, als sie in ihrem Bett lag und dem leichten Nachtwind lauschte, der in den Zedern vor ihrem Zimmer spielte.
Sie musste noch einmal jemand anderes fragen als William, denn einfach so konnte sie diese merkwürdigen Worte aus der Kirche in Seigné nicht stehen lassen.
Da hatte jemand vor oder vor gehabt, einen Menschen, eine Frau zu töten, und dann bittet eine andere Person bei der Mutter Gottes in Seigné um Hilfe für den, der töten will. Wann war das? Hatte es in den letzten Jahren hier einen Mord oder ein Tötungsdelikt gegeben?
Gott, war das alles absurd! Und Amanda wollte doch nichts anderes, als in diesem Sabbatjahr herausfinden, was mit Fabius geschehen war.
Amanda beschloss, am nächsten Tag Samira in's Vertrauen zu ziehen. Es würde ihr schwer fallen, das wusste sie. Erstens kannte sie Samira kaum, zweitens hatte sie Sprachprobleme. Würde sie Samira richtig verstehen, wenn diese ihr etwas erzählte?

Es wurde nichts aus ihren Plänen.
Das Frühstück am nächsten Morgen wurde wegen des guten Wetters auf der Terasse der alten Herberge eingenommen. Es versprach, heiß zu werden. Das bescheidene und doch beharrliche Konzert der Grillen begleitete das Petit Déjeuner, und die weißen Damastdecken auf dem langen Tisch aus schwerem Holz , geschmückt mit buntem Porzellan und mattem Silberbesteck, glänzten in der Morgensonne.
Auch hier, draußen auf der Terrasse, war es selbstverständlich, dass William neben Amanda saß. Und wieder saßen Jean-Pierre und Maguerite Graffe, der Historiker aus Paris mit seiner Frau, der Soziologin, ihnen gegenüber.

"Oder soll ich diese beiden einfach mal fragen," dachte Amanda und betrachte das Ehepaar.
Dr. Jean-Pierre Graffe war klein und fast schmächtig zu nennen. Niemand jedoch konnte sich seinen Augen entziehen, die, eisblau, in dem faltigen Gesicht des 75igjährigen ein unentrinnbares Eigenleben besaßen.
Seine Frau, Marguerite, hingegen, so wirkte sie zunächst, schlief schon den Schlaf des Alters.
Das jedoch trügte.
Gerade von diesem Schlaf angezogen, begann Amanda ohne zu zögern, ohne sich zu fragen, ob das auch richtig sei, plötzlich ihre Geschichte zu erzählen.
William starrte sie erschrocken von der Seite an.

Es war Marguerite, die aus ihrer Lethargie emportauchte, pfeilschnell wie ein Fisch. "Die Frage ist," sagte sie, " Muss man mit soetwas zur Polizei gehen?"
Es entspann sich eine angeregte Diskussion, in der William seine Position verteidigte, eben dieses nicht zu tun. Nach langem Hin und Her, Amanda schwieg dazu, die Grillen konzertierten weiter, beschloss man an diesem Morgen nichts weiter zu unternehmen.
Amanda atmete auf. Allerdings mehr, weil sie froh war, nicht mehr Gegenstand von Diskussionen zu sein, als vor Erleichterung, dass diese nun beendet schienen.

Sie wusste, dass ihr Aufenthalt in dieser Herberge, in dieser Region, erst der Anfang von etwas war, dessen Ende sie nicht einschätzen konnte.

"Was machen wir heute?" William riss sie aus ihren Gedanken. Wie sollte sie ihm klar machen, dass es ein "Wir" für sie, Amanda, heute nicht geben würde?
 

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