... für Leser und Schreiber.  

Uuuund schon bin ich weg...

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© Michael Fleischer   
   
Damit es keine Mißverständnisse gibt : ich lebe noch. Ich hab zwar keine Ahnung, wie lange es noch andauert, aber im Moment geht's mir eigentlich ganz gut. Ich bin nicht krank, ich habe keine Feinde in der Regierung und meine Depressionen sind bei weitem nicht so stark, um mich dazu veranlassen zu können, aus dem Fenster zu springen oder sonst noch irgendeine Dummheit zu begehen. Doch immer wieder beschäftigt mich diese "was-wäre-wenn"-Frage; und da meine ich nicht mal das, was nach dem Ende kommt, nein... ich denke eher daran, wie viele Menschen es eigentlich gibt, die dieser Ereignis nicht nur nicht gefreut hätte, sondern auch dazu veranlassen würde, ein bißchen darüber nachzudenken... na ja, was für ein Geschöpf ich war und wie mein Leben verlief und was ich so in dessem Verlauf machte - nicht nur meine Spinnereien, sondern, vielleicht, auch die Kleinigkeiten, die jemanden auf irgendeine Weise halfen oder wenigstens die, die niemandem Schaden zufügten.
OK, sie sind versammelt - all die, die mich zu tolerieren versuchten. Verwandte lasse ich gleicht weg, denn egal, wie sie zu mir stehen... ääh, standen, sie bleiben meine Familienangehörige, es bleibt ihnen ja nix Anderes übrig. Ich weiß nicht, ob meine Mutter jemanden zu meiner Beerdigung einlädt und ich weiß auch nicht so genau, ob es angebracht wäre, also läßt sich ein genaues Bild nicht vorstellen. Ich denke eher an die, die ich persönlich kenne und die mir... na ja, nicht egal sind.
Eine Weile dachte ich sogar daran, die Einladungen schon jetzt auszusenden, damit ich sicher sein kann, daß die Betroffenen da sein werden, vielleicht tue ich's sogar, irgendwann. Doch stellen Sie sich vor : ein Freund von Ihnen gibt Ihnen einen Umschlag mit einem entsprechenden Brief darin. Sie fragen ihn : "Was ist das ?", und da antwortet er : "Oh, ist nich' so wichtig, is' nur 'ne Einladung zu meiner Beerdigung, ich hoff', du kannst kommen ?" Na, wie hört's sich an ? Aber eigentlich wäre so was nicht genau das, was ich mir erwünsche. Ich meine, klar kommen sie alle zu dir (zu der Stelle, wo du jetzt liegst), keine Frage, schon deswegen, weil keiner danach gefragt werden möchte, wieso er nicht gekommen sei. Uhu. Aber soll ich eigentlich froh darüber sein ? Gleich danach gehen die wahrscheinlich ins Kino oder auf ne Party, wo sie dann noch einen Grund haben, sich zu besaufen. Stoßen wir auf Michael an, einen wunderbaren Freund, der viel zu früh von uns gegangen ist... Ah, fickt euch doch !
In all der Zeit, in der ich existiere habe ich mir wirklich viele Dinge gewünscht, sogar allzu viele, würde ich sagen. Solche, die schon am nächsten Tag wahr werden könnten, aber auch solche, die von dieser Welt meilenweit entfernt sind. Nein, nein, viele von denen wünsche ich mir immer noch, auch wenn sie so ziemlich märchenhaft sind. Egal. Doch wenn jemand, den ich vielleicht auch kaum gekannt habe, mit meinem Namen irgendetwas in Verbindung bringen könnte, wenn er ihn gleich vor "verstorben" hört, und auch wenn er nur dazu kommt, um sich am nassen grauen Stein mein Foto anzusehen und sich dann doch zu erinnern, wer der Bursche eigentlich war, dann... war's, vielleicht, doch noch wert ?
 

http://www.webstories.cc 02.05.2024 - 03:10:38