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Damals 9.Kapitel

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©  axel   
   
Einen weiteren persönlichen Kontakt zu dem Kaiser gab es für meinen Großvater leider nicht. Leider, deswegen, weil ihm dieser auch rein als Mensch sehr sympathisch war. Wilhelm der II. mit vollem Namen Friedrich, Wilhelm Viktor Albert von Preußen aus dem Hause Hohenzollern, zeigte sich nie hochnäsig. Er gab sich weltoffen und ganz natürlich, förderte die Wissenschaften und wollte keine Armut mehr in seinem Land. Er strebte mehr Gerechtigkeit an, auch für die Kleinsten und Schwächsten und konnte sich schrecklich darüber aufregen, wenn dies nicht geschah. Seine Macht war nicht so groß, wie sie einst die Kaiser hatten. Der Druck des gesamten Adels war stärker als er.
Es war nicht verwunderlich, dass er sogar seine einzige bildhübsche Tochter, zu dem „Bauernlümmel“ schickte, weil diese Probleme mit einem ihrer Pferde hatte. Julius beobachtete die Stute sehr genau und sie dabei ihn. Wer das sah, hatte den Eindruck, wenn er zum Beispiel dem Tier vorsichtig – fast zärtlich - die Mähne aus den Augen strich, dass sie dabei träumte, der schöne junge Mann mit dem warmen Herzen würde sie mit seinen langen schlanken Fingern so zart berühren.
Julius behandelte die Stute der Prinzessin tagelang ausgesprochen sanft, sprach leise zu ihr, steichelte sie immer wieder, auch am ganzen Körper und die Prinzessin war immer dabei. Ein solches Handeln war sie so gar nicht gewohnt. Das Tier war psychisch erkankt, aus welchem Grunde auch immer und hatte kein Vertrauen mehr zu den Menschen. Sigmund Freuds Theorien hatten sich zwar noch nicht durchgesetzt, doch Julius tat – rein vom Gefühl her – genau das Richtige.
Die Stute scheute bald nicht mehr bei jeder Kleinigkeit und als die Prinzessin den stattlichen gertenschlanken Julius auf ihrem Lieblingspferd ganz ruhig reiten sah, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Zum einen Teil deshalb weil ihr Pferd nun endlich geheilt war, zum anderen weil sie wusste, dass nun die traute Zeit der Zweisamkeit- denn oft hatten sie nicht nur über das Pferd gesprochen, sich auch miteinander unterhalten und waren sich näher gekommen - mit Julius Usterich bald vorbei sein würde. Sie waren sich mehr als sehr sympathisch.
Zwar hätte Julius als Reserveoffizier die Chance gehabt sogar in Adelkreise einzuheiraten, aber eine Prinzessin- das war nun doch ein bisschen zu hoch. Er berührte sie darum nur sacht, als sie zum ersten Male wieder im Sattel ihres Pferdes Platz nahm und reichte ihr die Zügel mit einem tiefen traumverlorenen Blick in ihre Augen. Die junge Prinzessin errötete deshalb und schaute dann schnell weg. Er schwang sich seinerseits in den Sattel seines treuen Wallachs und dann ritten sie nebeneinander. Julius verriet der Prinzessin seine Tricks, wie sie von nun an mit diesem Pferd klar kommen konnte, aber sie fragte ihn auch über etwas ganz anderes aus. Sie wollte vieles über seine Herkunft, über seine Jugendzeit wissen und als sie abstieg und das Pferd wieder in den Stall zurück geführt wurde, reichte sie ihm die Hand.
Er gab ihr einen Kuß auf den Handrücken ihres weißen Handschuhs und als er aufschaute, sah er, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Leben Sie wohl !“, stieß sie leise und gepresst hervor und dann wendete sie sich rasch um und ging zügigen Schrittes von dannen. Julius schaute ihr noch lange hinterher.
Wenig später lernte Julius ein junges Mädchen mit dunkelbraunen großen Augen und langen schwarzen Locken kennen und lieben. Sie stammte aus Ungarn, sprach aber inzwischen gutes Deutsch und war sehr heißblütig. Schon nach dem dritten Tag an dem er sie kennengelernt hatten, lud sie ihn in den großen Wohnwagen ein, der von zwei starken Kaltblütern gezogen wurde.
Für die damalige Zeit war das ernorm mutig und man könnte es vielleicht auch ein wenig leichtsinnig nennen, denn ein uneheliches Kind zu bekommen galt - obwohl der Kaiser sehr modern war und zur Empörung der Adelswelt sogar schwule Berater um sich hatte- als große Schande.
Vielen Familien, auch im einfachen Volke, war ein Kind ohne Vater derart peinlich, dass sie deswegen sogar ihre Töchter verstießen. Gefährliche Abtreibungen und Kindestötungen waren deshalb nicht selten. Johanna Morkuma fürchtete, aber wie gesagt, nicht all dies, denn sie war die hübsche Tochter einer Marketenderin, die ohnehin ein „lockeres Verhältnis“ zu Männern besaß. Johanna war der „Bastard“ wie man ein uneheliches Kind damals nannte Marika Morkumas. Wusste diese Frau welcher von den vielen Bekanntschaften, die sie inzwischen gehabt hatte, der Vater ihres Kindes war? Es interessierte sie auch gar nicht, aber sie liebte ihre einzige Tochter sehr, hatte damals auch aus diesem Grunde ausnahmsweise mal keine Abtreibung gemacht.
Johanna selbst hatte aber Charakter- wie man das damals nannte. Sie hatte nicht vor, wie ihre Mutter zu werden, obwohl sie ihr ansonsten nach besten Kräften half für den Lebensunterhalt zu sorgen. Sie wollte eines Tages ihre Jungfräulichkeit nur an den Mann vergeben, für den auch wirklich ihr Herz schlug. Dieses schlug heiß und innig für Julius Usterich, den sie in dem Moment kennen gelernt hatte, als sie seine Uniform, die jeder Soldat selber von seinem knappen Sold bezahlen musste, als Näherin ausbesserte. Sie schaute zu ihm auf, als sie noch rasch den Saum von einem seiner Hosenbeine festigen musste, blickte in dieses ausdrucksstarke Männergesicht, in diese temperamentvollen Augen und wusste von diesem Augenblick an, das ist der „Richtige“!
Ja, Julius, war der Mann von dem sie schon immer geträumt hatte. Ein feuriger Unteroffizier aus dem Ulanenheer, ein begnadeter Reiter und hochintelligenter Mann. Während ihre Mutter draußen die Waren hinter einem kleinen Stand verkaufte, den sie dicht am Waldrand und in der Nähe, der für den Ernstfall übenden Soldaten aufgebaut hatte und mit lauter heiserer Stimme, Schnupftabak, Tabakpfeifen, Tabak, Tee, salzige und süße Näschereien, alle möglichen und unmöglichen Arten von Alkohol, Schreibwahren und so weiter anbot, verlor nicht nur Johanna, auch Julius seine Unschuld. Er war noch Jungmann gewesen. Sie hatten sich bei diesem ersten Mal nicht gerade geschickt angestellt, auch weil er darauf bestanden einen „Pariser“ zu benutzen, denn Julius war auch darin fortschrittlich und benutzte bereits ein vernähtes Gummikondom. Nun aber lagen sie glücklich einander in den Armen.
Die Mutter war nicht gerade erfreut, als sie die Beiden entdeckte. Als er ging, schalt sie ihre Tochter aus :“ So brichst du also doch diesen Schwur, den du dir selbst gegeben hast. Meinst du denn, dieser geschniegelte Kerl wird dich heiraten, du dummes Ding? Er ist Ulan und noch dazu Unteroffzier. Bei uns sammeln diese Art Kerle Erfahrungen, nur um später die „höheren Töchter“ zu beglücken, die sie dann garantiert heiraten.“
Johanna weinte zwar, aber ballte ihre Hände zu Fäusten. Nein, das wollte sie nicht glauben. Julius war darin ganz anders als die anderen! Schließlich hatte sie eine gute Menschenkenntnis – oder vielleicht doch nicht?

Fortsetzung folgt:
 

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