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Parzivals Nacht

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© Rüdiger Honk Jones   
   
Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel, an dem kein noch so kleines Wölkchen ein wenig Schatten versprach. Die Stadt war zum Glutofen geworden. In den Nachrichten wurde von Temperaturen die knapp an die vierzig Grad heranreichen sollten geredet. Viele Menschen mußten schon ins Krankenhaus gebracht werden und auch die Totengräber würden wohl bald Überstunden zu schieben haben. Die Hitzewelle hielt nun schon die achte Woche ohne Unterbrechung an. Der Fluß, der die Stadt teilte, war nur mehr ein kleines Rinnsal. Unter normalen Umständen fuhren dort Binnenschiffe. In diesem Jahr aber war an Schiffahrt nicht zu denken gewesen. Die Trockenperiode nahm ihren Anfang schon im vergangenen Winter, in dem es kaum Niederschlag gegeben hatte.
Bald würde wohl das Wasser rationiert werden, wenn es nicht regnete. Die Gärten der Bürger lagen zum größeren Teil verdorrt da. Nur einige wenige verfügten über einen eigenen Brunnen, den sie zum bewässern nutzen konnten. Für alle anderen war es seit drei Wochen verboten Wasser zum bewässern oder sonstigen Zwecken die nicht mit der normalen Versorgung zu tun hatten zu entnehmen. Auch das Autowaschen war verboten worden.
Nun zug langsam die Nacht herauf. Doch Abkühlung brachte sie nicht mit sich. Der Mond zog auf und ein paar dünne Schleierwolken wurden von einer leichten Briese über den Himmel getrieben.
Parzival Prechtl lag auf seinem Bett, das Fenster weit aufgerissen. Der Ventilator blies mit höchster Stufe, brachte aber auch nur wenig Linderung. Er schwitzte wie ein Tier. Zwei mal schon hatte er sich kalt abgewaschen und lag nun in T – Shirt und Boxershorts auf dem Laken. Alles klebte schon wieder und er fragte sich ernsthaft, ob es Sinn haben würde, hier noch länger herum zu liegen und sich zu quälen.
Aber was gab es für Alternativen?
Fernsehen?
Spazieren gehen?
Noch einmal raus gehen in die Kneipe um die Ecke? Die hatten in diesen Nächten offen bis die Sonne aufging. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, dachte er sich. Doch als er an seine mageren Finanzen dachte, verwarf er diese Möglichkeit schnell wieder. Schließlich stand er auf und trat zum Fenster hin.
Die Straße lag tot und schwach beleuchtet vor ihm. Er fragte sich ernsthaft, warum er wie ein Rentner am Fenster hing und hinaus starrte. Meine Zukunft, dachte er. Aber erst in vielen Jahren. Parzival war anfang zwanzig und hatte vor kurzem seine zweite Ausbildung abgeschlossen. Zu erst hatte er Bankkaufmann gelernt, was ihm allerdings schnell langweilig geworden war. Dann entschloß er sich Maurer zu werden. Ein Job, der eigentlich so gar nicht zu ihm und seiner schmalen Statur passen wollte. Und besonderen Spaß hatte er auf dem Bau auch nicht gehabt. Trotzdem, so sagte er sich, war diese Zeit nicht vergeudet gewesen. Im Augenblick lebte er von seinen Ersparnissen, die er sich gut einteilte. Das Haus, in dem er wohnte, gehörte ihm. Erbstück seiner Großeltern. So sparte er sich schon einmal die Miete für eine Wohnung. Die Lage des Hauses war nicht besonders glücklich gewählt. Er hätte es lieber gehabt im Grünen zu wohnen. Aber sein Garten konnte sich durchaus sehen lassen, reichte er doch fast bis zur nächsten Parallelstrasse, die immer hin fünfhundert Meter entfernt verlief.
Seine Großeltern hatten es über die Jahre mit vielen Tricks geschafft, eine Teilung und Bebauung des Grundstücks zu verhindern. Wie lange ihm das gelingen würde, stand in den Sternen.
Der kleine Laden, der sich im Erdgeschoß befand, war seit einiger Zeit wieder neu vermietet. Ursprünglich sollte er das kleine Schreibwarengeschäft weiter führen. Doch nach einigen Monaten hatte er sich entschiede, es zu schließen.
Es sollte ein Atelier für seine Malerei werden. Oder eine kleine Werkstatt. Letzten Endes blieb es doch ein Laden, da er sich nicht dazu aufraffen konnte, die nötigen Umbauten zu tätigen.
Im Ganzen betrachtet konnte man durch aus sagen das er ein sehr fauler Mensch war. Nur nicht mehr tun, als unbedingt erforderlich war, das was seine Devise.
Während er so am Fenster stand und nachdachte, regte sich eine dunkle Gestalt in der kleinen Seitengasse, die unweit seines Hauses auf der gegenüber liegenden Straßenseite einmündete. Er beobachtete aufmerksam wie die Gestalt auf die Straße gerannt kam, sich eilig und mit gehetztem Blick umsah, und seinen Weg in Richtung Hauptstraße fort setzte. Nun ging er vollkommen normal, als wollte er die Straße entlang spazieren.
Parzival hatte den Mann beobachtet und zog sich während dessen eine Hose an. Dann überlegte er kurz, stieg eilig die Treppen hinunter und öffnete seine Haustür. Vorsichtig spitzte er hinaus, wobei er den Schlüssel in seine Hosentasche steckte.
Der Mann war schon ein gutes Stück weit weg gekommen. Parzival schloß leise die Haustür und ging vorsichtig in die gleiche Richtung, wie der schwarze Mann. Nach einigen Augenblicken blieb er stehen und duckte sich hinter einem Auto weg. Er spähte durch die Scheiben um den Mann weiter beobachten zu können, möglichst ohne selbst gesehen zu werden. Ein kleiner Stein pikte in seinen Fuß. Erst jetzt wurde ihm bewußt, das er barfuß unterwegs war. Das hatte er im Eifer des Gefechtes vollkommen vergessen. Doch er ignorierte den Schmerz.
Langsam stand er wieder auf und schlich geduckt weiter die Straße entlang, den schwarzen Mann immer im Auge behaltend. Was dieser wohl in der Gasse getan haben mochte, fragte er sich. Aber im Grunde genommen war ihm das gar nicht so wichtig. Viel interessanter fand er die sich bietende Zerstreuung an diesem heißen Abend. Besser der heißen Nacht.
Der Mann blieb plötzlich stehen und drehte sich blitzartig um. Parzival hatte keine Chance mehr sich zu ducken. Erschrocken hielt er inne, was ein großer Fehler gewesen war, wie er bald feststellte. Nun war es offensichtlich, das er den Mann in schwarz verfolgte. Parzival überlegte eilig, was er tun sollte. Dummer Weise wollte ihm keine passende Idee kommen. Und weglaufen war auch keine Option. Er hatte gesehen wie schnell sich der Mann in schwarz bewegen konnte. Er war hingegen eher gelenkig wie ein Stück Holz. Und vermutlich ebenso schnell. Es gab für ihn also nur wenig Möglichkeiten.
Mit einigen wenigen Schritten war der Mann auf ihn zugekommen.
„Was willst du?“ Fragte er laut und sehr agressiv als er gerade noch zwei Meter von Parzival entfernt war. In der linken Hand hielt er ein Messer, das er drohend hob.
„Äh... Ich laufe spazieren“ gab Parzival so ruhig wie möglich zurück. Nun war es entgültig ausgeschlossen der Situation zu entkommen.
„Das kannst du deiner Oma erzählen! Für wie blöd hältst du mich eigentlich,hä?“
„Das war vermutlich eine rhetorische Frage“ meinte Parzival ohne nach zu denken und schalt sich innerlich einen Narren.
„Ich frag dich nicht noch mal! Was willst du von mir?“ Sagte der Mann noch lauter als zuvor und stand nun unmittelbar vor Parzival. Dieser drehte sich leicht zur Seite um dem schlechten Atem des Mannes zu entgehen, was aber nicht ganz gelang.
Ein Fenster ging unmittelbar über den beiden Männern auf. Eine alte Frau mit wirrem grauen Haar streckte den Kopf heraus um zu sehen, was dieser Lärm zu bedeuten haben mochte. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihren Ärger ob der nächtlichen Störung
„Ist hier bald mal Ruhe“ polterte sie mit brüchiger Stimme los. „Wißt ihr Säufer eigentlich was die Uhr erzählt? Verschwindet bloß ihr Penner!“
„Meine Uhr spricht nicht! Mach dich rein, du altes Wrack und lutsch deine Herztabletten!“ Gab der Mann in schwarz eisig zurück und seine Stimme wurde dabei immer bedrohlicher.
„Frechheit“ krächzte die Alte und schloß ihr Fenster eilig wieder.
Parzival hatte geglaubt, dieser Zwischenfall könnte ihm die Flucht ermöglichen. Doch er täuschte sich. Während der Mann die alte Frau beschimpfte, hatte er ihn am Kragen seines T- Shirts gepackt und hielt ihn fest.
„So und nun zu uns beiden hübschen!“
Der Mann zerrte Parzival etwas in den Schatten eines Hauseinganges und hielt ihm das Messer an die Kehle.
Parzival sah ängstlich drein. Er wollte Mutig sein. Doch irgendwie wollte das nicht so recht klappen. Sein bißchen Mut hatte sich in dem Moment verabschiedet, da er das Messer an seinem Hals gespürt hatte. Er schwieg und wartete ab, was passieren würde.
„Ich denke, wir werden erst einmal zu dir gehen, süßer. Los mach vorran. Ich will hier nur ungern Sauerei machen in aller Öffentlichkeit. Aber ich tu es, wenn du mich zwingst! Und denk nicht mal dran zu schreien. Ich kann dich so schnell tranchieren, das dir nicht mal mehr schwindelig wird!“ Der Mann hatte die letzten Worte leise und energisch direkt in Parzivals Ohr gesprochen. Es bestand kein Zweifel. Es saß knie oder besser Hüfttief im Mist.
Parzival deutete mit dem Daumen hinter sich um dem Mann zu zeigen, wo sier lang mußten. Langsam gingen beide Männer die Strasse entlang. Parzival hoffte noch immer , das irgend jemand mitbekommen würde, in welch verzwickter Lage er sich befand.
Er wollte Zerstreuung. Vielleicht sogar Abenteuer. So allerdings hatte er sich das ganze nicht vor gestellt.
Aber nun mußte er eben zusehen, wie er mit dieser Situation fertig wurde. Und vor allen, wie er sie überleben konnte. Nun, es konnte sein, ihm käme eine Idee, wenn sie erst einmal bei ihm im Hause wären. Es mußte eine Möglichkeit geben. Allerdings wollte ihm noch immer keine zündende Idee kommen. Insgeheim verfluchte er den Moment, in dem er beschlossen hatte, diesem Fremden hinterher zu schleichen und sich in dessen Angelegenheiten ein zu mischen. Alles in allem eine scheiß Idee! Doch nun eben nicht mehr zu ändern.
„Wir sind da,“ sagte Parzival als sie an Hausnummer zweiundzwanzig angekommen waren.
„Gut. Schließ auf und geh vorsichtig hinein.Keine Dummheiten, klar?“
Parzival nickte und schloß auf, sich seinem Schicksal ergebend.
 

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