... für Leser und Schreiber.  

Klimawandel oder Robinson heute

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© Rosalina Brand   
   
Seine kleine Insel wurde immer kleiner. Noch vor einem Jahr war er nicht sicher gewesen, ob er sich dies nur einbildete oder ob es wirklich so war.
Aber seine Wahrnehmung hatte ihn nicht getäuscht. Der Mast mit der Signalflagge in der Nähe des flachen Ufers schien sich langsam, ganz langsam dem Wasser zu nähern. Das hat mit den Bewegungen des Meeres zu tun, hatte er sich gesagt, das Wasser wird wieder zurückgehen, den Strand wieder freigeben. Aber das Wasser zog sich nicht zurück. Da wusste er, dass das Meer am Steigen war und seine Insel langsam zu vereinnahmen begann.
Von Woche zu Woche beobachtete er, wie das Wasser stieg, der Mast immer kürzer wurde und sich unmerklich vom Ufer weg ins Meer hinaus entfernte, bis sich zuletzt nur noch die Flagge auf den Wellen des Meeres bewegte. Da schwamm er hinaus um sie einzuholen, schlug eine neue Stange in der Mitte seiner Insel ein und setzte sie dort, um die vorbeiziehenden Schiffe auf sich aufmerksam zu machen. Der alte Mast war nicht mehr zu sehen, das Meer hatte ihn verschluckt.
Das war der Zeitpunkt, zu dem der immer gleiche Albtraum ihn aus seinem unruhigen Schlaf aufzuschrecken begann: Er stand nahe bei der Signalflagge in der Mitte seiner langsam versinkenden Insel, das Wasser reichte ihm bis zu den Knöcheln, dann bis zu den Knien, bis zum Bauch, bis zum Hals. Da war zwar noch Grund unter seinen Füssen, aber was nützte ihn dieser Grund, so fest er auch sein mochte, er verlor jede Bedeutung, denn das Wasser stieg und stieg. Kurz bevor es über ihm zusammen schlug erwachte er.
Noch hatte er etwas Hoffnung, noch war sein Glaube an Rettung nicht ganz verloren aber die Zeit dafür wurde immer kürzer.
 

http://www.webstories.cc 05.05.2024 - 18:20:34