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Rilak! Ein fantastischer Roman 4. Kapitel

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© Irmgard Blech   
   
4. Kapitel
Am nächsten Tag ging Skipper tatsächlich nicht zur Schule, wartete nur darauf, dass es dunkel wurde und verließ dann die Villa. Es war der erste Ausflug, den sie gemeinsam mit Rilak im Freien machte. Wie immer trug sie ihn auf der Schulter in ihrem Haar versteckt und er machte keinerlei Anstalten – trotz der schönen frischen Luft - wegzulaufen, um wieder seine Freiheit zu genießen. Sie wollte sich nur eine Cola von der Tanke holen, danach stand ihr gerade der Sinn, und nun nahm sie eine Abkürzung schräg über die Straße. Sie staunte nicht schlecht, dass ihr „Tomate“ begegnete, denn die war immer so lieb und brav und lief eigentlich selten alleine durch die Nacht.
Tomate hieß eigentlich Beate. Sie war im Gegensatz zu Champ und Skipper eine eher unbeliebte Schülerin, die nicht sehr gut lernte und außerdem recht altmodisch und billig gekleidet war. Beate war so schüchtern, dass sie ganz schnell rot wurde, sobald man sie nur genauer ansah. Sie sprach wenig und das auch noch sehr hastig und undeutlich. Champ hatte Beate wegen dem ständigen Rotwerden „Tomate“ getauft und diesen Spitznamen wurde sie nun nicht mehr los. Tomate war nicht so groß und schlank wie Skipper eher klein und etwas pummelig. Hatte kurzes rotblondes Haar und Sommersprossen im Gesicht. Mit drei Geschwistern musste sie sich ein Zimmer teilen, denn sie lebte in ärmlichsten Verhältnissen.
Champ sprach deshalb meistens abfällig über sie. Auch sie war meist ein beliebtes Ziel seiner Spötteleien. Noch mehr allerdings musste Sebastian für derbe Scherze hinhalten. Sebastian, meistens „Basti“ oder auch „Bastard“ von Champ gerufen, weil dessen Mutter alleinerziehend und außerdem Polin war, hasste Champ geradezu und niemand wusste so recht, weshalb eigentlich, aber das war allen ganz egal. So manches Mal wurde der dürre Junge von Champ nicht nur lächerlich gemacht, auch noch von diesem völlig grundlos verprügelt und das immer unter dem Beifall der Klassenkameraden. Basti war zwar genauso groß wie Champ, aber schmächtiger und konnte es daher nicht mit ihm aufnehmen.
Basti und Tomate standen oft alleine auf dem Schulhof rum. Manchmal wurden sie bespuckt, manchmal getreten. Niemand wollte etwas mit ihnen zu tun haben, auch Skipper nicht. So versuchte sie noch im allerletzten Moment eine Begegnung mit Tomate zu verhindern. Sie versteckte sich hinter einem Baum, denn ihr fiel nichts Rechtes ein, was sie in einem solchen Moment ausgerechnet mit DER hätte besprechen sollen. Doch es war schon zu spät, Tomate hatte Skipper doch gesehen und errötete während sie grüßte wie immer. Doch kaum standen sie einander gegenüber, fragte sie ganz offen: „Nanu, du trägst ja eine Ratte auf der Schulter? Was sagen denn deine vornehmen Eltern dazu?“
Zum ersten Mal wurde auch Skipper rot und das ausgerechnet vor Tomate, wie peinlich. „Hast d…dddu aber gute Augen?“, stotterte sie verwirrt.
„Ja, das ist wohl das Einzige, was ich an Gutem habe!“, erklärte Tomate leise.
„Wird wohl so sein, denn klug und besonders hübsch bist du ja nicht gerade!“, redete sich Skipper einfach die Röte aus ihrem Gesicht und zupfte dabei hastig noch mehr Haare über Relak.
„Ja, das stimmt!“, bestätigte Tomate mit gesenktem Blick, aber errötete nicht ein weiteres Mal.
´Schade!`, dachte Skipper, die dumme Gans ist heute zäh, lässt sich nicht ablenken, also, folgt die härtere Methode. „Du erzählst niemandem darüber, was du gerade gesehen hast.“, zischelte sie nun hinter ihren blitzenden Zähnen hervor. Alles klar? Bedenke, Champ ist mein Freund, er hat eine Gang es könnte dir schlecht ergehen, wenn ich es nur will!“
„Ich denke, ihr habt euch zerstritten?“
Hm, ganz so blöd wie gedacht konnte Tomate dann wohl doch nicht sein. Obwohl sie ausgestoßen war, schien sie ihre Ohren überall zu haben.
„Keine Angst, ich verrate nichts.“, beruhigte sie das Mädchen, ohne dass Skipper noch für ein weiteres Wort Luft holen musste. „Weiß ja, wie deine Eltern ticken. Darum finde ich es ganz toll, dass du einen eigenen Willen hast und dir trotzdem ein Tier zugelegt hast. Ausgerechnet eine Ratte – sehr mutig! Ich mag übrigens diese grauen Viecher, zeig` mir das Tierchen doch mal! “
Dass aufgerechnet DIE Ratten mochte, war ja klar, wer wusste schon wie viele davon durch deren dreckiger Wohnung herum turnten? „Das …äh…ist keine normale Ratte!“, versuchte Skipper sich irgendwie herauszureden.
„Jaja, ist ja schon gut, musst` sie mir nicht zeigen. Die Ratte ist hiermit für mich vergessen. Alles okay? Muss ohnehin noch rasch etwas für meine Eltern einkaufen und die Tanke macht bald zu.“
Ach, deswegen war Tomate so spät abends unterwegs. Skipper fiel ein, dass Tomate als ältestes Kind dieser verkommenen Familie immer viel zu tun hatte, weil beide Elternteile als Pfleger im nahegelegenen Altersheim im Schichtdienst arbeiteten. Das Mädchen half manchmal so viel, dass es kaum Zeit fand, die Schularbeiten zu machen. Die Eltern waren streng und oft gereizt und es ging das Gerücht um, dass Beate Schläge fürchtete, wenn sie sie sich verspätete.
Das war aber Skipper egal, denn mit einem Male war ihr eingefallen, dass doch das Zusammentreffen mit Tomate recht nützlich für sie sein konnte. „He, du darfst die Ratte mal halten, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest.“, schlug sie mit einem Male vor.
„Das ist nett….aber, wie gesagt, eigentlich habe ich keine Zeit. Du weißt mein Vater wird schnell ungehalten!“
„Ach Unsinn!“ Skipper hielt die Ratte hoch und ließ sie mit den Pfoten in der Luft strampeln. Insgeheim hoffte sie, dass sich Tomate erst einmal genauso vor Rilak ekeln würde, wie vorher sie. . Aber dem war nicht so, kaum hatte Skipper den überraschten Rilak einfach auf Tomates Schulter gedrückt, wurde die knallrot im Gesicht, aber leider vor Freude, denn sie grinste über das ganze Gesicht. „Ach ist der süß!“, rief sie begeistert und kraulte Rilak sofort hinter dem Ohr. Skipper konnte nicht umhin, sich im Stillen doch so ein bisschen zu ärgern. Ihre schwarze Seele hatte nämlich gehofft, Rilak würde Tomate wegen ihrer forschen Art wenigstens ein bisschen in den Finger beißen. Doch Relak kuschelte sich sogar dicht an Tomates Hals und wollte noch mehr Streicheleinheiten.
Skipper griff, immernoch leicht verärgert, trotzdem die Gelegenheit beim Schopfe. Sie begann Tomate mit zunächst oberflächlichen Fragen zu irritieren, doch dann brachte sie mit -leider kläglicher Stimme - hervor, was sie eigentlich wirklich belastete. Skipper gab plötzlich zu, dass sie immer noch Angst vor Champ hatte, dass sie sich wegen seiner Spötteleien nicht mehr in die Schule trauen würde. Und dass sie es selbst nicht begreifen könnte, dass sie seine körperliche Nähe ablehnte. Bestimmt lag es daran, dass sie noch Jungfrau war und aus irgendeinem blöden Grund das „erste Mal“ fürchtete. Dann hielt Skipper entsetzt inne. Warum nur war sie plötzlich so redselig und das ausgerechnet bei Tomate?Bestimmt lachte die sie jetzt aus. Das war das Schlimmste - von einem Versager wie Tomate - auch noch ausgelacht zu werden. Doch zu ihrer Überraschung strich Beate ihr sogar verständnisvoll über den Arm. „Nein, es ist nicht so, dass du Angst vor dem ersten Mal hast.“, meinte sie leise. „Diese Angst haben wir alle so ein bisschen, denn niemand will sich dabei blamieren. Man will gefallen. Aber du fürchtest Champ als Person und ich muss dir sagen, damit hast du recht. Er wirkt gefährlich. Wer weiß was aus ihm noch werden wird.“
Da sprudelte nun erst recht alles aus Skipper hinaus. Sie erzählte Tomate haarklein, was sie bedrückte, die Scheidung ihrer Eltern und dass die nie Zeit hatten und dass sie kein Tier haben durfte und erst als sie das alles hinter sich hatte, wollte sie wissen, ob Champ sich am heutigen Schultag sehr über ihr Fortbleiben aufgeregt hätte. Beate konnte sie trösten. „Doch leider mit einer sehr traurigen Nachricht“, wie Tomate selber befand. „Champ dachte keine Minute an dich, denn er war wieder mal sauer auf Basti!“, brachte sie stockend hervor. „Er meinte Sebastian hätte ihn im Vorübergehen angerempelt - würde er nie wagen, aber wenn Champ erstmal schlechte Laune hat, dann hat er sie und dann muss er sich eben an Basti abreagieren ….“
„Diese schlechte Laune hatte er bestimmt wegen mir!“
„Nein nein, die ganze Sache begann so: Frau Schmidt hatte vorgeschlagen einen Ausflug am Donnerstag mit der ganzen Klasse zu machen. Es sollten Ideen eingebracht werden, wohin es gehen und was Besonderes an diesem Tag getan werden sollte. Der Einzige der wieder einmal Vorschläge machte, war Champ mit seiner großen Klappe. Natürlich hatte er dabei wie immer nur an seine eigenen Interessen gedacht und an die seiner Clique und die anderen Schüler haben nicht gewagt zu protestieren…. bis auf Basti.“ Sie schluckte. „Er war der Einzige, der den Mut aufgebrachte mit einem Vorschlag der für alle Beteiligten gut war, gegen zu halten. Frau Schmidt zeigte sich begeistert und so wurden Champ und seine Clique zum ersten Male überstimmt.
Champ hatte daraufhin Basti in der nächsten Pause, mit eben dieser fadenscheinigen Ausrede, dass er ihn angerempelt hätte „Keile“ angedroht. Nur Basti war es gelungen vor ihm und seiner Gruppe noch rechtzeitig stiften zu gehen.“
„Oh - weh, traut er sich etwa auch nicht in die Schule?“
„Doch, er wird kommen. Er ist sehr tapfer, aber könntest du wohl ein gutes Wort für Basti bei Champ einlegen?“ Beate nahm Rilak vorsichtig von ihrer Schulter, streichelte ihn noch ein letztes Mal und gab ihn Skipper zurück.
Skipper versprach ihr, Basti zu helfen, denn auch sie fand, dass Champ endlich mal in die Schranken gewiesen werden sollte. Er musste auf sie – Skipper – hören, wenn er mehr als nur ein paar Küsse von ihr haben wollte. Aber hatte er je auf sie gehört?
Fortsetzung folgt:
 

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