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Die himmlische Näherin Ein Märchen von Thomas Schwarz/Bernd Arnold

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© Thomas Schwarz   
   
In einem großen herrschaftlichen Haus saßen zwei Dienstmägde abends am Kamin. Die eine hieß Adele, die andere Lucia. Während Adele Socken stopfte, schimpfte Lucia liebevoll mit ihr: „Dummes Ding! Hättest dir den Ärger mit unserem Herrn sparen können, wenn du nicht so nachlässig gewesen wärst.“ Adele musste in zwei Tagen das Haus verlassen, denn ihr Herr war unzufrieden mit ihrer Arbeit. In allen Räumen vergaß sie ständig die Spinnweben zu entfernen. „Was soll aus dir werden und was erst aus mir“, jammerte Lucia, „ die ganze Arbeit muss ich jetzt alleine tun und nur Gott weiß wann der Herr eine neue Magd findet.“ „Es tut mir leid, dass ich dir so viel Mühe mache“, seufzte Adele, „aber ich konnte die Spinnweben nicht wegmachen.“ „Hast du sie denn nicht gesehen“, fragte Lucia fassungslos und zeigte an die Wände, „ alle, wirklich alle sahen sie, sogar dem Stallburschen fielen sie auf.“ „Ich sah sie aber konnte sie nicht wegtun wegen meines Bruders“, antwortete Adele und sah traurig von ihrer Näharbeit auf. „Ich warte darauf, dass er eines Tages zurückkehrt."
Lucia schaute verständnislos: „ Ich sprach über die Spinnweben, wovon sprichst Du?
„Darüber, was uns die Näherin im Himmel angetan hat. Hab ich dir die Geschichte noch nie erzählt?“
Nimm deinen Stuhl und rück näher zu mir, dann will ich sie dir und allen Geistern erzählen die uns zuhören und sie sollen Zeuge sein

wider

die himmlische Näherin

Vor langer Zeit lebten wir in einem Dorf im Westen des Landes. Mutter, Vater, mein Bruder Jan und ich wohnten im oberen Geschoss unseres Hauses. Unten war die Schneiderwerkstatt der Eltern. Die Geschäfte gingen seit langer Zeit nicht gut. Dennoch verloren Mutter und Vater nie den Mut und arbeiteten unermüdlich weiter. Mutter war überdies überzeugt zu wissen wie man das Glück ins Haus zurück locken könnte. Trotz der Arbeit in der Werkstatt hielt sie Haus und Hof immer penibel sauber und rein. Energisch fuhr sie dabei mit dem Besen von der Dachkammer ganz oben bis hinab in den Keller. Ich erinnere mich noch heute an den Reim den sie dabei immer sang



Schmutz und Dreck hinaus
raus aus diesem Haus
und alsbalde kehr´n zurück
Licht und Segen
und das Glück


Vor dem Haus befand sich eine Wiese mit allerlei Sträuchern und Büschen.
Einmal als wir abends im angrenzenden Garten saßen, entdeckte unser Jan etwas zwischen den Zweigen des nahen Blaubeerbusches. „Schaut wie es schimmert und leuchtet“, rief er und wir liefen hin. Der Mond hatte sein Licht auf hauchdünne Fäden geworfen die von Spinnen gezogen wurden. Darin hingen auch viele der lästigen Stechmücken die uns in den warmen Monaten plagten.
Während wir staunend vor dem Busch standen, stürmte Mutter ins Haus zurück, griff einen Besen, kam zurück und stocherte zwischen den Ästen und Zweigen herum.
„Pfui“, rief sie angewidert, „dieses Ungeziefer darf nicht in der Nähe unseres Hauses sein.“

Am nächsten Morgen erzählte sie mir verstört von einem schlimmen Traum der sie in der Nacht quälte.
Ein altes Weib trat vor ihr auf und blickte sie streng mit erhobenem Zeigefinger an:
„Gute Frau, ich bin die himmlische Schneiderin und du hast meine Arbeiterinnen getötet und ihre Arbeit zerstört. Die Netze und Fäden waren für mich bestimmt, denn durch meine Hände kommen alle Garne zu euch auf die Welt.
Lass dich warnen. Du ruinierst nicht nur eure eigene Schneiderei sondern auch alle anderen im Lande.“ Mutter erschrak darüber sehr: „ Das wollte ich wirklich nicht.“ „ Das weiß ich“, antwortete die Alte darauf hin freundlich, „überdies sehe ich, dass ihr sehr hart arbeitet und doch nur wenig habt.
Verschone meine Helferinnen und ich will das Glück zu euch schicken alle Tage.“
Als Mutter aus ihrem Traum erwachte, war sie von Stund an wie verwandelt. Zuerst merkte es Vater und als wir eines Abends im Bett lagen, war ich überzeugt dass Mutters Augen schlechter geworden waren. "Schau nur“ , ich zeigte an die Decke und in die Ecken des Zimmers. „ja, überall Spinnweben“, bestätigte Jan.
Vater störte es nicht, dennoch begann er sich mit der Zeit um Mutter zu sorgen. Sie war ganz aufgebracht als er in der Schneiderei eines Tages selbst eine Spinnwebe in einer Ecke entfernen wollte. Er wusste nichts von Mutters bösem Traum und schob es auf die vermehrte Arbeit. Etwa zwei Monate nach diesem Traum geschah es, dass aus dem ganzen Land Aufträge eintrafen die allein kaum zu erfüllen waren. Bald arbeiteten zwei Gehilfen bei uns. Mit der zusätzlichen Mühe und Arbeit kam endlich der Wohlstand und was soll ich sagen, wir waren nun angesehen im Dorf. Alle grüßten uns und immer, wenn Mutter mit uns Kindern einkaufen ging, wurden wir zuerst bedient. Vater wollte Mutter noch etwas gutes tun und suchte ein Hausmädchen das für die Sauberkeit in Haus und Garten zuständig sei. Mutter hatte beileibe nichts dagegen und so kam Hanna, die junge Bauerstochter vom Heckelhof am Ortsausgang zu uns und zeigte sich schon bald als unersetzbare Unterstützung für Haus und Hof und jedes Geldstückes wert, das sie durch ihre Arbeit verdiente. Leider leider hatte ihr Mutter nie von dem Traum erzählt. Nur ich wusste davon und hielt mein Wort, denn Mutter bat mich, niemandem davon zu erzählen. Sie wollte nicht als verrückt gelten.

Eines Morgens nachdem Hanna den Frühstückstisch abgedeckt, das Geschirr gespült und uns zur Schule gebracht hatte, beschloss sie den Tag zu nutzen; es gab nämlich kaum etwas zu tun für sie, alle Räume und Fenster waren blitzblank gescheuert und gereinigt. Diesmal hatte sie wirklich Zeit sich um die vielen Spinnweben in den Ecken und an den Decken zu kümmern. Seit ihrem ersten Tag war ihr dieser Gräuel aufgefallen. Nicht mal im heimischen Bauernhof wimmelte es so von Spinnweben.
Ausgerechnet mit Mutters Staubwedel ging sie ans Werk. Keine Ecke wurde ausgelassen und kurz bevor wir vom Spielen nach Hause kamen, war auch die letzte Spinnwebe von der Decke verschwunden. Wirklich, wir fanden es ganz toll und sagten zueinander während wir am Abendbrottisch Platz nahmen: „Jetzt sieht ´s wieder aus wie früher in unserem Haus.“ Auch Vater sparte nicht mit Lob und Mutter , da war er sicher, würde nichts dagegen haben, Annas Gehalt noch etwas zu erhöhen. Gewiss würde sie gleich erscheinen.
Doch sie kam nicht. Stattdessen hörten wir einen lauten Schrei. Anna kam zur Tür hereingestürmt: „Der gnädiger Herr, wollen sie mir bitte helfen, die gnädige Frau liegt vor der Treppe und redet wirre Worte. Sofort stürmten wir alle hinter Anna her und fanden Mutter auf dem Boden liegend. Sie schien ohnmächtig zu sein und wenn sie kurzzeitig erwachte, schien sie nicht bei Sinnen zu sein. Mit vereinten Kräften trugen wir sie ins Schlafzimmer und riefen den Arzt.
Er untersuchte sie, flösste ihr etwas Medizin ein, beruhigte Vater und meinte es käme wohl doch von der vielen Arbeit. Er verordnete ihr Bettruhe und ging wieder. In der folgenden Nacht schrie Mutter verzweifelt ein ums andere Mal: „Nein, tu das nicht, nicht meine Kinder, nicht meine Kinder!“ Wir machten uns wahrlich große Sorgen um sie. Drei Monate vergingen dann besserte sich ihr Zustand und sie begann wieder in der Schneiderei mit zu arbeiten. Doch zwei Jahre auf den Tag als sie dieses Erlebnis hatte, geschah es. Abends gingen wir Kinder zu Bett. Wir unterhielten uns, ich las Jan aus unserem Geschichtenbuch vor. Danach schlief er ein und ich löschte das Licht.

Gedankenverloren saß Adele da und schwieg lange Zeit.
„Was geschah“?, drängte Lucia.

„Am nächsten Morgen war er verschwunden, weg, einfach weg. Wir suchten nach ihm den ganzen Tag, die ganze Nacht und auch die anschließenden Tage, Wochen und Monate. Ans arbeiten dachten Mutter und Vater nicht mehr. Eine Zeit lang bewältigten die Gehilfen noch die Arbeit, dann wurde es ihnen zuviel und sie verließen uns. Die Aufträge wurden weniger und blieben zuletzt ganz aus. Wir verloren die Schneiderei, das Haus und alles was wir damals besaßen. Vater verdingte sich fortan als Hausierer, Scherenschleifer und Dienstbote. Er starb an dem Stich eines giftigen Insekts. Mutter arbeitete im Wirtshaus wo sie von allerlei Gesindel undankbar und böse behandelt wurde. Sie wurde schließlich mit jedem Monat schwächer und mochte unser Zimmer indem wir zwei hausten, nicht mehr verlassen. Auf dem Sterbebett erzählte sie mir schließlich was sie all die Zeit bedrückte:
„Diese alte Frau erschien mir erneut. Ich hatte sie fast vergessen und hielt es für nichts schlimmes, dass unsere Anna das Haus von den Spinnweben befreite. Schließlich erschien sie nur mir. Ihr hatte sie nichts aufgetragen. Die himmlische Schneiderin sprach: Nach allem was ich für euch tat, hast du meine Warnung und einzige Bitte verworfen. Deine Magd zerstörte die Arbeit meiner Helferinnen.
Weil du es nicht selbst getan hast werde ich nur deinen Sohn holen. Er wird mir als Spinne dienen bis alle Arbeit die durch deine und die Hände deiner Magd zerstört wurde, vollständig ersetzt ist. Deine Tochter soll bis an ihr Lebensende als Dienstmagd reichen Leuten dienen und arm und elend bleiben. Aller Reichtum und Besitz wird von euch genommen. Das sei euer Lohn für die Geringschätzung meiner Helferinnen.“

„Und es kam alles wie sie prophezeite", schloss Adele, „und weil das alles eintraf, so weiß ich auch, dass mein Bruder eines Tages zurückkehren wird sobald die Schuld abgegolten ist.

Adele verließ ihren Herrn, Lucia und das Anwesen und zog fort. Ob Bruder und Schwester in diesem Leben wieder zu einander fanden, ist uns nicht bekannt

ENDE
 

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