... für Leser und Schreiber.  

Mortal Sin Oktober 2005- The Machine In Your Head

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©  JoHo24   
   
Eine Beichte ist immer eine Schwäche. Die düstere Seele bewahrt ihre eigenen Geheimnisse und nimmt ihre eigene Strafe schweigend hin.
- Dorothy Dixon


Die Straßenlaterne warf ihr künstliches Licht auf den schwarzhaarigen Mann, der auf einer kleinen Mauer hockte. Den Kragen seiner grauen Jacke hatte er hochgestellt, um seinen Na-cken vor dem kalten Wind zu schützen. Schon seit einer geraumen Zeit saß er hier und hing seinen Gedanken nach, die mittlerweile ein Chaos in seinem Kopf angerichtet hatten.
Brolin Delaney versuchte krampfhaft die Kontrolle zu behalten, allerdings mit nur geringem Erfolg. Verzweifelt legte er die Hände an seinen Kopf und übte enormen Druck auf diesen aus, als könne er dadurch seine Gedanken stoppen. Immer mehr Kraft und Mühe steckte er in diesen Versuch, aber er scheiterte kläglich. Ein dumpfes, erschöpftes Stöhnen kam über seine Lippen, das vom Wind davongetragen wurde. Zeitgleich ließ er die Hände sinken und blickte mit seinen dunkelbraunen Augen die Straße herunter, verzweifelt auf der Suche nach Ablen-kung; nach Etwas, das die wirren, verwinkelten Gänge und Wege in seinem Kopf unterbre-chen würde.
Denn er quälte sich mit seiner Vergangenheit; er dachte über sein bisheriges Leben nach, als würde es etwas nützen noch einmal alles zu rekapitulieren, jeden Fehler und jede Entschei-dung von sich selbst und auch von anderen. Ihm war bewusst, dass ihn dies nur unnötig Kraft kostete, aber er war schier machtlos gegen seine deprimierenden Erinnerungen, die sein Ge-müt niederdrückten…
Dann tauchte jedoch, wie aus dem Nichts, seine Rettung in Form einer jungen Frau in einigen Metern Entfernung auf und forderte seine gesamte Aufmerksamkeit. Sie ähnelte einem Licht, das die Finsternis erleuchtete und alles Böse verdrängte. Sie sah sorglos aus; sie schien beina-he über die Straße zu schweben wie ein Engel. Wie hypnotisch starrte er sie an, da er vom Anblick ihres rostbraunen hüftlangen Haares fasziniert war, das im Wind heftig flatterte wie eine Fahne.
Ihre schwarze Nylonstrumpfhose war an den Knien zerrissen, was ihr ein rebellisches Ausse-hen gab, genauso wie ihr rot-karierter Minirock und die Lederjacke mit Nieten, die sie trug.
Diese wilde Schönheit, die eiligst ihres Weges ging, verschlug ihm den Atem und verbannte jegliche negative Gedanken, die seinen Verstand überflutet hatten. Auf einmal herrschte be-freiende Leere in seinem Kopf, die ihm die Last der Verzweiflung und seine inneren Qualen nahm. Gegen seinen Willen sprang er beherzt von der Mauer herunter; seine Füße trugen ihn automatisch hinter ihr her, als stünde er unter einem Zauber. Ihre Anziehungskraft war der-maßen stark, dass er ganz benommen von ihr war und langsam ins Taumeln geriet.
Ich muss mich beeilen. Ich darf sie nicht aus den Augen verlieren, sonst kehrt meine Verzweif-lung zurück! Brolin wurde panisch. Sein Puls erhöhte sich und ließ sein Blut schmerzhaft ge-gen seine Haut pressen. Zu seinem großen Glück war die Frau stehen geblieben, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er packte die Chance beim Schopf und näherte sich ihr mit wackligen Knien. Nikotin und süßliches Parfüm krochen in seine Nase und lösten ein angenehmes Krib-beln aus.
„Hi“, sprach er sie kurzerhand an und zuckte dabei kaum merklich zusammen, da der Klang seiner Stimme ihn immer wieder aufs Neue erschreckte, so selten benutzte er sie. Er mochte sie nicht; er hasste sie regelrecht, denn sie war seine offensichtlichste und unüberhörbare Schwäche, die ihn immer und überall zu einem Ausgestoßenen machte.
Der 32-jährige Killer war schon immer ein ruhiger und verhaltener Mann gewesen. Ihm fiel es sehr schwer in Kontakt mit seinen Mitmenschen zu treten. Diese Tatsache war seinem gerin-gen Selbstbewusstsein und seiner Unsicherheit aufgrund seines Stotterns verschuldet, das ihn seit seiner Kindheit begleitete. Ja, er hatte es in der Vergangenheit nicht leicht gehabt und stark gelitten. Aber nicht nur unter Fremden, sondern auch zu Hause. Nach dem frühen Tod seiner Mutter war er nur bei seinem Vater aufgewachsen, der ihn links liegen gelassen hatte. Es schien, als habe er Angst davor gehabt ihn zu berühren oder liebevoll zu ihm zu sein. Viel-leicht war er auch von Anfang an davon ausgegangen, dass seine Frau die Kindererziehung übernehmen würde und vollkommen überfordert gewesen, als sie gestorben war und ihn mit Brolin plötzlich alleine gelassen hatte.
So hatte es in der Vergangenheit keinen Menschen gegeben, der ihm einen angemessenen und gesunden Selbstwert gelehrt oder Liebe gegeben hätte. Demzufolge hatte er keine gute Mei-nung über sich selbst und war in vielen Situationen verunsichert, was er mit allen Mitteln zu verbergen versuchte. Nichtsdestotrotz erfüllte ihn ein gewisser Stolz, dass er heute, für seine Verhältnisse, mutig war und sich überwunden hatte ihr gegenüberzutreten.
Als sich jedoch ihre Blicke trafen und er in ihre mandelförmigen grünen Augen sah, da rutschte ihm ganz plötzlich das Herz in die Hose.
„Hallo“, entgegnete sie in einem eigenartigen Ton. Zeitgleich schoben sich ihre dunklen, leicht buschigen Augenbrauen zusammen und symbolisierten tiefes Misstrauen. Einige Se-kunden standen sie sich wortlos gegenüber, was es ihn zunächst bereuen ließ den Mund auf-gemacht zu haben. Aber dann beschloss er nicht so leicht aufzugeben und einen Schritt wei-terzugehen, schließlich war er jetzt schon mittendrin. Es gab kein Zurück mehr.
„Brolin“, stellte er sich so kurz wie nur möglich bei ihr vor und ähnelte dabei einer fremden Spezies aus einer anderen Galaxie, die das erste Mal versuchte Kontakt zu einem Menschen aufzunehmen. Der Killer hörte sich einfach unnatürlich an, doch er wollte die Gefahr, dass er stotterte, einfach gering halten.
„Ah ja. Danke für die Info“, ächzte sie und machte deutlich, dass ihr sein Name am Arsch vorbeiging. Genervt zog sie an ihrer Zigarette und unterbrach den Blickkontakt. Ihre offen-sichtliche Ablehnung tat ihm verdammt weh, obwohl er es nicht anders gewohnt war, doch er blieb hartnäckig. Scheiße, er war ein Auftragskiller und brauchte keine Angst zu haben.
„Dein Name?“ Blitzschnell wandte sie ihren Kopf wieder zu ihm und machte ein verärgertes Gesicht.
„Man, checkst du nicht, dass ich keinen Bock habe mit dir zu reden?“ Sie guckte ihn an, als sei jedes gesprochene Wort an ihn reine Zeitverschwendung. Brolin Delaney war wie festge-wachsen und sah sich nicht im Stande etwas zu entgegnen. Daher entschied er sich Taten sprechen zu lassen, das hatte ihm eh schon immer besser gelegen. Unverfroren nahm er ihre linke Hand, während die andere ihren Weg an ihre Wange fand.
„Hey, was soll das?“, giftete sie abschätzig. Der Schwarzhaarige war verwundert über die Aggression und Lautstärke, die aus ihr herauskamen.
„Lass die Hände von mir, du Freak!“
Freak. Dieses Wort löste einen Alarm in seinem Kopf aus, der laut schrillte und etwas Böses und Gefährliches in ihm weckte. Freak. Wie oft hatte er das schon gehört?
Unvorstellbarer Zorn stieg in dem Schwarzhaarigen hoch und erstickte ihn. Während er vor Wut schäumte, riss sie sich los und stapfte hektisch davon. Zumindest war das ihr Plan, aber Brolin machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sein Killerinstinkt meldete sich und schrie lautstark nach Blut und Bestrafung, weil sie nichts als Spott und Verachtung für ihn übrig hatte.
Rasend preschte er von hinten an sie heran, sodass sie ihn und seinen Angriff nicht kommen sah und keinerlei Chance hatte zu fliehen. Grobschlächtig umfasste er ihren rechten Oberarm, der in seinem umbarmherzigen Griff eher einem dünnen Ast glich, wirbelte sie herum und zog sie in seine Arme. In diesem Moment schrie sie überrascht auf und ihre Augen verwandelten sich in Tennisbälle.
Ihre Überheblichkeit hatte der nackten Angst den Platz geräumt. Jetzt nahm sie ihn ernst. Jetzt hatte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Ja, so hatte es der Killer die letzten Jahre nicht an-ders erlebt und kennengelernt. Kaum waren Waffen oder Gewalt im Spiel, da erhielt er den gebürtigen Respekt, den er verdiente. Dann hörten seine Mitmenschen ihm zu und versuchten alles, um das bevorstehende Unheil abzuwenden. Brolin liebte dieses Gefühl der Macht und Kontrolle; den Moment, wenn seinem Gegenüber klar wurde, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Und genau das passierte jetzt auch bei ihr. Der jungen Frau dämmerte, dass sie sich mit dem Falschen angelegt hatte und die nächsten Minuten für sie zum Albtraum werden würden.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es war zu spät. Ihm war die Lust nach einer Unterhaltung gehörig vergangen. Nun würden sie nach seinen Regeln spielen, mal sehen wie ihr das gefiel.
Brolin stieß sie erbarmungslos auf das harte Kopfsteinpflaster, wo sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und unter lautem Jaulen aufkam. Erste Tränen standen ihr in den Augen, als sie zu ihm hoch schaute, und warteten nur darauf freigelassen zu werden. Er hatte kein Mitleid mit ihr, ganz im Gegenteil. Nachdem, wie sie mit ihm umgegangen war, hatte sie es seiner An-sicht nach nicht anders verdient. Sein starrer, emotionsloser Blich wanderte von ihrem Ge-sicht über ihren Körper, der vor Kälte und Furcht mächtig bebte. Bei diesem Anblick schlich sich ein schiefes, maliziöses Schmunzeln auf seine Lippen, das auch noch anhielt, als er sich auf sie setzte, mit beiden Händen ihre Kehle packte und zudrückte. Sogleich hob sie ihre Ar-me und versuchte ihn abzuwehren, doch sein gesamtes Gewicht lastete auf ihr und er setzte unmenschliche Kräfte ein, während er sie würgte.
Es sah aberwitzig aus, wie sie so hilflos unter ihm lag und ihre Gesichtsfarbe allmählich von rot zu blau wechselte. Ihr lächerlicher Todeskampf amüsierte ihn; erregte ihn sogar auf ver-quere Weise und bescherte ihm ein unvorstellbares Gefühlshoch.
Brolin Delaney befand sich in einen schwerelosen Zustand, der einer Trance verdammt ähn-lich war. Erst als ein Geräusch, es war eine Mischung aus Röcheln und Quietschen, an seine Ohren drang, klärte sich sein Verstand und er kehrte in die Gegenwart zurück. Mehrmals hin-tereinander blinzelte er, ehe er die tote Frau vor sich wahrnahm, um deren Hals unverändert seine Hände lagen. Eilig ließ er von ihr ab und erhob sich.
Die vorherrschende Kälte, die er bis dato vergessen hatte, meldete sich zurück und kroch hin-terhältig unter seine Kleidung. Der Killer fühlte sich unbehaglich und wollte nur noch nach Hause und nicht mehr daran erinnert werden, was in den letzten Minuten geschehen war. Zu-vor hatte er allerdings noch etwas zu erledigen, daher ging er in die Hocke und warf sich ihren leblosen Körper über die linke Schulter.
Geschützt vom Deckmantel der Finsternis machte er sich auf dem Weg, um ihre Leiche und seine Schuld zu vergraben, damit diese nie wieder an die Oberfläche traten.
 

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