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Morbide Leichtigkeit

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©  Eure Erben   
   
Ich war eines Morgens aufgewacht und habe mich selbst ausgelacht. Ich habe gelacht, weil ich endlich verstanden habe, was mich die ganze Zeit über gequält hatte, weil ich es endlich begriffen habe: diese morbide Leichtigkeit, die mich verfolgt. Diese süße, weiche und doch schmerzhafte Ironie, mit der die Welt mir gegenübertritt, wenn sie mir wieder einmal ins Gesicht tritt, wenn ich scheitere, wenn ich leide. Die Leichtigkeit, die das Leben bekommt, weil nichts irgendwen jemals interessieren wird. Ich meine - "
Ich greife eine Hand voll Sand und Staub und lasse sie mir durch Finger rinnen, während ich weiter rede
" - das ist Julius Cäsar, und Hannibal Barkas, und Alexander der Große, und Hitler, und Gandhi, und John Locke. Das ist jeder, von dem wir glauben, er hätte je etwas ausgemacht in dieser Welt. Das ist das Schicksal dieser unserer Welt, das ist das Schicksal unseres Lebens, jedes Lebens, und des gesamten Werkes, das jemand in diesen wenigen Jahren schaffen kann - eine Hand voll Staub.
Und versteh' mich nicht falsch, der Schmerz ist dadurch nicht kleiner, der Kampf nicht leichter, die Angst nicht weniger geworden, der Zweifel - da ist nur seitdem eine gewisse Distanz da, aus der ich das alles, aus der ich mich und mein ewiges Scheitern betrachten kann - und aus dieser Distanz wirkt es alles so schrecklich unwirklich, weil man merkt, wie wenig es bedeutet. Man lacht nur noch, wenn man scheitert, weil es so ironisch ist - und man leidet trotzdem, vielleicht auch deswegen - und dann merkt man, das auch das ironisch ist, und belächelt nur noch die eigene Schwäche. Es wird alles ganz leicht, wenn man sich selbst nicht ernst nehmen kann, aber nichts wird einfacher deswegen.
Es gab eine Zeit, da hatte ich Liebe gefunden, und Trost. Dann habe ich es zerstört. Sie stand vor mir, Tränen in den Augen, tief erschüttert, und erklärte sich, und ich habe gelacht, über mich, über sie, über die Tragik, den Schmerz, die Angst, die Schuld - mich selbst. Ich habe gelacht, und sie damit getötet. Zwei Tage später fand man die Leiche und ich bekam einen Abschiedsbrief - abermals ihr Leid, ihre Probleme und ihre Vorwürfe, und ich habe wieder gelacht, weil ich mich selbst gern in Stücke gehauen hätte und die unerträglich leichte Komik darin nicht ertrug.
Wenn manche sagen, "Du bist ein Zyniker", dann kann ich ihm nur Antworten: "Sie Idiot. Wenn ich nie in meinem Leben ein Idealist gewesen wäre, wie könnte ich dann Zyniker sein? Und nachdem ich die Leichtigkeit und Wertlosigkeit meiner höchsten Ideale erkannt hatte - wie könnte ich kein Zyniker sein?"

Ich habe immer nach Stärke gestrebt, weil die Welt so groß ist und ich so klein, so machtlos, so schwach. Jetzt habe ich erkannt: da ist Integrität, in mir, zwischen Stärke und Schwäche. Ich bin der stärkste und der schwächste, der höchste und der geringste, der beste und der schlechteste Mensch, weil ich eines erkannt habe: es ist mir egal, ob ich stark bin oder schwach. Und auch das macht mich nicht stärker - aber auch das ist mir egal.
Dieser Stolz in mir, ein guter, ein akzeptabler Mensch zu sein, genug zu sein - er ist fort. Ich habe ihn aufgegeben, er ist mir auch egal geworden seitdem. Er ist nicht fort - nur zu leicht, um ihn ernst zu nehmen.
Und was ist jetzt noch übrig von mir? Was bleibt, wenn man von einem Menschen seine Träume und Ängste, Ziele und Sorgen, Hoffnungen und Zweifel abzieht, seine Ideale, seinen Antrieb? Ich weiß es nicht, und ich verachte es, und es ist mir egal, ist doch nur die leichteste Hand voll Staub der Welt.
Das ist es wohl, was bleibt: selbstverachtender Nihilismus, der das Selbst nicht definieren kann, dass er verachtet, der keines hat - und sich nicht weiter darum kümmert, als dass er beißend spotten kann deswegen.
Ich war allein, ganz plötzlich - und es war bedeutungslos. Und ich litt - und es war bedeutungslos. Und ich starb, ich siechte dahin, trottete durch das Trostlose - bedeutungslos. Und jetzt bin ich hier, trotzdem, und entwerte und verspotte damit alles, was ich gerade gesagt habe, und es ist egal, weil ich zu schwach war, den Schmerz zu ertragen - und er ist egal - bin ich jetzt hier - und es ist egal. Alles was ich habe, hier, ist nur wieder Spott und eine Hand voll Staub - begreifst du langsam, was ich meine, verstehst du die Leichtigkeit?
Ist dir schon mal aufgefallen, wie seltsam verschieden die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven wirken, während man sich an ihnen vorbei bewegt? Bewegung, das ist es schließlich, was mich am Leben hält, wie bei einem Hai, der erstickt, wenn er nicht weiter schwimmt, und ebenso tot, im Innern. Und die einzige Perspektive, die diese toten Augen kennen, ist nur wieder dieselbe morbide Leichtigkeit..."

"Das klingt jetzt aber alles schrecklich Pessimistisch. Da ist doch so viel Schönes im Leben, und das willst du zurücklassen? Hast du keine Angst davor?"

"Wie, du hast Angst vor dem Tod? Ist doch schon längst alles vorbei, oder nennst du das hier etwa ein Leben?"
 

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