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Ende des Hungers

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© Anna-Lena Sunrise   
   
In meinem Inneren kribbelte alles. Ich war enorm aufgeregt. Lennon kam aus dem Keller hoch und sah verdammt unheimlich aus. Er hatte sich von Rose zu einem Zombie schminken lassen und grinste mir jetzt mit einem halb zerfetzten Mund zu. Als er mir auch noch mit leichentrüben Augen zu zwinkerte bekam ich eine Gänsehaut.
„Wow, Rose. Ich hab gerade eine Gänsehaut bekommen.“ Ich hielt ihr meinen Arm hin und schüttelte mich. „Lennon. Einfach nur unheimlich!“ Mein Blick glitt noch einmal bewundernd über sein Kostüm. Ich hatte mich ganz schlicht einfach in ein enges Kleid gezwängt, das all meine Rundungen betonte, dazu hohe Stiefel und eine Armbrustattrappe die mit Holzpfeilen geladen war auf meinem Rücken. Und fertig war die Vampirjägerin. Nicht besonders einfallsreich aber ich fand es witzig.
„John!“ Schrie Rose jetzt entnervt die Treppe hoch. „Sogar Lennon ist vor dir fertig und er hat ein Kostüm an, das ich schminken musste. Beeil dich halt.“ Rose trug ein sexy Hauskleid aber nicht für die Halloweenparty. Sie bekam Besuch von einem Verehrer und hatte uns deswegen alle auf die Party geschickt.
„Entspann dich Rose. Es dauert doch noch bis er kommt und außerdem siehst du Klasse aus.“ Ich lächelte ihr aufmunternd zu. „Wie heißt er eigentlich?“
„Seit langer Zeit hab ich mal das Gefühl es könnte was Ernstes sein und solange ich mir darüber noch nicht ganz im Klaren bin, verrate ich euch überhaupt nichts.“ Sie meinte das Todernst.
„Entspann dich Rose. Wir sind deine Freunde, niemand will dir was Böses.“ Jetzt lächelte Lennon ihr auch zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Lena hat recht du siehst spitze aus. Und falls er dir wehtun sollte weißt du ja wie du ihm den Arsch auf reist.“ Er lachte und sprang zur Seite bevor Rose‘ Tritt ihn treffen konnte. Jetzt lachten wir alle drei und Rose wirkte deutlich entspannter.
„Danke.“ Sie schaute lächelnd zu uns beiden.
„So. Ich hab es auch geschafft. Wir können los damit Rose endlich mal wieder ran gelassen wird.“ John lachte während er die Treppe hinunter stieg. Mir blieb stockend der Atem weg und mein Herz setzte wie so viele Male aus. John trug eine enge schwarze Lederhose, schwarze Stiefel und dazu ein Hemd aus dem 17. Jahrhundert mit Ballonärmeln. Der Ausschnitt seines Hemdes ging ihm bis zum Bauchnabel und Blut lief von seinen Mundwinkeln bis auf das Hemd. Er trug keine Kontaktlinsen wodurch seine Augen rubinrot leuchteten. Ich biss mir auf die Lippe um nicht zu sabbern. John fuhr sich mit der Hand durch Haar und schaute zu mir. „Willst du mich heute Nacht jagen?“ Er lachte leise und zwinkerte mir zu. Ich brauchte zwei Sekunden zu lange um wieder zu mir zu kommen und wusste sofort das Lennon und Rose sich leise lachend weggedreht hatten. Verräter. John schien nicht bemerkt zu haben wie ich ihn anhimmelte.
„Ein Vampir?“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Sehr einfallsreich.“
„Und wofür hast du jetzt bitte schön so lange gebraucht?“ Rose schaute John genervt an.
„Ich musste das Blut noch fertig machen. Mein „Makeup“ geht gleich sobald ihr nicht mehr schwindlig ist.“ Er lächelte böse.
„Das riecht hier so gut…“ Ich leckte mir über die Lippen während ich das Blut auf John’s Hals anschaute.
„Hunger, kleine Jägerin?“ Er kam auf mich zu, legte einen Arm um meine Schultern und führte mich Richtung Haustür.
„Komm, Zombie. Wir zeigen der Vampirjägerin mal was das Schöne an Halloween Partys ist.“

Wir parkten ein Stück abseits und gingen auf die Lagerhalle, in der die Party stattfand, zu. John hatte wieder seinen Arm um meine Schultern gelegt und führte mich. Lennon verschwand kaum das man die Musik wummern hörte.
„Lennon liebt Halloween. Wir sehen ihn drinnen bestimmt zwischen durch wieder bis er mit irgendeiner Hexe oder so verschwindet.“ John lachte und mein ganzer Körper vibriert dabei mit. In meinem Magen hatten all die Schmetterlinge überhaupt keinen Platz mehr um sich zu bewegen. Der Schmetterlingsklos raubte mich zusätzlich den Atem. John roch wie immer nach Kaschmir und heute noch nach süßem Blut. Kaum zu glauben, dass ich mal Schmetterlinge im Bauch haben würde bei einem Mann der mir gleich zeigen würde wie ich Menschenblut trank. Mitten auf einer Party! Allerdings fühlte es sich gar nicht verrückt an, sondern absolut perfekt. Hoffentlich lag das am Hunger und vor allem hoffte ich, dass er mir nur zeigte wie ich trank und nicht tötete.
„Alles gut?“ John hatte mich so gedreht, dass er nun vor mir stand. Eine Hand legte er mir behutsam unter mein Kinn und zwang mich so ihn anzusehen. In seinem Blick lag Sorge.
Mit gerunzelter Stirn antwortete ich: „Klar was soll denn sein?“
„Ich hab dich gerade mehrfach gefragt ob du bereit für Spaß bist aber du hast mir nicht geantwortet.“ Sein Blick war immer noch voller Sorge.
„Oh.“ Mehr viel mir erstmal nicht ein. Seine roten Augen, bei denen ich immer noch nicht wusste welche Farbe sie eigentlich hatten, brachten mich völlig durcheinander.
„Ich… Ich glaube ich habe einfach verdammt Hunger.“ Stotterte ich mir zu Recht. Das war nicht die ganze Wahrheit, aber auch nicht gelogen. Jetzt lachte John wieder und schaute mir dann noch dringlicher in die Augen.
„Deine Augen sind auch verdammt dunkel. Nach diesem Abend wirst du das erste Mal absolut keinen Hunger mehr verspüren. Versprochen.“ Dann streichelte er mir mit der Hand die an meinem Kinn gelegen hatte über die Wange.
„Auf geht der Spaß!“ Er lachte, nahm meine Hand und zog mich rennend in die Menge aus tanzenden Menschen. So ausgelassen und entspannt war John selten und ich hatte das Gefühl, dass ich ihn so schon mal erlebt hatte, obwohl ich es ja eigentlich besser wusste.

Die Musik wummerte unter meinen Füßen und ließ mich automatisch mit wackeln. John war kurz in der Menge verschwunden nur um dann im Schlepptau mit einem jungen Mann wieder aufzutauchen. Dieser hatte ein Tablett mit verschiedenen Shots in kleinen Plastikbechern sowie Bier dabei.
„Alles auf Ex!“ Schrie John mir über die laute Musik hinweg zu. Ich schaute ihn mit aufgerissen Augen an. Er lachte nur schnappte sich das erste Bier und schrie: „Der Gewinner hat einen Wunsch frei.“ Ohne zu sagen ob es schon los ging trank er sein Bier in einem Zug aus. Verdammt. Wollte ich einen Wunsch oder wollte ich ihm einen erfüllen? Beides klang aufregend und ließ die Schmetterlinge in meinem Inneren wieder aufflattern. Letztendlich wollte ich einfach nicht als Niete da stehen und schnappte mir gleich zwei Becher Bier auf einmal. Ich holte Damon gut auf, da er beim dritten Becher anfing zu schwächeln.
„Du hast menschliche Vorteile!“ Schrie er mir lachend entgegen. „Mir kommt die Scheiße gleich wieder hoch.“
„Quatsch nicht so viel und trink lieber.“ Schrie ich lachend zurück. Die ersten beiden Shots gingen runter wie Öl aber dann war irgendwas Ekelhaftes dabei und ich musste auch kurz Pause machen um nicht alles auszuspucken. Diese Pause genügte und John gewann. Bei hartem Alkohol hatte er definitiv mehr Übung.
„Scheiße!“ Schrie ich laut und drehte mich ärgerlich im Kreis. Dabei verlor ich das Gleichgewicht und merkte den Alkohol heftig in meinen ausgetrockneten Adern. John fing mich bevor ich fiel. Lachend trug er mich Richtung Tanzfläche wo er mich absetzte und mir dann ins Ohr flüsterte:
„Und jetzt wollen wir was richtiges Trinken.“ Ein Schauer lief mir über den Rücken als sein kalter Atem mein Ohr kitzelte. Meine Sicht war leicht verschwommen vom Alkohol und die Musik dröhnte durch meine Knochen. Jede Spur von Schüchternheit die John in mir auslöste war verschwunden und so klammerte ich mich an ihn während er mir zu flüsterte was wir jetzt tun würden.
„Jeder hier in diesem Raum hat ein Kostüm an zu dem Blut passen würde oder an dem sogar schon Kunstblut dran klebt. Das ist unser Vorteil. Schnapp dir wenn immer du willst. Beiß ihn, trink und tue einfach so als würdet ihr tanzen.“ Dann schleuderte er mich in einer wilden Tanzdrehung von sich fort und lachte mir dabei zu.
„Bedien dich.“ Schrie er noch bevor er seine Zähne tanzend in einer brünetten Hexe versenkte. Meine Gedanken waren so benebelt und so hungrig, dass ich genau das tat. Neben mir stand ein Werwolf und ich tanze ihn erst etwas an bevor ich mich an ihn schmiegte.
„Du wirst nicht schreien.“ Dann versenkte ich meine Zähne in seinem Hals und genoss das herbe, warme Blut das in meinen Mund sprudelte. Das Einzige worauf ich achtete, trotz dass ich volltrunken war, war das ich seine Pulsadern nicht treffe. Mein Hals, mein Magen, mein ganzer Körper entspannten sich. Wie hatte ich nur solange diesem Hunger wieder stehen können. Das Blut floss unaufhörlich in meinen Mund… John zog mich von dem Werwolf weg in seine Arme und schaute mir in die Augen. Er bewegte unsere Körper zur Musik. Wieder sein Atem an meinem Ohr: „Vorsichtig. Bring niemanden um. Hier ist mehr als genug Blut.“ Er verschwand wieder und hing direkt an dem nächsten Hals. Diesmal auch ein Vampir. Ich lachte leise und war trotz allem froh, dass John mich weggezogen hatte. Außerdem war dieser Werwolf ziemlich herb. Ich schaute mich um und fand eine Zombiedame. Wieder der Blick, „du wirst nicht schreien“, wieder meine Zähne die sich so tief wie möglich in ihr Fleisch bohrten. Diesmal aber zuckersüßes Blut, mit Alkohol und noch irgendwelchen Drogen. Schade. Dadurch schmeckte sie sehr bitter. Ich ließ sie laufen und schnappte mir immer wieder neue Partygäste. Mit einigen tanzte ich wirklich eine Weile, bei anderen merkte ich schon an den Pupillen, dass sie den bitteren Beigeschmack von Drogen haben würden und ließ sie in Ruhe. Die Musik wummerte weiter unaufhörlich durch meine Knochen. Irgendwann tanzte ich nur noch wild und schnappte mir immer seltener einen Snack. John hatte Recht, seit ich ein Vampir war hatte ich das erste Mal keinen Hunger. Ich wusste, dass es nicht lange halten würde aber ich genoss jeden Moment. Lennon kam durch die Menge auf mich zu getanzt und hatte ein hübsche Blondine in den Armen. Ihr Körper wurde nur von sehr wenig Stoff bedeckt und in ihren Haaren trug sie Hasenohren.
„Ich verschwinde jetzt mal mit dem Häschen hier.“ Schrie Lennon mir lachend zu. Ich lachte auch nur und klopfte ihm auf die Schulter. Kurz nach dem Lennon in der Menge verschwunden war kam John auf mich zu, er packte mich wieder, drückte mich an sich und wir tanzend gemeinsam zur Musik. Erstaunlicherweise konnte weder der Alkohol noch das Blut meine Gefühle in Zaum halten und die Schmetterlinge flogen unkontrolliert wieder ihre Bahnen. Wir waren beide total betrunken.
„Und was sagt der Hunger?“ Wieder sein Atem, diesmal aber warm an meinem Ohr. Ich erschauderte. John schien es diesmal bemerkt zu haben und schaute mir tief in die Augen so als würde er versuchen meine Gedanken zu lesen.
„Kein Hunger. Nur Wärme und Genuss.“ Diesmal mein Atem an seinem Ohr. Plötzlich wirbelte er mich herum und drehte mich wild auf der Tanzfläche. Wir lachten beide laut. Mit meinem Finger wischte ich etwas Blut um seinen Mund auf und leckte es dann aufreizend wieder ab. Jetzt war jede Schüchternheit verflogen. In meinem Mund explodierte die verschieden Geschmäcker und ich schloss unwillkürlich die Augen um es zu genießen. Soviel verschiedenes Blut auf einmal war einfach der Wahnsinn. John beobachtete mich dabei mit einem unergründlichen Blick dann zog er mich mit einer Drehung wieder an sich heran und küsste mein Kinn. Dabei leckte er die Blutreste von mir auf. Auch er schloss genüsslich die Augen. In mir kribbelte alles und mein Herz blieb wieder stehen. Er legte beim Tanzen eine Hand auf meine Brust direkt über mein Herz und schaute mich mit zusammen gezogenen Brauen an. Ich zuckte nur mit den Schultern und tanzte mich etwas von ihm frei. Schlagartig sprang es wieder an. John musterte mich immer noch mit dieser Miene. Doch er tanzte weiter.

Wir tanzten noch eine gefühlte Ewigkeit. Irgendwann zog er mich hinter sich her nach draußen. Ich wollte protestieren, da ich noch keine Lust hatte zu gehen.
„Ich hab noch einen Wunsch frei, schon vergessen?. Also komm mit.“ Ich verdrehte die Augen und folgte ihm. Draußen angekommen lief ich aufgeregt immer ein paar Schritte hin und her. Ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr.
„Eigentlich hast du den Wunsch gar nicht verdient!“ Ich drehte mich lachend im Kreis. „Du hast geschummelt.“
„Du bist ja total betrunken.“ Auch John lachte ging aber weiter in Richtung des Waldes der hinter der Halle lag. „Und inwiefern hab ich bitte geschummelt? Ich kann ja nichts dafür, dass du so langsam trinkst.“ Je weiter wir gingen oder in meinem Fall hüpften desto leiser wurde die Musik, bis es fast ganz still war.
„Und jetzt? Was ist dein letzter Wunsch bevor ich dich erschieße, großer böser Vampir?“ Ich zwinkerte ihm zu und zeigte auf meine Armbrust.
„Da ich aus der kleinen Jägerin ja schon einen bösen Vampir gemacht habe…“ Er kam langsam auf mich und schlang dann einen Arm um meine Taille. „Übernachte heute bei mir.“ Sein Blick bohrte sich in mich. Auf der Stelle war ich nüchtern. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich schaute ihn mit offenem Mund an. Diesmal raste mein Herz einfach nur und schlug gegen meine Rippen. Ich versuchte die Situation zu verstehen.
„Ähm ich wohne doch bei dir? Und übernachte damit immer… ähm bei dir?“ Immer noch durchlöcherte mich sein Blick.
„Nein. Wirklich bei mir. In meinem Zimmer.“ Ich wollte seinem Blick ausweichen um wieder klar denken zu können aber seine freie Hand griff einfach nach meinem Kinn und zwang mich damit weiter in seine Augen zu schauen.
„Und… und warum?“ Stotterte ich. Diese Augen würden mich eines Tages noch umbringen so schön waren sie. Ein Windhauch trug mir seinen Geruch in die Nase und ich schloss die Augen.
„Nicht für Sex. Einfach nur weil ich gerne die Nacht mit dir verbringen möchte.“ Noch traute ich mich nicht meine Augen zu öffnen. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann nickte ich. Was blieb mir auch anderes über. Ich war total verliebt in ihn und er bot mir eine Nacht in seinem Bett an.
„Aber wir dürfen doch noch gar nicht wieder nach Hause.“ Flüsterte ich.
„Sie mich an.“ Ich öffnete meine Augen, achtete dabei genau auf meine Atemzüge. „Und jetzt schau in den Himmel.“
„Oh.“ War alles was mir einfiel. Am Horizont war es schon hell. John ließ mich los. Mir war beim Verlassen der Party gar nicht aufgefallen das es schon hell wurde.
„Na komm ab nach Hause bevor du mir zu Asche zerfällst.“ In mir zogen sich alle Schmetterlinge zusammen und bildeten einen dicken Klumpen. Es war ein Scherz gewesen mit der Übernachtung. Natürlich war es das gewesen. Immerhin war die Nacht schon vorbei. Mein Blick ging betreten zu Boden.
„Bist du traurig, dass wir schon gehen müssen?“ John lachte. Meinen Blick weiter auf den Boden geheftet nickte ich nur. Während der gesamten Fahrt nach Hause schwiegen wir.

Zuhause stieg ich aus und ging direkt nach oben. John folgte mir. Als ich zu meinem Zimmer gehen wollte zog er mich am Arm wieder zurück.
„Mein Gott. Du ziehst mich aber heute oft hin und her.“ Meine Stimme klang etwas verbittert. Er ignorierte mich und sagte: „Hast du meinen Wunsch vergessen? Verloren ist verloren.“ Dann schob er mich in Richtung seines Zimmers. Vor der Tür wehrte ich mich.
„Aber die Nacht ist schon vorbei.“
„Oh. Du hättest doch gleich nein sagen können, wenn du das nicht möchtest.“ Er musterte mich.
„Nein, nein.“ Sagte ich verwundert als er mich jetzt traurig anschaute. „Ich dachte das wäre der Witz an der ganzen Sache gewesen? Weil die Nacht ja schon vorbei ist.“
„Ein Vampir schläft tagsüber also beginnt unsere Nacht jetzt erst.“ John öffnete die Tür und trat ein.
Unsere Nacht.
Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir.
 

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