... für Leser und Schreiber.  

Planung

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© Rosalina Brand   
   
Er hatte sich gleich nach dem Aufstehen eine Liste gemacht um alles in diesen einen Tag hineinpacken zu können. Jedem einzelnen Punkt hatte er ein Zeitfenster zugeteilt - zehn Minuten, eine halbe Stunde, zwei Stunden – enge Zeitfenster, das war ihm klar, aber wie sonst würde er alles abhaken können was er sich vorgenommen hatte.
Schon beim ersten Punkt überzog er. Das Telefon dauerte anstelle der geplanten zehn Minuten beinahe eine Stunde, dabei hatte er nur einen Termin für das nächste Wochenende abmachen wollen. Dazu kam es dann gar nicht, weil er die kleine Pause zwischen zwei Sätzen lieber für die Verabschiedung nutzen wollte, anstatt dem Gespräch durch seine Terminfrage neue Nahrung zu geben. Wo sollte er die verlorenen fünfzig Minuten wieder herein bringen, etwa auf den Kaffee verzichten? Nein, vielleicht konnte er auf der Fahrt etwas einsparen, sonst allenfalls auf dem Tennisplatz.
Dass dieser Lastwagen vor ihm so langsam fahren musste! „UNTERWEGS FÜR SIE“ prangte auf seiner Heckseite. „Könnte aber durchaus etwas schneller sein, so fahr doch endlich“ ergänzte er die Schrift in einem lauten Selbstgespräch, das in seiner Folge durchaus nicht für fremde Ohren bestimmt war und mit ungeduldigen Gesten unterstrichen wurde. Anstatt Zeit zu gewinnen, verlor er nochmals eine Viertelstunde, sein Kaffee musste in Frage gestellt werden.
Nein, nochmals nein, der Kaffee war ihm heilig, dazu die Tageszeitung, eine grosszügige halbe Stunde hatte er dafür vorgesehen. Aber gerade heute war das Blatt voll von Nachrichten die ihn interessierten, die nur darauf warteten, von ihm gelesen zu werden. Und weil nun die Zeit hoffnungslos ausser Kontrolle war, konnte er auch gleich noch das Kreuzworträtsel lösen. Zum Einkaufen war es sowieso zu spät, er würde es gerade noch rechtzeitig auf den Platz schaffen, ohne seinen Partner warten zu lassen.
Warum mussten die freien Tage so stressig sein, fragte er sich. Den nächsten würde er lesend auf dem Balkon verbringen, nichts als lesen: „Dann schaffe ich ein ganzes Buch, wäre doch eine Alternative, mindestens zweihundert Seiten.“
 

http://www.webstories.cc 04.05.2024 - 14:27:41