... für Leser und Schreiber.  

Mortal Sin 2006- Craving For Power

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©  JoHo24   
   
Die Herde folgt den Mächtigen nicht um ihrer selbst Willen, sondern wegen deren Einfluss; und die Mächtigen heißen sie aus Eitelkeit oder Gier willkommen.
- Napoleon Bonaparte


„Verdammte Scheiße“, fluchte er zerknirscht, während er sich schwerfällig den verwinkelten und langgezogenen Korridor entlang quälte, der vor ihm lag und unendlich zu sein schien.
Ein dumpfer Kopfschmerz peinigte ihn bereits seit Stunden; schlug von innen gegen seinen Schädel, was ihn völlig fertig machte. Kräftig presste er die schwulstigen Lippen zu einer harten Linie zusammen um sich abzulenken und dem Schmerz Herr zu werden. Man, wie gerne hätte er sich jetzt wieder auf seine bequeme Couch gehauen, doch die Pflicht rief.
Genauer gesagt war es William Cunningham, welcher ihn um ein dringendes Gespräch gebeten hatte. Er konnte bloß Vermutungen darüber anstellen, was sein Boss von ihm wollte. Vielleicht war es ein neuer Auftrag oder er brauchte seinen Rat, wie es in letzter Zeit öfters vorgekommen war.
Dadurch, dass Jericho seine zweite Hand war; sein erfahrenster Auftragskiller, den er bereits seit Jahren kannte und schätzte, genoss er Williams vollstes Vertrauen und legte großen Wert auf seine Meinung. Ihm wurde die Ehre zu teil ihn zu beraten, was er für seine ganz eigenen Motive zu nutzen wusste. Denn Jericho hatte Ziele, von denen sein Boss nichts ahnte. Ziele, die seine Sicht auf ihn brutal verändern und für die er ihn töten würde, falls er jemals dahinter kam. Aus diesem Grund musste er verdammt vorsichtig sein und geschickt mit seinen Worten umgehen, damit seine Absichten nicht aufgedeckt wurden und er William weiterhin heimlich beeinflussen und manipulieren konnte.
Er durfte kein Risiko eingehen, das sein Vorhaben gefährden könnte. Schließlich stand die erfolgreiche Umsetzung seines beruflichen Aufstiegs im Vordergrund, den er konsequent und zielstrebig verfolgte. Schon immer war er ein ehrgeiziger Mann gewesen, der sich nur mit dem Besten zufrieden gab und seinen Weg im Leben genaustens vor Augen hatte.
Und ihm fiel im Traum nicht ein auch nur einen Schritt von diesem Weg abzuweichen. Er wollte mehr sein, als ein Laufbursche; der Ausführende, der sich den Befehlen seines Bosses beugen musste. Nein, er wollte viel mehr. Jericho sah sich in der Rolle des Machthabenden, dessen Worte Gesetz waren. Beinahe täglich stellte er sich vor, wie es wäre den Platz Williams einzunehmen und was er dann alles ändern würde. Schwärmerisch verfiel er in einen Tagtraum und wollte die Bilder seiner Zukunft nicht loslassen, die sich vor seinem inneren Auge auftaten. Seine Vorstellungskraft war übermächtig und ließ ihn fest daran glauben bald derjenige zu sein, der delegierte und das Sagen hatte.
Taumelnd vor Glückseligkeit kam er nach weiteren Schritten vor dem Büro von William Cunningham zum Stehen und klopfte laut an die Tür. Erst dieses Geräusch katapultierte ihn aus seinen Fantasien ins Hier und Jetzt. Jericho setzte sogleich eine ernste, professionelle Miene auf, die seine wahren Gefühle nicht verraten würde.
Als er die Stimme seines Bosses auf der anderen Seite der Tür vernahm, die ihn hereinbat, drehte er den Türknauf und betrat das stilvoll eingerichtete Büro mit dessen hochqualitativen Möbeln. Flüchtig schweiften seine braunen Augen über die holzgetäfelten Wände, die Wärme und Geborgenheit vermittelten, zeitgleich allerdings optisch den Raum verkleinerten und eine Enge schufen, die er umgehend in seinem Brustkorb spüren konnte. Er ignorierte das Gefühl von Atemlosigkeit und Schwere und wagte sich weiter vor.
Am Fenster stand der klobige Schreibtisch, hinter dem wie üblich William saß und geschäftig einige Unterlagen durchsah. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er den Kopf hob und seine Aufmerksamkeit seinem Mitarbeiter Jericho galt, welcher mittlerweile vor seinem Arbeitsplatz stehen geblieben war.
„Hallo, Jericho. Schön, dass du es so schnell einrichten konntest“, begrüßte er ihn höflich, was er mit einem steifen Kopfnicken quittierte, ehe er sich in den bequemen Ledersessel vor dem Schreibtisch fallen ließ. Sogleich kehrte die Sehnsucht nach seiner Couch zurück, die er nur schwerlichst unterdrücken konnte. Der Killer wurde ungewöhnlich unruhig für seine Ver-hältnisse; wackelte mit dem rechten Bein, also sei er jeden Moment dazu bereit aufzuspringen und aus dem Büro zu stürmen, um sich die Ruhe zu gönnen, die er eigentlich dringend benötigte. Argh, diese verfickten Kopfschmerzen!, jammerte er innerlich und schloss gequält die kleinen Augen.
„Wie geht es dir?“, fragte sein Boss, als habe er seine Gedanken gelassen. Jericho mühte sich ein zufriedenes Grinsen ab, was er ihm präsentierte, um sein Bild, was William von ihm hatte, nicht zu zerstören.
„Ich kann mich nicht beklagen.“
„Das freut mich, Jericho“, meinte er, indes packte er ordentlich seine Unterlagen zusammen und ließ sie in den Schubladen seines Schreibtisches verschwinden.
„Nun, du fragst dich sicherlich, warum ich dich zu mir bestellt habe“, kam er recht schnell zur Sache.
„Nicht wirklich, doch ich vermute, dass du einen Auftrag für mich hast“, entgegnete Jericho und lehnte sich zurück. Sein Boss schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, heute nicht. Heute habe ich keinen Auftrag für dich, sondern ich benötige deinen Rat.“ Insgeheim jubelte der Killer, der eine weitere Chance auf sich zukommen sah seine Manipu-lationen auszubauen und in Williams Kopf zu pflanzen. Er wusste, dass er es war, der die Fäden in dieser Beziehung in der Hand hielt und nicht der dunkelhaarige, Anzug tragende Geschäftsmann auf der anderen Seite des Tisches, der völlig ahnungslos war. Sein Boss war nichts anderes als ein naiver kleiner Junge, der blind für die Feinde in seinem innersten Kreis war. Fast bemitleidete er ihn schon für diese Kurzsichtigkeit im Bezug auf seine Mitarbeiter. Wie dumm war es einer Gruppe von Auftragskillern zu vertrauen, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren? Wie konnte er glauben, dass er eine handvoll Wahnsinniger tatsäch-lich unter Kontrolle hatte? Und wie war es möglich, dass er nicht eine Sekunde an ihren Absichten zweifelte? Dabei bestand Williams Kader aus den irrwitzigsten Figuren, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Er war ein Sammelsurium aus gesellschaftsunfähigen Geisteskranken, die nichts zu verlieren hatten.
Da war zum einen Brolin Delaney. Zwar war dieser stumme Kerl ein Idiot, aber der Vorteil daran war, dass er nicht selbst dachte. Er funktionierte wie eine Maschine, die man mit einem Knopfdruck einschaltete, damit sie ihre Arbeit tat. Und dies tat er ohne Widerstände.
Die übrige Truppe dagegen war leider nicht so unkompliziert und gut zu steuern, wie er. Patton Massey, der riesengroße Ex-Soldat, war ein erfahrener und grausamer Mann, allerdings hatte er den Hang dazu blutjunge Frauen zu ficken und dabei nicht immer einvernehmlichen Sex von Vergewaltigung trennen zu können.
Der Latino mit den widerlichen langen Haaren, Navarro Henstridge, hatte bereits seit einer gefühlten Ewigkeit mehr mit einem Junkiemädchen und dessen Pflege zu tun, die sich dieser Schwachsinnige selbst auferlegt hatte, als mit seinen Aufträgen. Dass William ihm dies durchgehen ließ konnte Jericho bis heute nicht verstehen. Tja, sein Boss hatte für ihr blutiges Metier manchmal ein zu weiches und mitleidiges Herz. Für ihn war allerdings jegliche Ge-fühlsdusselei fehl am Platz, aber wie erklärte man das einem glücklich verheirateten Mann?
Doch er schweifte ab, daher kehrte er zu seinem vorherigen Gedankengang zurück. Mickey Suffert war der nächste in der Riege der Killer und das Paradebeispiel eines unkontrollierba-ren, hitzköpfigen Cholerikers, der zusätzlich eine durchgeknallte Art an sich hatte und die Angewohnheit stets seinen eigenen Arsch zu retten und anderen Menschen die Schuld für seine Fehler zu geben.
Wer war da noch? Ach ja, da waren die hübschen Ladies unter den muskelbepackten Alphamännchen. Als erstes dachte er an die kleine Blondine. Emilia McDermott war mit Abstand das schwächste Glied in der Kette. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie mit ihrem Dasein als Mörderin haderte. Man konnte ihren Selbsthass und ihre Vorwürfe förmlich riechen; sie körperlich spüren. Jericho hielt ihre Zweifel und ihr existentes Gewissen für besonders gefährlich, da man immer damit rechnen musste, dass dieses Weibsbild zu den Cops lief und auspackte. Es waren also nicht die seelenlosen Psychopathen, die man zu fürchten hatte, sondern Menschen, wie Emilia, die aufgrund ihrer Emotionen nicht einzuschätzen waren und die einem deshalb das gesamte Leben versauen konnten.
Und natürlich gab es da die einzigartige Miss Ophelia Monroe. Wie konnte man sie nicht be-achten? Sie war atemberaubend schön und hochintelligent zugleich. Ihre schnelle Auffassungsgabe und Gnadenlosigkeit nicht zu vergessen. Kein Wunder, dass William trotz ihrer anfänglichen Unerfahrenheit sofort und kompromisslos zugegriffen hatte. Wann hatte man denn sonst das Glück, dass plötzlich eine geborene Killerin vor der Tür steht?
Dennoch hatte auch sie Seiten und Allüren an sich, die Jericho sich an Williams Stelle nicht bieten lassen würde. Ophelia war eine unbezähmbare Frau; ein unkalkulierbares Risiko, das einen Kopf und Kragen kosten konnte. Auf diese verzogene Schlampe, die selten ein Nein oder strenges Wort ihres Bosses akzeptierte, musste man verdammt gut aufpassen…
„Jericho?“, drang William Cunningham brutal in seine Gedanken ein und brachte ihn dazu sich wieder auf ihn zu konzentrieren.
„Entschuldige, William. In welcher Angelegenheit benötigst du meinen Rat?“, wollte er von ihm wissen und demonstrierte dabei überdeutlich, wie aufmerksam er war. Sein Gegenüber musterte ihn zuerst verdächtig lange, doch letzten Endes räusperte er sich und kam zu dem Punkt, warum er ihn hergebeten hatte.
„Es geht um James.“
James Roddick. Wenn er nur diesen Namen hörte, dann jagten Hass und Abscheu durch seine Adern und ließen ihn erzittern. Jericho konnte gerade noch ein erzürntes Schnauben unterdrü-cken, das seine Abneigung gegen Williams Sohn offenbart hätte. Ja, sein Sprössling war ihm ein Dorn im Auge; das riesengroße Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte und das es zu überwinden galt. Dabei hatte er sich bereits als klarer Nachfolger Williams gesehen. Doch diese Hoffnung hatte sich vor gut fünf Jahren zerschlagen, als sein Boss James adoptierte und Jericho somit einen neuen Konkurrenten demonstrativ vor die Nase gesetzt hatte. Noch heute fragte er sich, was ihn dazu verleitet hatte ein nervtötendes Kind in seine Obhut zu nehmen. Damit hatte er sich nur eine Menge Arbeit aufgehalst. Aber wer weiß, wie viel seine Ehefrau Grace mit der ganzen Sache zu tun gehabt hatte.
Vermutlich war sie die treibende Kraft bei der Adoption gewesen, schließlich war sie eine Frau in einem gewissen Alter, da dachte man nur an Fortpflanzung und träumte von einem glücklichen Familienleben. Ihre Beweggründe waren also sicherlich ganz anderer Natur gewesen, als die ihres Mannes, von dessen Geschäften sie absolut keine Ahnung gehabt hatte. Nie im Traum wäre ihr eingefallen, dass ihr Ehemann den Jungen adoptiert hatte, um ihn zu einem seelenlosen Killer heranzuzüchten.
„Was ist denn mit ihm?“, kehrte er zum Gespräch zurück, darum bemüht seiner Stimme einen Klang zu verleihen, der ehrliches Interesse verriet.
„Nun, ich habe mir in den letzten Wochen vermehrt Gedanken über seine Zukunft in unserem Gewerbe gemacht“, gab er sichtlich besorgt zu, was Jericho plötzlich hellhörig werden ließ.
„Und worüber genau hast du nachgedacht?“ Natürlich stellte er diese Frage nicht ganz uneigennützig. Er musste unbedingt wissen wie der aktuelle Stand der Dinge war.
„Wie du weißt, hat James seine ersten Aufträge hinter sich gebracht.“ Unübersehbarer Stolz glomm nach dieser Aussage in seinen haselnussbraunen Augen.
„Ja, mit Unterstützung von Patton und Ophelia“, konnte er es nicht unterlassen seinem ärgsten Konkurrenten einen Seitenhieb zu verpassen und William zu verdeutlichen, dass James noch lange nicht soweit war seinen Platz einzunehmen. Seiner Einschätzung nach würde er niemals in der Lage sein das Geschäft seines Adoptivvaters zu führen, denn dafür war er nicht ge-macht. Woran er dies genau festmachte, konnte er nicht sagen. Es war einfach sein Instinkt, der anschlug und dem er voll und ganz vertraute.
Der 15-jährige war zwar unter der strengen Hand Williams groß und darauf getrimmt worden zu töten und gnadenlos zu sein, aber im tiefsten Kern, da war er sich sicher, befanden sich noch die Überreste seines Gewissens und Mitgefühls. James war nichts weiter als ein Schwächling; ein unsicheres Kind, das versuchte seinem Vater zu imponieren und zu bewei-sen, dass es das Zeug zu einem harten Kerl hatte.
William musste endlich wach werden und der unangenehmen Wahrheit ins Auge blicken. Und Jericho war bereit derjenige zu sein, der diese Aufgabe übernahm.
„Das ist mir durchaus bewusst, Jericho, aber du musst bedenken, dass er noch verdammt jung ist“, murmelte er, als spreche er eher zu sich selbst als zu seinem Mitarbeiter.
„Ist es das, was dir Sorgen bereitet? Sein Alter?“
„Vielleicht war es doch zu früh und ich hätte noch ein paar Jahre warten sollen.“ Gequält und voller Selbstvorwürfe sah er ihn an, als erhoffe er sich von ihm zu hören, dass es kein Fehler gewesen war James bereits in den Alltag eines Killers einzuführen.
„Hast du mit James darüber gesprochen?“ Sein Boss seufzte angestrengt, während er sich in seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte.
„Natürlich habe ich ihn vor seinem ersten Auftrag gefragt, ob er sich wirklich bereit fühlt. Seine Antwort war ein glaubwürdiges und energisches Ja, das ich nicht angezweifelt habe. Ich wollte ihn nicht weiter warten lassen, da er schon Monate zuvor ungeduldig war und es kaum erwarten konnte zu töten. Leider kann ich nicht sagen, ob er dies nicht nur meinetwillen geäu-ßert hat.“ Bedauernd schüttelte er den Kopf, als hasse er sich selbst dafür, welchen Weg er seinem Adoptivsohn vorgegeben hatte.
„Wahrscheinlich wollte er mir bloß beweisen, wie schnell er gelernt hat und er sich mit den anderen Killern messen kann.“ Während er sichtlich von Zweifeln und Vorwürfen geplagt wurde, verkniff sich Jericho mühevoll ein triumphales Grinsen. Nun hatte er Gelegenheit James und seine Leistungen zu diskreditieren, um William davon zu überzeugen den kleinen Jungen nicht weiter in den Reihen seiner Killer zu führen.
„Wenn du mich fragst, dann würde ich sagen, dass James dir lediglich imponieren wollte. Deswegen hat er deine Frage mit Ja beantwortet“, gab er seine Meinung mit ernster Miene preis. „Auch wenn du es nicht gerne hörst, aber James war noch nicht soweit und ich bin mir sicher, dass er es auch jetzt noch nicht ist.“
„Wie darf ich das denn verstehen?“, fragte er. Dabei waren seine Augen misstrauisch zu Schlitzen verengt. Jericho war vorgewarnt. Er musste jetzt Vorsicht walten lassen und auspassen, wie er was sagte.
„Ich weiß ja nicht, ob du mit Patton gesprochen hast…“
„Ja, das habe ich, ebenso mit Ophelia. Schließlich musste ich in Erfahrung bringen, wie sich James geschlagen hat.“ Sein Boss war erbost, als habe sein Mitarbeiter ihn persönlich ange-griffen.
„Und was hatten die beiden zu erzählen?“, konnte er es nicht verhindern, dass er angriffslustig klang.
„Ophelia war voll lobender Worte für meinen Sohn. Er hat zielgerichtet, konzentriert und erfolgreich seinen Auftrag erfüllt und es gab nichts, woran sie etwas auszusetzen hatte.“ Als könne man dem Urteil einer Frau vertrauen! Besonders dem einer erst 19-Jährigen, die selbst noch nicht lange im Geschäft ist. Woher hat sie denn die Qualifikation die Arbeit eines Kollegen zu beurteilen? Etwa von dir? Mein Gott, William, wie tief bist du gesunken, dass diese Luxus-Bitch etwas zu sagen hat!
Der Killer war genervt von den Unwahrheiten dieses Weibsbildes und bereit die ganze Sache richtig zu stellen. Er würde seinem Boss einen Dämpfer versetzen, der es in sich hatte.
„Was ist denn mit Patton? Was hatte er dir zu berichten?“ Provokant lehnte Jericho seinen Oberkörper nach vorne. Seine Muskeln spannten sich an, als er auf seine Antwort wartete. Er fragte sich, ob der Ex-Soldat William gegenüber ehrlich gewesen war oder ebenfalls irgendwelche übertriebenen Schleimereien rausgehauen hatte.
„Patton hat sich recht kurz gehalten“, kam es nur mit Mühe über seine Lippen, als ahne er, dass etwas nicht stimmte; dass er im Unklaren gelassen worden war, aber dies nur ungern vor seinem Mitarbeiter zugab.
„Er meinte lediglich, dass James den Auftrag ausgeführt hat.“
„Hast du nicht genauer nachgeharkt?“
„Natürlich, aber du kennst Patton genauso gut, wie ich. Er kann verdammt stur und schweigsam sein.“ Durch diese Aussage wurde wieder einmal deutlich, wie wenig Durchsetzungsvermögen, Dominanz und Strenge er gegenüber seinen Killern an den Tag legte. Wenn Jericho erst einmal auf dem Chefsessel saß, dann würde er es sich niemals ge-fallen lassen, dass diese Mistkerle ihm mit mangelndem Respekt entgegentraten und über seine Befehle hinwegsetzten.
„Moment…eben hast du Patton angesprochen, Jericho“, erinnerte er sich aus heiterem Him-mel und stierte ihn an. „Bedeutet das etwa, dass er mit dir über James geredet hat?“ Der Killer beließ es bei einem einfachen Kopfnicken, das seinem Boss allerdings klar machte, dass der Ex-Soldat etwas vor ihm verheimlicht hatte.
„Ziemlich ausgiebig sogar. Ich denke, dass er vor dir nicht offen sprechen wollte“, versuchte er das Verhalten des blonden Killers zu erklären und Verständnis zur Schau zu stellen.
„Weshalb hätte er nicht offen mit mir reden können?“ William war verärgert und konnte nicht nachvollziehen, warum er Jericho mehr Vertrauen schenkte, als ihm. Nun war der Moment gekommen, auf den er sich schon die gesamte Unterhaltung freute: ihm aufzeigen, wie schwach James Roddick in Wirklichkeit war und das Williams Bild von ihm absolut nicht stimmte. Ausgiebig und theatralisch räusperte er sich, ehe er begann seine Karriere eigennüt-zig voranzutreiben.
„Patton hat mir jedes Detail aus dieser Nacht erzählt und…nun…wie soll ich es dir am schonendsten beibringen?“ Während er gespielt nach den richtigen Worten suchte, stieg die Nervosität seines Bosses rapide an, was er mit Genuss registrierte.
„Lass den Scheiß und rede mit mir, Jericho! Was ist bei James´ ersten Auftrag passiert?“ Du willst unbedingt wissen, was geschehen ist; was Patton dir verschwiegen hat? Tja, es wird sich gleich zeigen, ob du die Wahrheit erträgst, William.
„James hat den Mann getötet, wie du es ihm befohlen hast, aber er war dabei leider nicht so abgebrüht und kaltblütig, wie du es gerne gehabt hättest. Patton hat mir gesagt, dass er erst nach längerem Zögern und dem Eingreifen seinerseits den tödlichen Schuss abgegeben hat. Und direkt danach…“ Jericho legte eine kurze, dramatische Pause ein. „Nach dem Mord ist er davongelaufen. Er ist geflohen, William, und in irgendeinem Vorgarten zusammengebrochen, wo er sich übergeben hat“, äußerte er entrüstet, da solch ein Verhalten in ihrem Metier von Unprofessionalität und Schwäche zeugte. Er sollte seinen unbrauchbaren und verweichlichten Sohn endlich zu Hause lassen, anstatt ihm Aufträge zu erteilen für die er noch nicht bereit war. Mit seinem Pussy-Verhalten behinderte er bloß die Arbeit der übrigen Killer, was sich über kurz oder lang auf das gesamte Geschäft auswirken würde. War es tatsächlich das, was William wollte?
Als er seinem Gegenüber ins Gesicht sah, war jenes deutlich erblichen und eingefallen. Es verdeutlichte den Schock, den seine Ausführungen in ihm ausgelöst hatten. So hatte sich Jeri-cho das vorgestellt!
„Patton wollte dir die Enttäuschung ersparen, darum wird er dir nicht alles erzählt haben. Er wollte dich nicht beruhigen.“
„Wie umsichtig von ihm“, spottete er verächtlich und zog eine Grimasse. „Kannst du mir mal verraten, seit wann er sich um die Gefühle anderer Menschen schert?“ Weil er nicht wusste, wohin er mit seinem Zorn sollte, schlug er mit der zur Faust geballten rechten Hand kräftig auf den Schreibtisch und funkelte Jericho böse an, als habe er als Überbringer höchstpersönlich Schuld am peinlichen Versagen seines Adoptivsohnes. Das Interessante an der ganzen Sache war jedoch, dass William Pattons Bericht über den ersten Auftrag seines Sprösslings nicht eine Sekunde in Frage stellte.
„Komm erstmal wieder runter, William“, versuchte er sein erhitztes Gemüt nur halbherzig zu beruhigen. „Wenn du mehr wissen willst, dann empfehle ich dir mit Patton…“
Zu Jerichos Verwunderung unterbrach sein Boss seine Worte mit einer rigorosen Handbewe-gung. Offensichtlich wollte er nichts Weiteres über die Nacht hören, die James´ schwache Seite gezeigt hatte; eine Seite, die er in seinem Metier nicht gebrauchen konnte. Für ihn hatte es keinen Zweck weiter darüber zu reden, schließlich musste jetzt eine Lösung her und zwar schnell.
„Allem Anschein nach habe ich in Hinblick auf James tatsächlich falsch entschieden“, äußerte er nachdenklich. „Möglicherweise wusste ich, dass er noch nicht soweit war, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe meine Augen einfach davor verschlossen. Ich hätte ihm bloß mehr Zeit geben müssen“, kam es mit leiser, unsicherer Stimme über seine Lippen. William war eindeutig überfordert, dabei schien es ihm vollkommen egal zu sein, dass Jericho ihn in diesem Zustand sah.
„Was soll ich deiner Ansicht nach tun? Was soll ich mit James machen?“, bat er ihn in seiner Verzweiflung um Hilfe. Ach je, wie hilflos und bedürftig du bist, William. Du kannst einem ja richtig leid tun.
„Wieso fragst du ausgerechnet mich um Rat? Ich meine James ist dein Sohn und darum soll-test du…“
„Weil ich dir vertrauen und mich auf dich verlassen kann. Außerdem weiß ich ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll. Ich kann meinem eigenen Urteil im Augenblick nicht trauen.“ Seine braunen Augen spiegelten Ratlosigkeit wieder, die er von ihm niemals erwartet hätte, aber verdeutlichte, wie dieser Junge ihn negativ beeinflusste und veränderte. Aber gut, für Jericho hatte es nur Vorteile und er spürte, dass seine Zeit gekommen war. Nun hatte er die Macht James, seinen Konkurrenten, zumindest für eine Weile loszuwerden. Und diesen Zeitraum würde er gut für sich zu nutzen wissen.
„Na ja, ihm keine Aufträge mehr zu geben, wird ihn rasend machen. Er würde nicht verste-hen, warum du ihn aus dem Verkehr ziehst“, fing er seine Rede an. „Aber dennoch glaube ich, dass dies der beste Weg ist. Zumindest im Moment. Mach ihm deutlich, dass er weiteres Training benötigt und erkläre ihm, warum du diese Maßnahme ergreifen musst.“ Immer energischer wurden seine Stimme und Gestik. Kein Wunder, denn er kämpfte hier gerade um sich selbst; seinen Platz in der Rangliste und er wollte die Nummer eins sein, nicht zwei oder drei, nein, die Nummer eins und dafür würde er auch William Cunningham aus dem Weg räumen müssen, das wurde ihm schlagartig bewusst.
Oh ja, der Machthunger und die Sucht nach Erfolg wurden immer stärker und beherrschten ihn. Sie hielten ihn fest umschlungen, als trüge er eine Zwangsjacke, in der er sich nicht bewegen konnte. Jericho atmete tief durch und versuchte die Flut an Gedanken zu kontrollieren, die ihm entgegen schrien endlich tätig zu werden; zu töten und sich das zu holen, was ihm schon seit Langem zustand. In ihm reifte ein Plan, dessen Umsetzung ihm keinerlei Probleme bereiten würde, denn er war so simpel, wie genial und es brauchte nur eine magische Zutat: Dioxin. Er brauchte ihm nur wenige Tropfen unterzumischen, was nicht schwierig war, schließlich stand stets eine Tasse mit Kaffee auf seinem Schreibtisch, und William würde an einem Herzinfarkt verrecken.
Der Arme wird es überhaupt nicht kommen sehen. Und wenn er erst einmal tot ist, dann wer-de ich an der Spitze stehen und das Sagen haben!
Dafür musste er es jedoch unbedingt schaffen James davon zu überzeugen, dass er nicht die Erfahrung und Stärke besaß den Platz seines Adoptivvaters nach dessen Tod einzunehmen. Den ersten Schritt dazu tat er bereits, indem er William die Sache einfach erledigen ließ. Er würde dem Selbstvertrauen seines Sohnes schon den tiefen Riss zufügen, den es brauchte, um den Cunningham Sprössling ruhig und klein zu halten.
„Ich weiß, dass du recht hast, Jericho, aber er wird mich deswegen hassen“, warf er betrübt ein und unterbrach somit die Mordpläne seines Mitarbeiters.
„James wird zwar wütend sein, doch hassen wird er dich nicht. Dafür hat er viel zu viel Re-spekt vor dir. Er sieht zu dir auf, William. Er will dich stolz machen, das wird ihm letztlich wichtiger sein, als seinen Willen durchzusetzen.“ Seine Worte ließen ihn grübeln und in minutenlanges Schweigen verfallen. Der Killer betete inständig, dass das Endergebnis zu seinen Gunsten ausfiel.
„Ich werde mit James sprechen und ihn in nächster Zeit von weiteren Aufträgen entbinden“, klang seine Entscheidung für Jericho wie Musik in den Ohren. Es war eine Symphonie aus Erleichterung, Glückseligkeit und Erfolg, welche ihm einen Höhenflug bescherte, der alles Bisherige übertraf.
„Es war wie immer richtig dich um Rat zu bitten, Jericho. Ich danke dir für“ Alles, was er nun sagte, nahm er nicht mehr auf. Er hörte bloß seine innere Stimme, die lautstark jubelte und triumphierte, ihn jedoch zeitgleich zur Geduld aufforderte. Trotz seines gefassten Planes durf-te er nicht zu vorschnell und übermütig vorgehen. Jericho musste abwarten und sehen, wie sich die Strukturen innerhalb der Geschäfte entwickelten. Vielleicht würde es Wochen oder sogar Monate dauern, aber das konnte ihn nicht abschrecken. Sein Vorhaben stand fest und der damit einhergehende, unwiderrufliche Machtwechsel an der Spitze eines blutigen und grausamen Königreiches, das dringend einen neuen Herrscher brauchte.
 

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