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Andacht Nr. 138 Die härteste und einsamste Entscheidung

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© martin suevia   
   
Andacht Nr. 138

Die härteste und einsamste Entscheidung


Ihr Lieben

Ich war kürzlich im Krankenhaus. Es gab einige Untersuchungen am Herzen und es wurde ein Stent gesetzt. Ich erlebte die ganze „Machtfülle der Medizin“ wozu sie bzw. ihre Apparaturen, verbunden mit dem entsprechenden Personal, fähig ist. Was früher für Menschen ein Todesurteil war, wird heute als Routineeingriff gewertet der vor oder nach der Mittagspause „erledigt“ wird. Bei mir im Zimmer lag ein Patient dem es ungleich schlechter ging. Drei Monate lang wurde er von einem ins andere ins dritte und schließlich ins vierte Krankenhaus verlegt. Der Auslöser seines Leidensweges waren ein Herzinfarkt und während der OP ein Schlaganfall. Als ob das nicht genug war, kam noch eine massive Lungenentzündung hinzu. Als diese Seele zu mir ins Zimmer geschoben wurde, sagte mir irgend etwas ganz deutlich, obwohl ich diesen Menschen noch nie sah, ihm nie begegnet war und nicht einmal sein Gesicht richtig anschauen konnte: Er sollte nicht hier sein, er sollte überhaupt nicht mehr „hier“ sein. Die Schwestern und Ärzte bemühten sich unendlich um ihn, zupften, stachen, wischten, klebten an ihm herum, sprachen zu ihm, stellten Fragen, forderten ihn zum Essen auf. Auch seine Frau versuchte buchstäblich alles um ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Das Telefon bimmelte, die Enkelkinder aus Spanien waren per Skype für ihn zu sehen und wollten den geliebten Opa verständlicherweise auch aufmuntern. Der Zustand dieses Menschen war so, dass ihm jedes einzelne Wort das er sprechen sollte wie Folter vorgekommen sein musste. Es war mehr als deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen, Eines Abends kam die Ärztin ins Zimmer gestürmt, erklärte diesem Patienten, warum aus ihrer Sicht nun eine spezielle Untersuchung notwendig wäre und bat ihn, gleich die Einverständniserklärung zu unterschreiben, „kurz auf dem Sprung“, sozusagen. „Danke das war´s, dann sehen wir uns also morgen , bitte nüchtern bleiben.“ und weg war sie. Am nächsten Morgen kam seine Frau die wohl kurz telefonisch über die Untersuchung informiert wurde. Er war im Untersuchungsraum und sie saß allein bei mir im Zimmer, erzählte, wie lange sein Leiden schon ging, (dieser Herzinfarkt war nicht der erste) und mittlerweile hatte er 8 Stents im Herzen. Dann fragte sie mich ob er denn mit mir geredet hätte. Ich verneinte. Ich selbst vermied es auch ihn zum Reden zu "animieren“, da ich deutlichst die Anstrengung sah und mitbekam wenn er bis zu fünf mal ein Wort wiederholen musste, bis man ihn verstand. Darauf fing sie zu weinen an und entgegnete: „Sehen sie, mit mir redet er auch nicht, wenn ich doch wüsste was er braucht, was er will, er schaut mich noch nicht mal an“, und es kam plötzlich wie ein Wasserfall aus ihr. Seine gesamte Familie war in den vergangenen zwei Jahren gestorben, im letzten Jahr seine Schwester, davor seine Eltern. Plötzlich waren wir auf „meiner Ebene“ gelandet. Ich fragte sie ob er denn noch Lebenswille habe und es entstand eine lange Pause. Sie antwortete, dass er immer wieder betone „nach Hause“ zu wollen. Sie, eine sehr warmherzige Frau die selbst in der Pflege arbeitet, fing an sehr verbittert über die Behandlungsweisen in Krankenhäusern zu sprechen, erzählte, was sie mit ihrem Mann während dieser dreimonatigen Odysee erleben musste.

Wir erleben die Machbarkeit der Medizin, die Intelligenz der Professor/innen und Ärzt/innen und wir erleben sie als einen Segen Gottes wenn wir sie brauchen und sie verfügbar ist und dennoch … wann verändert sich dieser Segen Gottes in einen Fluch Gottes? Auch bei mir wird dieser eine Stent voraussichtlich nicht das Ende der Fahnenstange sein und auch ich muss entscheiden wie ich auf zukünftige „Vorschläge“ der Mediziner antworte. Wenn ich einwillige und unterschreibe, für w e n tue ich das? Willige ich ein weil Ärzte und Professoren um mich stehen, ich sie nicht dadurch beleidigen will, dass ich ihre fachkundigen Ratschläge ablehne? Unterschreibe ich etwas, nur um Ruhe zu haben? Stimme ich zu weil ich denke, es macht eine andere Person glücklich, zufrieden? Wie ein Trichter münden all diese Fragen in den einen schmalen Ausgang: Was will letzten Endes mein wahres, mein wirkliches ICH? Habe ich (noch) Ziele, WILL ich noch Ziele haben. Was würde ich mit der gewonnenen Zeit tun, die ich durch eine vielleicht unangenehme Behandlung erhielte?
Bin ich verpflichtet alles in meiner Macht stehende zu tun um am Leben in dieser irdischen Ebene zu bleiben? Auch wenn in allen Religionen über das Sterben, den Tod und den Übergang gesprochen wird, so ist und bleibt es auch in diesen Kreisen ein Tabuthema. Man glaubt es wäre Gottesbeleidigung wenn man „frühzeitig“ aufhöre zu „kämpfen. Manch eine/r argumentiert, dass Gott dem Menschen die Intelligenz und letztlich auch die Möglichkeiten gab das Dasein zu verlängern, also ist man (geistlich) verpflichtet diese Gabe anzunehmen, egal zu welchem Preis.
In der Bibel findet sich hierzu eine interessante Stelle:

Offenbarung 9/6 Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod begehren und nicht finden, und zu sterben verlangen und der Tod wird vor ihnen fliehen.

Ohne Zweifel, die Medizin ist heute im Stande gewaltiges zu leisten. Meine uneingeschränkte Bewunderung und mein Dank geht an all diese fleißigen, unermüdlichen Geister die daran arbeiten unser irdisches Gefäß so funktionsfähig wie möglich zu halten, gerade auch bei all diesem Blödsinn den wir damit anstellen ... Die wichtigste, die letzte Entscheidung liegt ab einem bestimmten Punkt während des Krankheitsverlaufs und während der Behandlung jedoch in einer jeden menschlichen Seele selbst. Ich habe den Eindruck ( ich könnte mich auch täuschen) dass hier nicht einmal der Allmächtige entscheidet sondern die Seele in der tiefsten Ebene ihres Selbst entscheidet, den Weg auf Erden fort zu führen oder im stillen einwilligt in den Ausspruch: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ – also den Weg des irdischen Sterbens (un)bewusst geht.

Ich wünsche uns allen die Kraft ohne Furcht zu entscheiden, wenn wir vor diese Frage gestellt werden: In diese oder jene Richtung?
Ich wünsche uns Freunden, Angehörigen sowie den Ärzt/innen und Pfleger/innen die Kraft die Entscheidung der Seele zu akzeptieren und ihr Zeit zu geben für die Entscheidung.

Für die kommende Woche wünsche ich euch Gottes Segen und Schutz!
 

http://www.webstories.cc 19.04.2024 - 05:16:01