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Von einer Schneeflocke

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© Thomas Schwarz   
   
Von einer Schneeflocke

Der Wind trieb die Wolken über´ s Land. In den Gebilden die unter´ m Himmel dahin zogen, schlief eine Schneeflocke. Oh, nein, sie war nicht die einzige. Tausende und Abertausende von Schneeflocken lagen bei, neben, unter und über ihr und alle schliefen und manche träumten. Da ertönte ein mächtiger Donner, erschütterte Himmel und Erde und alles was darauf und darunter war. Die Wolken schüttelten sich und warfen, was in ihnen ruhte, hinaus. Da fiel auch die eine Schneeflocke aus ihrem himmlischen Zuhause, wurde vom Wind gepackt und hochgewirbelt. "Oh je“, erschrak sie, „was geschieht mit mir, warum werde ich aus meinem Zuhause geworfen? „Juhu“, jubelten neben ihr die anderen Schneeflocken, „das ist unsere Zeit.“ Die eine Schneeflocke schaute sich um und merkte, dass es hinab zur Erde ging. „Da will ich doch gar nicht hin“, seufzte sie, „ich werde mich beim Höchsten beschweren, was soll denn das?“, schimpfte sie, während der Wind sie bald hierhin bald dorthin wehte, „dort unten ist es braun und schmutzig. Wenn ich ankomme löse ich mich sofort im Schlamm auf. „Oh je", seufzte sie bei dem Gedanken, „ ich werde verschwinden und niemand wird sich je an mich erinnern, niemand wird wissen wie ich aussah, wer ich war." Tatsächlich war sie in ihrer Form einzigartig. Es gab und gibt nämlich niemals zwei gleich aussehende Schneeflocken. Plötzlich gab es einen harten Stoß und die Schneeflocke verlor fast die Hälfte ihres Körpers, dafür klebte sie jetzt mit einer anderen Schneeflocke zusammen die ebenfalls auf ihrem Weg zur Erde war und durch den Zusammenprall einen, wenn auch kleinen, Teil ihres Selbst verlor. „Wie denkst du darüber?“, fragte sie die andere Schneeflocke mit der sie nun eine große Schneeflocke bildete. Die erwiderte aber nichts sondern es war als sänge sie und sie tat es nicht allein. Im Raum zwischen Himmel und Erde klang es als ertönte ein Chor aus tausenden und abertausenden Stimmen. Wieder wirbelte der Wind, trennte die Einheit und verband die lose umher fliegenden Hälften wieder mit anderen Flocken. Dann war die Reise zu Ende und die Schneeflocke landete auf einem schimmernden, weißen, grenzenlosen Teppich, der in Wirklichkeit aus Millionen vor ihr angekommener Schneeflocken bestand. Die eine oder andere erkannte sie sogar. Es war so herrlich frostig kalt, gerade die richtige Temperatur für Schneeflocken, die einst im Himmel wohnten. Auch sah sie Bäume und Gewächse auf denen ihre Geschwister lagen und diese alles verzierten und alles schmutzige, braune bedeckten und nirgendwo gab es in dieser Nacht schlammige, feuchte Wege, ja, die ganze Welt schien das Ebenbild des Himmels zu sein. Es war Vollmond und es war als hätten die Sterne ihren Platz am Himmel verlassen und glitzerten auf dem Schneeteppich in jener Nacht um die Wette. Eine Gruppe von Nachtwanderern zog mit Fackeln über Land, sang und lobte den Schnee durch den sie stapfte. Da wurde die Schneeflocke ganz stolz und fühlte sich geehrt und, soweit wir wissen, hat sie sich nie beim Höchsten beschwert.
 

http://www.webstories.cc 24.04.2024 - 05:48:37