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Imhotep, der Junge aus Heliopolis - Kapitel 26

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© Francis Dille   
   
Kapitel 26 – Die Nacht der Verräter


Unterdessen erzitterte der Wüstenboden. Dutzende Reiter auf Kamele rasten im Passgang aus Memphis hinaus, wobei eine gewaltige Staubwolke aufwirbelte. Es war zwar eine mondlose Nacht, aber die Sterne am Himmelszelt leuchteten ungewöhnlich grell, sodass die Sicht über die flache Wüstenlandschaft ausreichte, um trotzdem ohne Fackeln auszukommen. Außerdem sah man am Nachthimmel einen ganz besonders hellen Stern, der plötzlich aufgetaucht war und deutlich einen leuchtenden Schweif hinter sich herzog. Von unten betrachtet glaubte man, dass dieser Stern nur langsam über dem Himmel hinwegflog.
Der schwarz gekleidete Anführer hetzte sein Reittier direkt auf eine Wüstenoase zu, wobei ihm seine Mannschaft im rasendem Tempo folgte. Und je näher sie kamen, desto deutlicher erkannte man das Flackern einiger Lagerfeuer, was durch den kleinen Palmenwald hindurchschien. Zahlreiche Kamele und Streitwagengespanne reihten sich vor der Oase nebeneinander. Die Dienerschaft bewachte die pompösen Fuhrwagengespanne ihrer Herren und als die fremden Reiter langsam herangetrabt kamen, wurden sie von einer Soldatenpatrouille empfangen. Die Kamele knieten im Wüstensand nieder. Der schwarze Beduine wartete, bis ihm ein Soldat beim Absteigen behilflich wurde.
Rundherum steckten Fackeln im Boden, dessen Flammen wild umhertanzten, obwohl nicht das geringste Lüftchen wehte. Des Anführers Gesicht war bis zu seinen Augen vermummt und er blickte verwundert umher. Trotz dieser späten Abendstunde flitzten Kinder an ihm vorbei und tobten mit einigen Soldaten herum. Die fröhliche Stimmung erweckte den Anschein, als würde man dort ein Fest feiern.
Mit langsamen Schritten ging der schwarz bekleidete Mann durch den kleinen Palmenwald. Er vernahm bereits Wortfetzen und hörte das Lachen einiger Frauen und Männer. Die Fackellichter führten ihn direkt zu einer Lichtung. Dort loderte ein riesiges Lagerfeuer, über dem zwei gemästete Spanferkel rösteten, und drumherum, auf ausgebreiteten Teppichen, hockten die wichtigsten Regierungsbeamten des Landes im Schneidersitz, die dem Großen Rat des Komitees angehörten, sowie einige Gaufürsten von Unter- und Oberägypten. Sie aßen und tranken Bier und Dattelwein, während sie sich gegenseitig heitere Geschichten erzählten. Gelächter erklang. Als die Gestalt des geheimnisvollen Beduinen aus der Dunkelheit im flackernden Lichtschein erschien, unterbrachen die hohen Herren ihre Gespräche abrupt und starrten ihn an. Einen Augenblick herrschte absolute Stille, nur noch das Knistern des Lagerfeuers, das entfernte Kindergeschrei und Lachen der Gesellschaft waren zu hören. Der schwarze Beduine wickelte sein Gesicht frei, woraufhin die Großen des Reichs ihm grüßend zunickten.
„Seid gegrüßt, ehrenwerter Eje“, sprachen die Herrschaften nacheinander.

Abseits des Lagerfeuers, um einen Brunnen herum, waren ranghohe Tempelpriester mitsamt ihren Vertrauten versammelt und blickten erwartungsvoll auf General Haremhab, der seinen Fuß gegen das runde Gemäuer abstützte und seine Sandale zuband. Ein Offizier schnürte ihm am Rücken seinen ledernen Brustpanzer auf, ein weiterer Soldat schöpfte aus dem Brunnen eine Schüssel voll Wasser und überreichte es dem Oberbefehlshaber von Ägypten. Haremhab spuckte zur Seite, zog sein Kopftuch ab, erfrischte sich ein paar Mal und schüttelte sich sogleich das Nass aus seinem Haar. Wasserperlen tropften ihm von der Nase über seinen vernarbten, muskulösen Oberkörper herab. Deutlich war die Vernarbung unterhalb seines Herzens zu erkennen, diese Verletzung ihm ein Pfeilgeschoss einst zugefügt hatte, damals vor über zwanzig Jahren, als er die Rebellion auf Zypern zerschlagen hatte, dessen Sieg ihn berühmt und zu demjenigen gemacht hatte, der er nun war. Ein überaus angesehener Mann, dem beinahe die komplette ägyptische Streitmacht wacker zu Füßen lag. Fast jeder Soldat schaute ehrfürchtig zu ihm hinauf. Das Volk verehrte ihn ebenso aber einige Großen des Landes missfiel inzwischen sein heldenhaftes Ansehen. Die glorifizierenden Geschichten, die über ihn verbreitet wurden, klangen einfach zu übermenschlich. Das ägyptische Volk glaubte nämlich, Haremhab sei von den Göttern geschickt worden und die Legende des Phönix hätte sich erfüllt, dass alle fünfhundert Jahre ein unbesiegbarer Kriegsheld geboren wird, um Ägypten zu beschützen. Manche Staatsmänner überlegten sogar ernsthaft nach, wie sie Haremhab beseitigen könnten, weil er mittlerweile viel zu einflussreich und gefährlich geworden war.
Ramses, über dessen Kopf ein Lederhelm gestülpt war, hielt ihm ebenfalls eine Wasserschale entgegen. Vielleicht war der Feldherr durstig. Haremhab wies aber mit einer Handbewegung ab. Ramses blickte daraufhin die Priesterschaft fragend an, aber niemand verlangte danach, etwas zu trinken. Gewiss waren die Herrschaften sehr durstig, jedoch beabsichtigten sie ihr Bedürfnis nicht mit Wasser zu stillen. Nicht in diesem Augenblick, nicht in dieser Nacht. Doch dann winkte der Hohepriester des Amun ihn herbei. Ahmose dürstete es sehr. Kaum hatten seine Lippen die Schale berührt, schluckte er gierig, sodass ihm das Wasser über die Mundwinkel herablief und seine Priesterrobe befeuchtete. Er wischte mit dem Ärmel seinen Mund trocken und verlangte nach mehr, woraufhin Ramses ihm nachschenkte. Haremhab lächelte, während deutlich das Gezirpe der Heuschrecken zu vernehmen war. Er ging auf Ahmose zu, umarmte ihn grob und klopfte ihm kräftig gegen seinen Rücken. Immer und immer wieder. Diese ruppige Begrüßung empfand der Hohepriester allerdings als respektlos und blickte Haremhab empört ins Gesicht. Der General erwiderte jedoch nur grinsend, wobei er ihn mit seinem markanten, müde wirkenden Blick anschaute.
„Heute Nacht ist eine historische Nacht, Hochwürden, die Geschichte schreiben wird und Ihr verlangt in der Tat nur nach Wasser? Für mich möge man ein Bierfass öffnen. Männer, lasset uns heute alle trinken, bis wir nicht mehr stehen können!“, rief er mit ausgebreiteten Armen freudig, wobei er sich im Kreis drehte und jeden anblickte. Daraufhin lachten die Soldaten, aber die Priesterschaft schaute Haremhab nur mit erhobenem Kinn an. Was erlaubte sich der General soeben? Solch ein flegelhaftes Benehmen gegenüber dem Hohepriester des Amun würde sich normalerweise nicht einmal der Pharao wagen. Immerhin war Ahmose die zweitwichtigste Person im Reich und war ebenfalls ein Thronanwärter, der infrage kam.
„Was schaut ihr alle so betrübt drein?“, fragte der General die Priester herrisch. „Fürchtet ihr euch etwa davor, was nach dem Votum geschehen wird? Wir tun nur das, was getan werden muss, weil die Götter es von uns abverlangen! Ägypten muss von einer starken Krone geführt werden, und nicht schon wieder von einem schwachen König, der die Maat (Göttin der Gerechtigkeit und Weltordnung) aus dem Gleichgewicht und Kemet ins Verderben bringt!“
„Das ist uns allen selber bewusst, Haremhab“, antwortete Ahmose forsch. „Es ist nur verwirrend, dass du scheinbar die Konversation zu übernehmen gedenkst, um die Meinung des königlichen Hofes zu vertreten. Du bist kein offiziell ernannter Angehöriger des Königshauses, diese Aufgabe steht allein nur mir oder Eje zu. Du bist zwar Ejes Vertrauter, aber mir ist nicht bekannt, dass der ehemalige Wesir dir die Befugnis dafür erteilt hat. Und auch wenn Eje seines Amtes nicht mehr waltet, steht er trotzdem immer noch über dir. Vergiss das niemals, Haremhab!“, wies Ahmose ihn mit erhobenen Zeigefinger zurecht.
Haremhab schaute ihn finster an und trat dem Hohepriester auf die Pelle, sodass Ahmose unweigerlich einen Schritt zurückging, und deutete zum Nachthimmel hinauf.
„Da stimme Euch zu, Eje ist und bleibt mein Herr. Aber eine Befugnis seinerseits ist nicht vonnöten. Seht Ihr diesen Stern dort oben am Himmel, der wie eine brennende Faust durch die Nacht wandert, Ahmose?“ – Alle schauten sofort hinauf – „Der Himmelsgott Horus persönlich gibt uns ein Zeichen, dass er mich dazu bevollmächtigt hat, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Jeder Zweifel sei hiermit hinfällig … Hochwürden!“, konterte der General.
Die meisten Leute hatten diesen Kometen noch gar nicht bemerkt aber als sie hinaufschauten, raunten sie aufgebracht und die Soldaten sowie die Priesterschaft knieten sofort nieder. Einige bekamen es mit der Angst zu tun, weil sie solch eine Himmelserscheinung noch nie gesehen hatten. Selbst Ramses, der in jeder Schlacht stets neben dem General tapfer gekämpft hatte, ebenso furchtlos war und sich selten von einem Gotteszeichen einschüchtern ließ, kniete demütig nieder und blickte mit leicht geöffnetem Mund zum Himmel hinauf. Nun war er mehr denn je davon überzeugt, dass Haremhab ein Auserwählter der Götter war.
Nur der Hohepriester Ahmose und seine Vertraute Satamun blieben aufrecht stehen und beobachteten erstaunt, wie der außergewöhnlich leuchtende Stern, wie ein kleiner Feuerball, langsam am Nachthimmel entlang zog. Dieses Phänomen empfanden beide ebenfalls als ein Zeichen der Götter, denn dies konnte unmöglich irgendein Trick sein, womit Haremhab alle zu täuschen versuchte. Satamun blickte ernst hinauf. Gewiss war es eine Botschaft der Götter, zweifelsohne, doch glaubte sie keinesfalls das es ein Zeichen war, so wie es der General interpretierte.
Satamun erinnerte sich noch sehr gut daran, als sie noch ein junges Mädchen und mitten in ihrer Ausbildung gewesen war, als sie gemeinsam mit Ahmose nächtelang die Sterne gedeutet hatte. Und jedes Mal wenn eine Sternschnuppe über den klaren Nachthimmel huschte, hatte ihr der Hohepriester erklärt, dass Osiris soeben ein Mensch in das Totenreich aufgenommen hätte. Aber am Nachthimmel sah sie jetzt keine Sternschnuppe, die schnell vorbeisauste und wieder verschwand, sondern ein der leuchtenden Sterne, der sich ganz langsam über das Himmelszelt fortbewegte und dabei sogar brannte. So etwas hatte sie zuvor noch nie gesehen. Satamun verneigte sich vor Ahmose und fragte, ob sie sich kurz entfernen dürfte. Ahmose nickte wortlos, wobei er seinen starren Blick nicht vom Himmel abwandte.
Plötzlich eilte ein Hauptmann herbei und flüsterte dem General etwas ins Ohr. Haremhab nickte, dann zog er seinen Dolch aus der Scheide und rammte diesen wuchtig in eine Palme hinein.
„Der Thronfolger ist erschienen.“

Nachdem Eje sich zu erkennen gegeben hatte, blickte er mit seinen trüben Augen regungslos umher. Schmal war er geworden, wie die hohen Herren es feststellten und ein langer weißer Bart schmückte sein faltiges Gesicht. Eje wirkte beinahe zerbrechlich, aber der Schein trog. Immerhin war der ehemalige Wesir noch imstande, mit einem Kamel durch die Wüste zu reiten und sein Verstand war immer noch so klar, wie der eines listigen Steuereintreibers.
Die Ratsangehörigen – einige von ihnen waren einst seine Todfeinde gewesen – lächelten ihn freundlich an, hoben ihre Kelche und machten ihm scheinheilige Komplimente, wie gut er aussehen würde und betonten immer wieder, dass sie sehr darüber erfreut seien, ihn wiederzusehen.
Der Große Rat war geteilter Meinung. Die einen befürworteten, dass Eje zum Thronfolger gewählt werden sollte, weil er Pharao Tutanchamun gewissenhaft vertreten und mit dem Komitee stets kooperativ zusammengearbeitet hatte. Die andere Partei wünschte sich allerdings Ahmose zum Auserkorenen, denn falls der Hohepriester Pharao werden sollte würde dies bedeuten, dass die Königsresidenz wieder zurück nach Theben verlegt werden würde. Dann wäre wieder Oberägypten das mächtigere Land von Kemet und die strengeren, die disziplinierteren Regeln des vergangenen Alten Reichs würden wieder eingeführt werden.
Ahmose war jedoch gar nicht mehr so erpicht darauf, wie früher zu Echnatons Zeiten, Thronanwärter zu werden, schließlich war er bereits genauso wie Eje ein alter Mann und es reichte ihm völlig aus, der zweitmächtigste Mann in Ägypten zu sein. Seine Residenz war der Reichstempel, der große Amun Tempel in Karnak, und er herrschte über Theben und deren Provinzen. Es wurde Ahmose versichert, dass sich für ihn nichts ändern würde. Der Hohepriester befürwortete also, dass Eje zum Thronfolger gewählt wird, weil der ehemalige Wesir sich ohnehin kompetenter mit allen Regierungsgeschäften auskannte. Eje hatte sich aber nach über sechzig Jahren Dienstzeit endlich zur Ruhe gesetzt, dafür trat sein Vertrauter, der Schatzmeister Maya, nun in seine Fußstapfen. Maya war jetzt der Wesir von Ägypten.
In Anbetracht einer Zeitepoche der frühen Antike, in der Seuchen nur mit Verbannung bekämpft wurden, selbst eine harmlose Infektion zum Tode führen konnte und ein Menschenleben ohnehin nicht viel bedeutete, hatte Eje mit seinen mittlerweile achtzig Jahren ein geradezu biblisches Alter erreicht, welches höchstens ein Priester, eine Frau aus dem Volk oder ein Eremit aus einem Bauerndorf erreichte und selten ein Mann, der es sein Leben lang mit Machtgier, Intrigen und Korruption zu tun hatte, und ständig von Feinden umgeben war. Nun sah man ihm sein greises Alter an und es war ihm anzumerken, dass sein unbändiger Ehrgeiz nach der Doppelkrone zu greifen, längst verflossen war. Eje erwiderte die Begrüßung nur mit einem kurzen Nicken und sah dann Haremhab an, der aus dem Dunklen mit ausgebreiteten Armen auf ihn fröhlich zukam und ihn vorsichtig umarmte. Dann kniete Haremhab mit einem Bein vor seine Füße nieder.
„Sei gegrüßt, hoher Herr. Lasst Euch beglückwünschen. Das Königshaus sowie der hochwürdiger Hohepriester persönlich und auch das Komitee akzeptieren ausschließlich Euch als Thronfolger. Nur Ihr seid imstande, das schwarze Land erfolgreich zu regieren, falls unserem Pharao in dieser ungewissen Zeit des Krieges etwas zustoßen sollte, was hoffentlich nie passieren wird. Heil unserem Großen Pharao Tutanchamun, möge der lebendige Horus ewig leben“, sprach Haremhab.
Die Herrschaften des Komitees klatschten nach und nach zögerlich in die Hände.
„Wie … das war’s schon? Ohne weiteres Tamtam ernennt das Königshaus mir nichts dir nichts Eje zum Thronfolger? Wo bleibt der Prunk, wo bleibt der Paukenschlag und die Fanfare?“, fragte der Vorsitzende des Komitees verdutzt. „Ich hätte eher gedacht und es auch befürwortet, dass unser Hohepriester zum Thronfolger ernannt wird, schließlich ist er noch im Amt tätig. Weshalb überhaupt diese Abstimmung, wenn es ohnehin anscheinend feststand, dass Eje zum Thronfolger auserkoren wird? Was sagt eigentlich Pharao dazu? Wo bleibt Hoheit überhaupt? Mir kam zu Ohren, dass er wieder in seiner Residenz in Memphis angekommen sei.“ Der Vorsitzende schmatzte sich seine fettigen Finger ab. „Leider hatte ich keine Gelegenheit, den jungen Gott, Neb-cheperu-Re, Tut-anch-Amun, persönlich kennen zu lernen, als er Theben besucht hatte.“ Er tupfte seine abgeleckten Finger mit einem Leinentuch ab und grinste breit über die Backen. „Ich bin untröstlich und zerknirscht, weil ich hoffte, mich heute am Antlitz des Sohns des Re ergötzen zu dürfen.“ Er blickte den General plötzlich scharf an und warf das Tuch ins Feuer. „Also, wann erscheint der Pharao? Ich verlange, dass Hoheit die Thronfolge persönlich bestätigt, vorher werde ich als Vorsitzender des Komitees diese Entscheidung nicht akzeptieren! Der Gaufürst von Heliopolis teilt übrigens meine Meinung!“
Der Vorsitzende des Rates blickte zum wichtigsten Gaufürsten hinüber, woraufhin der uralte Mann seinen Blick aber von ihm abwendete und dessen Meinung weder bestätigte, noch dementierte. Die Zustimmungen der Gaufürsten trugen zwar sehr viel zu politischen Entscheidungen bei, aber dieser alte Mann war gescheit genug gewesen, sich diesmal zu enthalten, um noch ein paar Jährchen weiter auf der Welt zu verweilen.
Haremhab lächelte erhaben.
„Entschuldigt, aber der Pharao wird leider nicht erscheinen, weil das Königshaus Hochwohlgeboren für unzurechnungsfähig erklärt hat, genauso wie damals seinen Vater Echnaton. Hoheit war töricht gewesen und hatte beabsichtigt, allen Ländern ein Friedensabkommen zu unterbreiten, was der kluge Maya aber rechtzeitig zu unterbinden wusste. Maya hatte einen vertrauenswürdigen Eilboten entsandt, der für Ägypten zu sterben bereit war. Diese Maßnahme war leider unvermeidlich gewesen und hat der Pharao mit seiner törichten Entscheidung ganz alleine verschuldet!“, betonte er. „Dafür herrscht jetzt ein bisschen Krieg. Die Hethiter sind bereits bis nach Amarna vorgedrungen und haben sich in den Ruinen von Achetaton verschanzt.“
„Bitte, was?!“, brüllte der fettleibige Vorsitzende des Komitees und schleuderte zornig seine Essensschale ins Lagerfeuer. „Das ist ja ungeheuerlich! Das konnte Pharao doch nicht wirklich beabsichtigen! Ein Friedensvertrag mit allen Ländern würde gleichzeitig unseren Verbündeten davon entbehren, Tribute zu zahlen, weil militärische Unterstützungen daraufhin nicht mehr nötig wären. Ein kompletter Frieden bedeutet ein Ruin für uns!“, brüllte der Vorsitzender des Komitees aufgebracht. „Die Großkönigreiche würden uns verspotten und glauben, Ägypten ist schwach geworden und die Zeit sei gekommen, um einzumarschieren und Kemet zu erobern. Ein Friedensabkommen kann Majestät doch nicht einfach so über unsere Köpfe hinweg entscheiden! Er ist zwar der Pharao und steht über dem Gesetz, aber wir leben längst nicht mehr wie im Alten Reich zu Chufus Zeiten! Er bricht, genauso wie es Echnaton tat, alle Regeln. Aber dass ein Eilbote entsandt wurde, um den Thronfolger der Hethiter zu ermorden, ist genauso wahnsinnig wie töricht! Es ist ungeheuerlich, dass ich über die Wahrheit erst jetzt informiert werde. Krieg oder Frieden … Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was nun bedrohlicher ist!“
„Tja“, zuckte Haremhab scheinheilig lächelnd mit seiner Schulter, „Hoheit ist eben ganz seines Vaters Sohn und nun haben wir das Dilemma. Darum sollte zukünftig Eje herrschen, falls dem Pharao etwas zustößt, weil er mit allen Regierungsgeschäften vertraut ist, damit Kemet von solch einer Ziegenscheiße, die der Pharao fabriziert hat und zum Untergang führt, ein für alle Male bewahrt wird!“
Der Vorsitzende blickte Maya zornig an, während er ihm mahnend seinen Zeigefinger entgegenstreckte.
„Und Ihr, Maya, habt es gewagt, ohne meine Zustimmung den Thronfolger des Großkönigs Šuppiluliuma ermorden zu lassen? Seid Ihr denn noch bei Trost?! Die Hetither können uns gefährlich werden! Maya … Das wird Konsequenzen für Euch haben!“, fauchte er drohend.
Aber dem Wesir Maya imponierte diese Drohung nicht im Geringsten. Er neigte seinen Kopf seitlich und nickte, wobei er freundlich lächelte.
Die Heiterkeit verschwand aus Haremhabs Gesicht, dann schaute er wieder wie gewohnt, mit halb geschlossenen Augenlidern, und wirkte dabei finster. Er deutete in die weite Wüstenlandschaft hinaus.
„Plustert Euch nicht so auf, geehrter Vorstand. Euch war ein Krieg doch ebenso recht, nur habt Ihr Euch niemals getraut, einen Befehl zu erteilen, um die Hethiter herauszufordern. Sie sind und waren schon immer eine Bedrohung für Ägypten gewesen. Nun ist Schluss damit! Jetzt haben wir ihnen gezeigt, wozu wir fähig sind und haben ihnen die Grenzen gesteckt! Wir haben den ersten Schwertschlag gewagt und allen gezeigt, dass wir immer noch stark sind und es auch bleiben, dass wir es locker mit allen, mit jedem verfluchten Königreich aufnehmen können! Sie sind jetzt zwar alle empört und haben gegen uns Sanktionen verhängt, aber dafür haben sie jetzt alle wieder Respekt vor uns. Der Großkönig wird sich jetzt nicht einmal in seinem eigenen Palast sicher fühlen, er wird ab sofort niemals mehr ruhig schlafen können. Aber meine Soldaten sind es, die dort draußen gegen diese verfluchte Bande die Stellung halten. Sie vergießen ihr Blut, damit Euer Arsch weiterhin sicher im gelobten Theben walten darf, damit Ihr von Eroberung nur weiterhin schwätzen könnt! Eure Meinung interessiert hier nicht. Ihr dürft nur anwesend sein, merkt Euch das! Der Thronfolger steht fest! Es ist der ehrenwerte Eje. Der Hohepriester des Amun und das Königshaus stehen hinter dieser Entscheidung … Basta!“, fuhr der General ihn herrisch an.
Der Vorsitzende blickte empört in die Runde. Niemand verteidigte ihn oder legte Protest gegen diese ungeheuerliche Beleidigung ein, die sich dieser unverschämte General erlaubte. Erst jetzt nahm der ranghohe Staatsmann die zahlreichen Soldaten wirklich wahr, die mit Speeren sowie Schildern bewaffnet waren, überall regungslos in Position standen und ihn kämpferisch anstarrten. Wortlos setzte er sich wieder, ließ sich von einer Sklavin bedienen und schaufelte gefrustet seine Mahlzeit in sich hinein. Das gegrillte Schweinefleisch mit dem Gemüse schmeckte einfach zu köstlich.

Satamun hatte sich wie gewohnt die Kapuze über ihren geschorenen Kopf gestülpt. Ein Schatten verdunkelte ihr Gesicht. Nur ihre Stupsnase und ihren Mund konnte man erkennen. Die Priesterin lief unauffällig umher und verfolgte das Geschehen. Es war ähnlich wie bei einem Opet-Fest. Die Leute lachten, sie tranken und unterhielten sich angeregt. Manche tanzten sogar um die Lagerfeuer herum, wobei laut gesungen und im Takt geklatscht wurde. Einige waren bereits betrunken. Satamun dachte dabei grad an das damalige schicksalhafte Votum vor über dreizehn Jahren, welches sie noch verschwörerisch und geheimnisvoll in Erinnerung behalten hatte. Damals waren nur ganz wenige, nur die wichtigsten Personen eingeweiht worden. Man hatte kein Wort gesagt sondern seine Zustimmung für ein Gottesopfer nur mit einem Nicken bestätigt, danach wurde von der Priesterschaft ein Ritual ausgeführt und Gebete wurden gesprochen. Doch diesmal war nichts dergleichen zu spüren. Nun waren mindestens fünfmal so viele Personen anwesend, selbst die ranghohen Staatsmänner und deren Familien, die laut der Schriftrolle des Seth eigentlich gar nicht anwesend sein durften.
Satamun brachte in Erfahrung, dass der Große Rat keinerlei Einfluss auf das Votum hatte. Diese Leute sollten lediglich erscheinen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass es mit rechten Dingen zuging und keine Mordpläne gegen den Pharao geschmiedet werden. Das Komitee war seit dem letzten Votum vor über dreizehn Jahren, als die Vormundschaft von Tutanchamun abgestimmt wurde, misstrauisch geworden, weil Pharao Echnaton danach ganz plötzlich verstorben war. Deshalb verlangte der Große Rat, dass das Komitee ab sofort zwingend anwesend sein musste und obendrein ein Wahlrecht erhielt. Nun mussten die Staatsleute aber verbittert feststellen, dass sie gegen das Königshaus absolut nichts ausrichten konnten, weil nicht nur die einflussreichsten Tempelpriester, sondern zudem das Militär über die Regeln des Votums bestimmten. Das gesamte Komitee mitsamt ihren Familien waren anwesend und nur der geringste Protest gegen den Entschluss würde ihr Todesurteil bedeuten, denn die Staatsleute ahnten nicht, dass Haremhab vorsorglich meilenweit in der Wüste eine große Grube hatte ausgraben lassen, in der die Herrschaften samt ihrer Sippschaft und auch deren Kinder für immer verschwinden würden, falls ihrerseits massiver Ärger drohte, woraufhin die Abstimmung vertagt werden müsste. Ein kompletter Reichsrat ließ sich immerhin problemloser neu ernennen, als ein einziger Thronfolger.
Satamun atmete erleichtert auf. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht und es wird tatsächlich nur ein Thronfolger auserwählt und verkündet. Es waren einfach zu viele Zeugen da und es wäre viel zu auffällig, wenn der Pharao in den nächsten Tagen oder gar in derselben Nacht plötzlich mysteriös sterben würde, wie damals Echnaton. Denn diesmal war die Atmosphäre aufgelockert und fröhlich. Kinder tollten herum, Tänzerinnen waren engagiert worden und sogar die Halbschwestern von Tutanchamun waren anwesend. Viele glaubten sogar, dies sei Pharaos Geburtstagsfest, in welches man hineinfeierte. Alle Halbschwestern, bis auf Prinzessin Meritaton, waren mit Priestern oder angesehenen Gelehrten vermählt worden. Meritaton aber hatte bislang bewusst auf eine Vermählung verzichtet, weil sie andernfalls ihren aristokratischen Titel eingebüßt hätte und sie sich nicht mehr weiterhin, wie ihre Schwestern, offiziell eine Prinzessin heißen dürfte.
Prinzessin Meritaton ähnelte ihrer jüngeren Schwester Anchesenamun äußerlich am meisten, bis auf das sie etwas schlanker war und ihre Gesichtszüge strenger wirkten. Meritaton war nicht nur eine wunderschöne Frau, sondern auch sehr charismatisch, dies sie von ihrem Vater geerbt hatte. Wo auch immer die Prinzessin auftrat, richteten sich sofort alle Blicke auf sie. Ihr Lächeln war wie ein Sonnenaufgang und zog selbst die Damen in ihren Bann. Aber wehe dem wenn sie missgelaunt war, dann umgab sie eine finstere Aura und man ging ihr besser aus dem Weg. Auf viele Männer wirkte sie verrucht, und weil die Prinzessin dafür bekannt war, dass sie sich manchmal auf ein schnelles Liebesabenteuer im Pferdestall einließ, betrachteten einige Herren sie als eine kluge und interessante Person.
Als Meritaton damals mit Semenchkare verheiratet wurde, war sie für eine kurze Zeit in den Genuss des Ranges einer Königin gekommen und lauerte all die Jahre darauf, die Krone zurückzugewinnen, weil man ihr jeden Wunsch bedingungslos erfüllt hatte. Diese Kindheitserinnerung sowie das blutige Gemetzel in Achetaton, welches sie damals als Jugendliche miterleben musste, hatten sie geprägt, weshalb aus dem einst liebevollen Mädchen nun eine kaltherzige Frau geworden war. Sie war äußerst durchtrieben, wusste über die Schriftrollen des Seth bestens Bescheid und witterte nun die einmalige Gelegenheit, ihre leibliche Schwester vom Thron zu stoßen, falls einige hohe Herren tatsächlich mit dem Gedanken spielten, Pharao Tutanchamun allen Göttern zu opfern. Prinzessin Meritaton wurde sogar vom Hohepriester persönlich eingeladen und überzeugt worden, dass sie für den ehemaligen Wesir Eje abstimmen sollte, weil er ihr versicherte, dass sie die nächste Große königliche Gemahlin wird, falls sich Anchesenamun unkooperativ verhalten würde.
Satamun faltete ihre Hände, schlenderte mit leicht gesenktem Haupt zwischen den feiernden Leuten hindurch und beobachtete jeden unauffällig aus ihrer Kapuze heraus. Manchmal blickte sie zum Himmel hinauf und schaute zum brennenden Stern, der mittlerweile größer geworden war und sich rascher fortbewegte. Satamun grübelte. Was wollten die Götter bloß mit diesem Zeichen verkünden? Weshalb schleuderte der Himmelsgott Horus ein seiner Sterne durch die Nacht? Oder war es sogar die Himmelsgöttin Nut, die zu den Urgöttern zählte und praktisch die Großmutter von Horus war, weil sie Osiris, Isis und auch Seth gebärt hatte? Für Satamun ergab sich leider keine Zeit mehr, zu meditieren, weil sie sich jetzt umgehend in das Zelt von Haremhab begeben musste, um gemeinsam mit ihrem Vertrauten Ahmose abzustimmen. Ihr fielen augenblicklich nur zwei Möglichkeiten ein: Entweder warnte Horus vor einem großen Unheil oder der entflammte Stern bedeutete tatsächlich, dass Haremhab rechtens handelte und befugt war, die Interessen des Königshauses zu vertreten.

Während Prinzessin Meritaton sich abseits mit verführerischen Augen dem beleibten, trotz alledem fabelhaft aussehenden Priester Huni widmete und mit ihm unauffällig schäkerte, unterhielt Maya die schlemmende Gesellschaft am Lagerfeuer. Es wurde viel gelacht und getrunken, die Fröhlichkeit überwog und nichts deutete auf eine Verschwörung hin. Die Herrschaften des Großen Rates hatten es schließlich zerknirscht hingenommen, dass sie vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden.
General Haremhab verneigte sich vor dem Komitee, fragte nach deren Wohlergehen und wünschte allen Herrschaften einen guten Appetit. Dann nickte er Maya fragend zu, der daraufhin kurz seine wasserblauen Augen schloss und dem General damit zu verstehen gab, dass er Herr über der Lage sei und die Staatsmänner weiterhin mit banalen Konversationen unterhalten würde. Maya klatschte zweimal kräftig in seine Hände, woraufhin Flötenmusik ertönte und reizvolle, spärlich bekleidete Frauen plötzlich aus dem Gebüsch huschten und lasziv um das Lagerfeuer tanzten. Die Augen der Männer weiteten sich vor Entzücken. Sie ließen sogar von ihren deftigen Mahlzeiten ab und klatschten dabei freudig im Takt. Nun waren diese Herren erstmal beschäftigt und abgelenkt.
Haremhab fasste Eje behutsam an seine Schulter und führte ihn durch das Gebüsch, bis zu einem Trampelpfad, welcher ebenso mit brennenden Fackeln abgesteckt war und zu seinem geräumigen Zelt führte. Plötzlich stand der ranghohe Offizier mit dem Lederhelm vor ihnen.
Eje musterte diesen Soldat. Die Erscheinung dieses Mannes war beeindruckend. Sein muskulöser Oberkörper glänzte seicht. Aus dem Diademreif, welcher seinen Lederhelm schmückte, ragte ein kleiner goldener Schakalkopf heraus (Gott Anubis) und auf seiner Gürtelschnalle war ein Löwenkopf gestanzt, welcher die Kriegsgöttin Sachmet symbolisierte. In dessen Augen spiegelte sich die unerschrockene Entschlossenheit wider, seinem Land konsequent bis in den Tod zu dienen. Eje hatte ihn einmal flüchtig gesehen aber nie bewusst wahrgenommen, damals vor dreizehn Jahren, während der Belagerung von Achetaton.
„Herr, ich will Euch mein engsten Vertrauten vorstellen. Er ist der neue General der ägyptischen Streitmacht. Ich habe ihn dazu ernannt. Er heißt Ramses und wird unsere Armee gegen die Hethiter anführen.“
„Haremhab, was hast du dir dabei bloß gedacht? Bist du denn wahnsinnig geworden?!“, fuhr Eje ihn aufgebracht an. „Du warst es eigentlich gewesen, der diesen Eilboten entsandt hatte, um Arnuwanda I. umzubringen. Du hattest es Maya befohlen, und er hatte dir gehorcht und mich somit hintergangen. Was hast du ihm bloß versprochen und ihm zugesichert, dass er es wagte, Verrat an mich auszuüben?“ – Eje schlug wütend seine Faust auf seine Brust – „Ihr beide habt mich hintergangen, ich wäre mit euren Handlungen niemals einverstanden gewesen! Wenn ich noch im Amt wäre, dann würde ich euch beide …“
Eje holte einmal tief Luft.
„Die Hethiter sind unsere gefährlichsten Feinde, weil sie fanatisch sind. Die alten Pharaonen hatten sich mit den Hethitern seit über zweihundert Jahren nicht angelegt, und das aus gutem Grund! Du hast einen schlafenden Löwen geweckt, der nur darauf gewartet hatte, provoziert zu werden! Die Hethiter verfügen über starke Verbündete … Du törichter Narr!“ fauchte Eje erbost. „Ich gebe ja zu, all die Jahre auf die Pschentkrone erpicht gewesen zu sein, aber doch jetzt nicht mehr!“ Eje atmete erneut tief durch und versuchte, sein aufgebrachtes Gemüt selbst zu beruhigen.
„Wie dem auch sei …“, fuhr er fort. „Ich werde die Thronfolge nicht annehmen, weil ich mich endgültig zur Ruhe gesetzt habe. Ich weiß sehr genau, worauf das alles hinausführt. Ich werde ein Gottesopfer diesmal nicht befürworten. Diesmal nicht! Und ohne mein Zugeständnis ist es kein Opfer für die Götter, sondern ein hinterhältiger Mord. Die Götter werden erzürnt sein, falls du es dennoch wagst! Haremhab, sei vernünftig und höre mich an. Gib Tutanchamun eine Chance, er ist doch noch jung. Er wird ein guter König werden, ganz bestimmt. Das Volk liebt ihn, genauso wie dich. Das ist die beste Voraussetzung, um zu herrschen. Ich bitte dich sogar darum, Haremhab.“
Haremhab aber schüttelte mit dem Kopf.
„Für eine Chance ist es längst zu spät, hoher Herr. Du wirst die Thronfolge sogar unweigerlich annehmen müssen. Kommt mit in mein Zelt und überzeugt Euch selbst. Du wirst sehen, Herr, das dir gar nichts anderes übrig bleibt. Andernfalls wird ein totaler Krieg unweigerlich bevorstehen und das Reich könnte besiegt werden. Dann müsstest du dafür die Verantwortung tragen, wenn du weiterhin uneinsichtig bist. Überlege dir ganz genau, wie du entscheiden wirst.“
„So ein Unsinn! Mir ist das Regieren überdrüssig geworden. Ich wäre kein guter König und somit das nächste Gottesopfer. Und was gedenkst du überhaupt zukünftig zu tun, da du ja kein General mehr bist?“
„Ich werde dich immerzu unterstützen, Herr, und dein Mitregent sein. Somit wäre deine Thronfolge gesichert. Du hattest recht, Herr, als du damals auf der königlichen Sonnenbarke mir prophezeit hattest, dass du und ich eines Tages über ganz Ägypten herrschen werden. Jetzt ist es soweit.“
Eje blickte ihn nur verdutzt an, dann fasste Haremhab an seine Schulter und führte ihn sachte in sein Zelt hinein.

Der Hohepriester Ahmose stand vor dem geräumigen Zelt und winkte seine Vertraute hektisch herbei. Er musste ihr sogar laut zurufen, weil sie wiedermal völlig in Gedanken versunken war und seine Aufforderung gar nicht bemerkte. Die Zeit war gekommen, alle eingeweihten Personen befanden sich bereits im Zelt, um über Tutanchamuns Schicksal zu entscheiden. Satamun blickte nochmal zum Nachthimmel hinauf, aber der brennende Stern war plötzlich verschwunden. Es war auch deutlich dunkler geworden. Die Sterne strahlten nicht mehr gar so grell.
Ahmose hüstelte ständig und Schweißperlen lagen auf seiner Stirn. Satamun fragte nach seinem Wohlbefinden aber der Hohepriester winkte nur lächelnd ab und meinte, dass ihn der Rauch des Lagerfeuers im Hals kratzen würde und diese Nacht ohnehin wiedermal viel zu schwülwarm wäre, was ihm zu schaffen machte.
Satamun war, sowie auch Haremhab, die größte Person unter den Verschwörern und war erstaunt, als sie geduckt eintrat, weil sie mit so vielen Leuten nicht gerechnet hatte. Mittig in einer großen Messingschale brannte ein Feuer, drumherum standen die Priesterschaft und die Angehörigen des Königshauses. Es war mucksmäuschenstill, nur das Knistern des Feuers war zu hören. Prinzessin Meritaton zog unauffällig an Hunis Priesterrobe und flüsterte ihm lächelnd etwas ins Ohr. Seine geschminkten Augenlider blickten finster drein, dann verzierte ein verschmitztes Grinsen sein Gesicht und er nickte.
Eje verschränkte die Arme hinter seinen Rücken und ging mit ernster Miene auf ein Podium zu, darauf eine breite, elegante Couchgarnitur aufgestellt wurde. Er glaubte zuerst nicht, dass es tatsächlich wahr ist, wer dort erhöht hockte. Eje blickte ihn feindselig an und schnalzte energisch mit seinen Fingern, woraufhin ihm eine Zofe einen Kelch Dattelwein servierte. Eine bedrückende Stille herrschte im Zelt, denn zwei bis aufs Blut verfeindete Parteien standen sich nun unmittelbar gegenüber.
Mittig auf der Couchgarnitur hockten der Hethiter Prinz Arnuwanda II. und direkt daneben sein jüngerer Bruder Zida, der als sein Dolmetscher fungierte. Hinter beiden Hethiter Prinzen standen einige kräftige Leibwächter, die grimmig dreinschauten. Jeder von ihnen trug einen Turban auf seinen Kopf.

Der amtierende Thronanwärter Arnuwanda II. hockte im Schneidersitz auf der Couch, nickte dem betagten Eje freundlich zu und rauchte eine Wasserpfeife. Eine Rauchschwade stieß aus seiner Hakennase heraus, wobei er sich seinen gepflegten Bart kraulte und Eje scharf musterte. Dieser alte Mann soll also zum Pharao gekrönt werden, dachte er sich im Stillen.
Die Hethiter waren mit hellen Gewändern sowie Ledergürteln bekleidet. Sie waren unbewaffnet – jeder Anwesende im Zelt war unbewaffnet.
Arnuwanda flüsterte seinem jüngeren Bruder Zida etwas ins Ohr, wobei er Eje unentwegt in die Augen starrte. Prinz Zida, der erst Anfang Zwanzig war, zeigte keinerlei Regung. Weder nickte, noch lächelte er. Er zwinkerte nicht einmal mit seinen Augenlidern.
„Ich darf Euch allen Prinz Arnuwanda II. vorstellen, der Sohn des Großkönigs Šuppiluliuma. Er ist jetzt der Thronfolger und wird irgendwann als Großkönig über das Reich der Hethiter herrschen. Nun ja, sein älterer Bruder, Prinz Arnuwanda I., ist leider etwas verhindert, weil ihm letztens ein Bote von uns einen Besuch abgestattet hatte“, verkündete Haremhab trocken, woraufhin leises Gelächter erklang, es aber sogleich wieder verstummte.
„Ich gab Arnuwanda mein Wort, dass ihm und seinen Gefährten nichts geschehen wird. Er führt die hethitische Armee an und belagert zurzeit die Ruinen von Achetaton. Wir halten selbstverständlich dagegen. Der neue General Ramses wird unsere Armee anführen. Der ehrenwerte Sohn des Großkönigs und ich haben eine Vereinbarung getroffen. Wir haben seine Armee bis in das ägyptische Hoheitsgebiet einmarschieren lassen, somit erhält Šuppiluliuma vorerst Genugtuung. Verzeiht Prinz Arnuwanda also, weil er nicht mehr um seinen Bruder trauert, aber der Großkönig versprach ihm die Krone, wenn er Pharaos Tod erzielt. Wie er dies anstellt, ist ihm schlichtweg egal. Der Großkönig hat uns den Krieg erklärt doch der ehrenwerte Arnuwanda und ich haben eingesehen, dass Rache keine gute Idee ist.“
Haremhab wanderte gemächlich hin und her, als er zu allen Verschwörern sprach und hielt dabei manchmal mahnend seinen Zeigefinger in die Höhe.
„Wir denken an die Zukunft und an unser aller Wohlergehen. Ein Krieg würde höchstwahrscheinlich jahrzehntelang andauern und beide Reiche würden ausgelaugt werden. Beiden Völkern würde in dieser langen Zeit unbeschreibliches Leid widerfahren. Ebenso würde ein Friedensabkommen zwischen uns, unseren Ruf und den der Hethiter ruinieren. Die Nachbarländer aus allen Himmelsrichtungen würden beide Reiche verspotten und sich gegen uns auflehnen, weil sie uns nicht mehr ernst nehmen würden. Aber ein Waffenstillstand wäre akzeptabel.“
Zida übersetzte unterdessen flüsternd seinem Bruder, der permanent an dem Schlauch einer Wasserpfeife sog, das Gespräch ins Ohr. Prinz Arnuwanda nickte und musterte währenddessen jede anwesende Person.
Satamun begriff nun, dass Haremhab der eigentliche Verräter war und er gemeinsam mit diesen Hethiter Prinzen jeweils nach der Krone trachtete. Beide hatten offensichtlich einen Pakt geschlossen. General Haremhab hatte einen Krieg provoziert, um rechtmäßig dieses Votum aufzurufen und der Hethiter Prinz hatte dafür gesorgt, dass sein älterer Bruder Anuwanda I., der rechtmäßige Thronfolger des hethitischen Reichs, den Todesboten in Empfang genommen hatte. Der Großkönig hatte daraufhin seinem zweitältesten Sohn die Krone versprochen, wenn seine Kriegsführung erfolgreich wäre und Pharao Tutanchamun sterben würde. Arnuwanda II. hatte noch weitere Brüder, die er allesamt feindselig als Konkurrenten betrachtete, bis auf seinen jüngsten Bruder Zida, der ein Gelehrter war und loyal hinter ihm stand und diese Verschwörung tatkräftig unterstützte. Die Feldherren Haremhab und Arnuwanda beabsichtigten gar nicht, ihre Soldaten gegeneinander kämpfen zu lassen, wenn eine Einigung erfolgte. Jedoch waren beide Armeen jederzeit für einen Angriff gewappnet und bereit, sofort loszuschlagen.

Haremhab holte ein Ledersäckchen hervor, stieg das Podium hinauf und überreichte es dem Hethiter Prinzen, nur damit er sieht, was sich darin befindet und er keinerlei Bedenken haben müsste. Arnuwanda knotete die Bändchen auseinander und blickte hinein. Zida flüsterte ihm ins Ohr und klärte ihn über die Bräuche der Ägypter auf. Arnuwanda schüttelte sachte seinen Kopf und meinte, dass die Ägypter ein seltsames Volk wäre, schon allein deswegen, weil offenbar selbst Frauen ein Priesteramt ausüben dürften und sich nicht einmal verschleiern müssten, sprach er zu seinem Bruder, wobei er Satamun feindselig anstarrte.
Das Ledersäckchen machte die Runde und jeder, der hineinblickte, reichte es mit einem Nicken kommentarlos weiter. Als Eje den Inhalt des Säckchens betrachtete, hielt er einen Moment inne. Einen Moment verweilte er, dann seufzte er, nickte und übergab es dem Hohepriester. Ahmose blickte ebenfalls obligatorisch hinein und übergab das Säckchen schließlich seiner Vertrauten. Satamun zögerte zuerst, steckte aber dann ihre Finger in das Säckchen, spreizte es auseinander und lugte hinein. Sie sah auf einen blutigen, abgeschlagenen Kopf einer Kobra. Eine geköpfte Uräusschlange sollte also als das Gotteszeichen dienen – Eine Uräusschlange, die als Beschützer der Pharaonen galt.
Satamun zeigte keinerlei Regung und nickte einfach, so wie es jeder tat, so wie es von ihr abverlangt wurde. Doch innerlich war sie zerrissen, weil sie gezwungen wurde, Tutanchamun zu verraten und mit ihrem Einverständnis sein Todesurteil, genauso wie Eje, Meritaton und alle anderen Anwesenden, besiegelt zu haben.
Haremhab übergab das Säckchen einem Diener, blickte in die Runde, klatschte seine Hände zusammen, rieb sie und lächelte.
„Und nun lasset uns rausgehen und mit diesen Schwachköpfen aus Theben etwas über Krieg und über die Götter philosophieren. Der Prinz Arnuwanda und sein Gefolge machen es sich derweil in meiner Behausung gemütlich. Zida, sag deinem Herrn, ihr seid willkommene Gäste. Es soll euch an nichts mangeln. Nehmt meine Sklavinnen und vergnügt euch. Für Wein und Speisen wurde reichlich gesorgt. Morgen werden wir zwar wieder gegeneinander kämpfen müssen, aber ich bin mir sicher, dass ein Waffenstillstand in absehbarer Zeit realistisch ist.“
Satamun schlich sich bei der nächstbesten Gelegenheit davon und verschwand im Dunkeln eines Gebüschs. Die scheinbar emotionslose Priesterin, die ihre Gefühle stets unter Kontrolle hatte, stürzte auf ihre Knie, hielt sich ihre Hände vor das Gesicht und schluchzte. Dann weinte sie bitterlich. Minutenlang. Erst als sie das fröhliche Gelächter und Gekreische der Kinder wieder bewusst vernahm, besann sie sich und wischte sich keuchend die Tränen aus ihrem Gesicht. Zum Bereuen blieb jetzt keine Zeit mehr, denn der Attentäter konnte sich bereits auf dem Weg gemacht haben, um Tutanchamun zu ermorden. Sie musste jetzt umgehend handeln.
Während sie zu den Pferdegespannen und Kamelen eilte, blickte sie schniefend hinauf zum Nachthimmel, doch der Komet war nirgends mehr zu sehen. Der brennende Stern war plötzlich spurlos verschwunden.
Tutanchamuns` Leibwächter, Samael, unterhielt sich grad angeregt mit einigen Sklaven, aber sie unterbrachen sogleich ihre Gespräche, als sie die Priesterin aus dem Palmenwald herauseilen sahen. Demütig verbeugten sie sich vor ihr. Satamun scheuchte die Sklaven mit eindeutigen Handbewegungen davon und schaute nervös umher. Niemand durfte ihre Worte belauschen.
„Samael“, flüsterte sie ihm zu, „du bist ein treu ergebener Diener unseres Pharaos. Begebe dich umgebend zu ihm und berichte, dass Haremhab und Ahmose die Köpfe dieser Verschwörung sind. Es wird ihm zwar das Herz brechen aber sag unserem König, dass Eje, sein Gottesvater, ebenfalls ein Verräter ist, weil er sich dazu verleiten ließ, die Thronfolge anzuerkennen. Tutanchamun soll für die Götter geopfert werden. Samael, das musst du unbedingt verhindern! Wache heute Nacht über ihn und weiche die nächsten Tage nicht von seiner Seite. Beauftrage Bürsa, dass sie ihm morgen auf seiner Geburtstagsfeier unbedingt persönlich seine Mahlzeit zubereiten und servieren soll!“, flüsterte Satamun aufgeregt wobei sie hartnäckig an seinen Schultern rüttelte. Samael verneigte sich vor der Priesterin, stieg dann auf sein Kamel und ritt in einer Staubwolke davon.
 

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