Die Belfast Mission - Kapitel 49 |
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© Francis Dille
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Kapitel 49 – Observation
Sin City, 6 Monate vor der Belfast Mission …
Agent Maikel und sein Kollege Agent Dave wurden am Checkpoint ein halbes Jahr zurück in die Vergangenheit beordert, direkt nach Sin City, um den TT Eric zu observieren. Es war noch früh am Morgen in der Stadt der Sünde. Erst eine Stunde zuvor wurden die Halogenstrahler an den Etagendecken dimmend eingeschaltet. Ein simulierter Sonnenaufgang erhellte Sin City.
Die Straßenbahnzüge rasten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch panzerverglasten Schächte und die abertausende Reklameschilder sowie Hologramme der Eroscenter und Bars leuchteten und blinkten wie ein riesiger Jahrmarkt. In Sin City war die Energie überwiegend im Nachtmodus geschaltet, ständig war es dunkel, trotzdem herrschte auf den Straßen stets eine Betriebsamkeit, wie zur Rushhour in allen anderen Citys. Der Tagesmodus wurde in den verruchtesten Etagen bereits nach 3 Stunden wieder abgeschaltet, um die nächtliche Atmosphäre beizubehalten.
Nachtschwärmer, die sich mit allmöglichen Amphetaminen oder sonstigen Drogen tagelang wach hielten, schlenderten mit wirren Blicken umher und sehnten sich danach, dass der Nachtmodus bald wieder aktiviert wird. Vor den Casinos reihten unzählige Luxuslimousinen und aufgemotzte Jeeps hintereinander; hunderte Taxis parkten am Straßenrand und minütlich trudelten die vollbesetzten Shuttlebusse in die Haltestationen ein. Techno-Beats wummerten überall und ließen die verdunkelten Ladenfenster der Großraumdiskotheken vibrieren.
Die Plattform der Rolltreppen waren die Stricher-Szenen der besonders billigen Art und wurden von den bizarrsten Gestalten belagert. Um auf die Zwischenetagen zu gelangen, verlangte es von einem anständigen Bürger – auch solche Leute lebten dort –, harte Nervenstränge und gewissermaßen eine Portion Abgebrühtheit ab. Die Prostituierten waren äußerst penetrant, sehr diskutierfreudig und vor allem auf das schnelle Geld aus. Wer auch immer sich einer Rolltreppe näherte, wurde als potenzialer Freier angesehen und sogleich von schrillen Tunten angemacht und begrabscht. Oftmals liefen sie den Passanten sogar hinterher, um zu verhandeln, auch wenn es offensichtlich war, dass gar kein Interesse bestand. Es war aber keinesfalls ratsam, handgreiflich zu werden, denn die Prostituierten genossen in Sin City ein Vorrecht, weil sie das Rückgrat dieser City waren, jeden Monat Millionen von Menschen anlockten, die dort ein Vermögen verprassten und somit Kapital einbrachten.
Zwar galt auch für Sin City das UE-Grundgesetz und auch dort war die MP stets präsent, aber die Mount-Sekte war sehr mächtig und regierte das Sündenparadies hinter den Kulissen nach ihren Regeln, die sogar die Gehälter einiger korrupten MP- Einheiten insgeheim aufstockten.
Wurde irgendeine Zeche nicht beglichen, ereignete sich eine Auseinandersetzung oder ließ jemand im Casino seine Wut walten, weil er seine Ersparnisse verprasst hatte, verschwand derjenige innerhalb einer Stunde spurlos und fand sich unbekleidet außerhalb der City wieder. Aber um Auseinandersetzungen zu vermeiden, gab ein ungeschriebenes Gesetz vor, beziehungsweise wurde dies empfohlen, dass jeder unter seinesgleichen bleiben sollte. In einem Stadtviertel traf man daher nur auf prostituierende Cyborgs, während andere Bezirke ausschließlich für Homo sapiens, Klone, Androiden und Mutanten reserviert waren. Wer sich also in einem Stadtviertel aufhielt, musste sich darauf einstellen, was ihn erwarten wird.
Sin City befriedigte selbst die abgrundtiefst perversesten Neigungen, welche in anderen Citys absolut tabu, verboten und undenkbar waren, insofern man sich diesen finsteren und oftmals lebensgefährlichen Luxus überhaupt leisten konnte.
Die Dienstleistungen der Mutanten zählten zu den Kostspieligsten überhaupt. Diese Kreaturen waren verschleiert oder wie Mumien mit Leinen verschnürt, aus dessen Ärmeln manchmal Tentakeln schlängelten oder abscheuliche Klauen hervorschienen. Die Mutanten waren unheimliche Wesen, manche waren wie Wüstenbeduine vermummt, wobei man niemals vorab abschätzen konnte, was sich genau unter dieser Aufmachung verbirgt und was letztendlich zum Vorschein kommen würde. Die Mutanten waren regelrechte Überraschungseier, wie Wundertüten. Der Überraschungseffekt, ob nun vom Schreck oder Ekel fasziniert, törnte trotz gegen einen gesunden Menschenverstand so manchen an. Die Mutanten verfügten über keinerlei menschliche Gefühle und wurden auch mitunter als Schwarze Witwen betitelt, weil eine Liebesnacht, aufgrund möglich ansteckender Viren oder ihrer unsensiblen Vorgehensweise, durchaus tödlich enden konnte. Und jeder Mutant war ursprünglich auch einst ein Mensch gewesen.
Ein tiefergelegter Sportwagen überquerte einfach einen riesigen Marktplatz und steuerte direkt auf einen der massiven Metallsäulen zu, die als Stützsäulen für die Etagen dienten und sich darin zudem die Liftschächte befanden. Der Säulendurchmesser betrug beachtliche zehn Meter. Die metallische Außenhaut des Transportlifts glänzte wie polierter Edelstahl, und die integrierten Handsteuerungen blinkten und meldeten, dass die Benutzung der Aufzüge ausschließlich in die unteren Etagen möglich sei. Die oberen Etagen waren geschlossen.
Die profillosen Rennreifen surrten leise und als das Fahrzeug abbremste, entwich ein kurzes Zischen. Die Karosserie ähnelte einem Ferrari aus dem 21. Jahrhundert, jedoch war dieser Sportwagen wuchtiger und etwas runder gebaut. Die Karosserie bestand aus einer speziellen Edelstahllegierung und spiegelte, wie auch die Glasscheiben, komplett wie eine verchromte Stoßstange eines alten Ford Mustangs. Das technologische Elektroauto wurde genauso wie ein ICE-Zug zusätzlich mit Druckluft angetrieben, dessen Kompressoren beachtlich 1650 PS leisteten. Trotzdem würde die Energie einer simplen 12-Volt-Autobatterie völlig ausreichen, um mit diesen Sportwagen beinahe 2000 Kilometer mit maximaler Geschwindigkeit zurückzulegen, selbst wenn alle unnötigen Stromfresser eingeschaltet waren. Dieses Schmuckstück war ein sehr begehrtes wie auch sehr kostspieliges Fahrzeug, wobei das Herz eines Autonarren heftig schlagen würde. Die umherstreunenden Passanten staunten und blickten dem spiegelnden Ferrari verzückt hinterher, aber niemand ahnte, dass dieses Sportauto ein Dienstwagen der UE-Regierung war.
Die Agenten Maikel und Dave waren immer noch mit ihren zeitlosen Herrenanzügen bekleidet, welche sie während der Titanic Mission am Hafen von Southampton trugen. Selbst ihre Hüte trugen sie noch. Sie lehnten sich gemütlich in die beigefarbenen Ledersitze zurück, beobachteten die Gegend und schauten hin und wieder auf die Mittelkonsole. Über einen der kleinen Monitore flimmerte gerade eine Zeichentrickepisode von Tom und Jerry aus dem Jahr 1979. Der beleibte Agent Maikel prustete und schüttelte sachte mit dem Kopf.
„Was ist der Kater doch so dämlich. Die Maus verarscht den die ganze Zeit nach Strich und Faden.“
Dutzende Schaltknöpfe leuchteten aus dem Cockpit hervor, ebenso aus der Deckenkonsole. Der Steuerhebel in der Mittelkonsole war in der Position Parken eingerastet, gleichzeitig waren somit alle Bremsventile geschlossen.
Agent Maikel verschlang zum Frühstück, wie immer, vier Cheeseburger aus dem Automat, während Agent Dave eine Zigarette qualmte und dabei einen Imitatkaffee trank. Die Klimaanlage surrte, absorbierte den Zigarettenqualm und wandelte es wieder in frischen Sauerstoff um.
Die Windschutzscheibe war im Realmodus geschaltet, sodass die Agenten das Geschehen auf der Straße wie durch eine Fensterscheibe beobachten konnten. Die Passanten jedoch konnten beide Agenten nicht sehen.
Wirre Zahlen und fremdartige, mathematische Zeichen huschten rasant über die Innenseite der Frontscheibe. Ein kreisförmiger grüner Cursor erfasste jede herumlaufende Person und überprüfte deren ID-Mikrochip, diese Daten sogleich auf der Frontscheibe angezeigt wurden.
Verdächtig waren die Identitäten mit Endziffern 49 und 59, weil diese ausschließlich von der Time Travel Agentur kurzzeitig auf den ID-Chips einprogrammiert werden und dies bedeutete, dass jene Person ein Zeitreisender und dies hier und jetzt nicht ihre Gegenwart wäre. Ein weiterer Monitor im Cockpit zeigte an, dass der gesuchte TT sich zurzeit direkt über ihnen 500 Yards nordwestlich in der 92. Etage aufhielt.
Jeder Lift in den Etagen wurde seit der Aktivierung des Tagesmodus von MP-Truppen unauffällig überwacht, ebenfalls wurden in der Nulletage die Tunnels im Bahnhofsterminal geschlossen. Sin City war nun hermetisch abgeriegelt und es war weder möglich mit einem ICE einzureisen, noch würde es irgendeiner Person gelingen, zu flüchten. Die Sicherheitszentrale hatte mit Absprache der Mount-Sekte vorübergehend die völlige Kontrolle über Sin City übernommen, jedoch wurde diese Maßnahme lediglich für eine Stunde gewährt.
„Und jetzt?“, fragte Agent Dave gelangweilt, während er mithilfe des Bordcomputers sämtliche Personen- und Transportlifte anzapfte. „Der TT ist zwar direkt über uns aber wir kommen nicht an ihn heran. Alle Zugänge, welche nach oben führen, sind schon seit etlichen Jahren blockiert. Verdomme, sogar die Treppenhäuser sind magnetisch abgeriegelt worden. Das hätte Henry doch wissen und die verdammten Mounts auffordern müssen, auch die oberen Etagen freizuschalten!“
Als Dave die Überwachungskameras der 92. Etage zu steuern versuchte, um den TT wenigstens auf diese Weise aufzuspüren und zu beschatten, erreichte ihn die Meldung, dass die Energie der oberen Etagen aus Kostengründen schon vor einigen Jahren abgeschaltet wurde. Zwanzig Etagen waren menschenleer und zudem herrschten dort Temperaturen unter einem zweistelligen Gefrierpunkt. Dem wohlbeleibten Agenten Maikel brachte diese unerfreuliche Neuigkeit trotz alledem nicht aus der Fassung. Er stopfte sich seine synthetischen Burger hinein und schmatzte genüsslich seine Finger ab. Während er mampfte, nickte er anerkennend.
„Mhmh … Für nur vierzig Euro waren die aber wirklich saulecker. Echt billig, zudem köstlich. Da kann man nicht meckern.“ Er blickte Dave grinsend an. „Bei uns im Centrum kostet ein einziger, scheiß verdammter Cheeseburger aus dem Automat ganze 22 Euro.“
„Du mit deinem billigen Fastfood. Das ist doch total eklig. Da würde ich sogar noch eher biologische Nahrung aus der vergangenen Welt fressen“, konterte er kopfschüttelnd.
Agent Dave öffnete ein Etui und warf sich eine Nahrungspille zum Frühstück ein.
„Ach, Scheiße Maikel. Was machen wir denn jetzt? Wie sollen wir nun an die Kontaktperson des TT rankommen?“, motzte Dave und versuchte dabei eifrig im Computer nach einer alternativen Lösung zu suchen, um in die oberen Etagen zu gelangen.
„In keiner Datenbank ist der Schlüsselcode für die Aufzüge aufgelistet worden. Was für eine Schlamperei! Das System zu knacken würde Stunden dauern. Um schnellstmöglich an diesen verfluchten Zahlencode zu gelangen, müssten wir die Besitzer dieser Etage ausfindig machen. Aber diese werden sich hüten, mit uns zu kooperieren. Die stehen doch allesamt unter den Fittichen der verdammten Mounts! Henry hat keinen guten Deal ausgehandelt, die beschissene Sekte hat uns wiedermal abgelinkt, um unsere Arbeit zu behindern! Wenn du mich fragst, hinter der Zeitmanipulation der Titanic stecken diese Roboterärsche.“
Maikel aber blieb gelassen, ihn kümmerten Daves Bedenken nicht sonderlich. Er wirkte zwar aufgrund seines fülligen Leibes und seines scheinbar trägen Gemüts zwar harmlos und etwas tapsig, aber der Schein trog gewaltig. Diese Unterschätzung machte sich Agent Maikel stets zu Nutze. Die Wahrheit war, dass der Vierzigjährige, der beinahe zwei Meter groß war, im Ring gefürchtet war, weil er keinerlei Taktik nachging sondern einfach nur mächtig zulangte und einiges wegstecken konnte. Selbst vor einem Cyborg zeigte der Riese wenig Respekt, seitdem er einmal eine biologische Maschine mit einem Karateschlag ins Genick geschlagen und somit dessen Hauptsicherung kurzzeitig ausgeschaltet hatte. Außerdem fiel Maikel meistens zu jeder brenzligen Situation eine Idee ein, diese zu meistern. Aber falls auch dies nicht zum Erfolg führte, reagierte er plump, trat einfach die Tür ein und schlug alles und jeden kurz und klein. War Maikel erst einmal in Rage geraten, dann interessierten ihn auch die Vorschriften nicht mehr.
Henry wusste, dass er sich auf Maikel immer verlassen konnte und sah daher oftmals über seine unbedachten, hitzköpfigen Handlungen drüber hinweg. Agent Maikel war ein Mann, mit dem man sich lieber nicht anlegen sollte. Selbst ein Cyborg sollte besser alle seine Sensoren auf Höchstleistung schalten, um den riesigen Homo sapiens richtig einzuschätzen.
Agent Maikel grinste über beide Pausbacken.
„Bleib schön geschmeidig, Kumpel. Dort oben, direkt über uns, ist dieser Eric doch sehr gut aufgehoben. Vermutlich wird er irgendjemanden erwarten, der ihn da rausholen soll und dann schnappen wir sie uns. Andernfalls wird er sehr bald erfrieren, was uns ebenso nur recht sein kann“, lächelte Maikel. „Sieh halt zu, dass du den Security Dienst erreichst, die diesen abgeschalteten Sektor regelmäßig kontrollieren. Meistens sind die Securitys private Unternehmen aus Nieuw Cologne, die mit den beschissenen Mounts nichts am Hut haben.“
Noch immer kaute er, säuberte sich mit einem Tuch seinen Mund und fuhr fort: „Die werden uns die Transportlifte ohne weitere Fragen aktivieren und dann greif ich mir diesen Penner nochmal!“ Maikel ballte seine Faust. „Und dann lernt der Kerl mich das zweite Mal kennen. Diesmal werde ich aber keinen Spaß machen.“ Ein hämisches Grinsen verzierte sein Doppelkinngesicht.
Plötzlich klopfte es an der Autoscheibe. Direkt neben Agent Maikels Autotür kniete eine Person. Diese war mit einem schwarzen Ledermantel bekleidet. Eine Kapuze verdeckte seinen Kopf und ein Schatten lag über seinem Gesicht. Beide Agenten blickten verwundert drein, als sein metallischer Zeigefinger nochmals die Fahrzeugscheibe antippte. Dann zog die Gestalt seine Kapuze herunter und die Agenten sahen auf einen Kahlköpfigen.
Sein schmales Gesicht sowie sein Kopf und Hals waren komplett weißbläulich tätowiert, die Augen leuchteten gelblich und seine stecknadelkleinen Pupillen starrten sie direkt an. Er blickte kurz hinter seine Schulter, als ob er sich verfolgt fühlte, dennoch wirkte er völlig entspannt. Nervosität schien dieser Gestallt fremd zu sein.
„Ach du Scheiße. Das ist ein verfluchter Mount!“, stellte Dave überrascht fest. „Was will der denn von uns?“
Einen Moment beobachteten beide Agenten den Fremden, wie er sie direkt anstarrte. Normalerweise war es unmöglich, von außerhalb in die verspiegelten Autofenster hineinzuschauen und darin jemanden zu erkennen, aber vor ihnen hockte ein Cyborg und dieser hatte mindestens die Möglichkeit, anhand seiner Infrarotsensoren zu registrieren, dass sich im Fahrzeug zwei Lebewesen aufhielten.
Agent Maikel legte seinen synthetischen Cheeseburger auf die Rücksitzbank, schaltete den integrierten Außenlautsprecher an und sprach: „Verpiss dich, Alter. Sonst steige ich aus und jag dir eine Protonenladung unter deinen Kiefer, bis dein beschissenes Computerhirn ein hübsches Feuerwerk aussprüht. Das ist mein Ernst. Hau ab, du scheiß Mount!“
Im Hintergrund pirschte sich bereits unauffällig eine MP-Einheit heran, um die Agenten vor einem möglichen Angriff des Cyborgs zu schützen. Die Scharfschützen luden ihre Protonengewehre durch und versuchten seinen Nacken anzuvisieren, wo gewöhnlich die Hauptsicherungen jedes Cyborgs eingebaut waren.
Ein gezielter Kopfschuss wäre völlig sinnlos und zudem viel zu riskant. Allerhöchsten würden die Protonengeschosse die präparierte Schädeldecke etwas verbeulen, wobei seine implantierten Steuermodule nur leicht beschädigt werden. Dies könnte einen fatalen Kurzschluss auslösen und das Notstromaggregat sein Betriebssystem blindlings auf pure Vernichtung aktivieren. Der Cyborg würde daraufhin seine eigene Kontrolle verlieren und könnte unberechenbar reagieren.
Ein gezielter Schuss auf seinen Körper wäre ebenso ein viel zu gewagtes Unterfangen. Literweise Batteriesäure würde ausströmen und seine eigenen Bauteile verätzen, davon einige leicht entzündliche Chemikalien enthielten und sich niemals miteinander vermischen durften. Der Cyborg würde mitten auf der belebten Straße wie eine Bombe explodieren, somit dutzende Menschenleben auslöschen und überdies gewaltigen Schaden anrichten. Die Druckwelle der Explosion könnte zudem die Außenhaut der City beschädigen, was zu einer wahren Katastrophe führen würde.Der Sportwagen jedoch würde dieser Detonation standhalten und nicht den geringsten Schaden erleiden.
Der unheimliche Fremde hob langsam beide Hände und starrte die Agenten weiterhin emotionslos an. Die Ärmel seiner Lederkluft rutschten leicht zurück. Sein dürres rechtes Handgelenk sowie seine Finger schienen aus Fleisch und Blut zu sein und glichen die eines Menschen; sein kompletter linker Arm dagegen war nur ein mechanisches Gestänge einer blanken Roboterhand.
„Keine Sorge, ich bin einer von euch“, beteuerte der Mount und es klang, als würde er mittels eines Sprachverzehrers reden. Doch es war seine reale Stimme.
Beiden Geheimagenten war es bewusst, dass der Mount nur wenige Fausthiebe benötigen würde, um die Panzerverglasung zu durchschlagen, die Autotür mühelos herausreißen und hunderte Meter durch die Luft schleudern könnte. Maikel drohte ihm zwar mit Protonengeschosse, dies war die einzige Möglichkeit, einen Cyborg zu eliminieren, aber dies schien dem Mount nicht sonderlich zu beeindrucken. Agent Maikel hielt einen Augenscanner gegen die Innenscheibe. Trotz der gespiegelten Außenscheibe registrierte der Cyborg seine Absicht und hielt daraufhin seine Stirn gegen die Scheibe, woraufhin das Auto leicht schunkelte. Sogleich wurden seine persönlichen Daten auf die Windschutzscheibe übermittelt. Dass sein ID-Chip manipuliert wurde, stand sowieso außer Frage. Aber mit einer speziellen Software gelang es den Agenten, die gelöschten Daten wiederherzustellen.
Sein ursprünglicher Name wurde von den Programmierern der Mounts gecancelt. Dies war üblich und zählte zu den vielzähligen Bedingungen, um ein Jünger dieser Sekte zu werden. Nun hieß er Elija, genauso wie jener Prophet aus dem Alten Testament. Diese Erkenntnis sprach wenigstens dafür, dass er tatsächlich der Mount-Sekte angehörte und keiner dieser Nachahmer war, die bloß ihren Körper weißbläulich tätowieren ließen, der Bulimie verfielen und sich absichtlich abmagerten, äußerlich nur wie ein Mount aussahen aber in Wirklichkeit doch Menschen waren.
Elija war 32 Jahre alt und wurde in der City No. 44 geboren. City No. 44 wurde knapp fünfzig Kilometer nordöstlich entfernt von den Berliner Ruinen errichtet. Daher taufte man die viertgrößte Kuppelstadt: Nieuw Berlin State, weil sie die Hauptcity des deutschen Sektors war.
Die Agenten sahen auf ein digitales Passfoto, welches den einst attraktiven, südländisch aussehenden Mann mit einem dunklen Lockenkopf und Dreitagebart sympathisch lächelnd zeigte. Sein Gesicht strahlte die pure Heiterkeit aus, sodass man glauben mochte, dieser Mann sei ein lebensfroher Mann. Aber von diesem lebensfrohen Mann war nun äußerlich nichts mehr zu erkennen.
Während Agent Maikel mit dem Mount hinter verschlossener Autotür diskutierte, studierte Agent Dave seine Personalien sowie alle gespeicherten Aktivitäten. Dave war etwas erschüttert, ließ es sich aber nicht anmerken. Elija war einst ein gutaussehender junger Mann gewesen, intelligent und war offenbar vielseitig talentiert. Als Zwanzigjähriger erzielte er mit einer Boygroup einst in United Europe einen Hit, welcher in der Gegenwart immer noch gerne von den Radiostationen gespielt wurde. Aber der wirkliche Erfolg war ausgeblieben. Diese Boygroup hatte nur einen One-Hit abgeliefert.
Jetzt war der einst gutaussehender Popsänger nur noch eine biologische Maschine und offiziell kein Mensch mehr. Was war nur mit ihm geschehen? Was für eine grausame Macht es doch war, die ihn in seinen jungen Jahren eins dazu verführt hatte, seine Menschlichkeit zu opfern. Aber wofür nur, fragte sich Dave kopfschüttelnd. Wofür? Dafür wurde ihm nun bewusst, weshalb die Cyborg-Technik nur begrenzt erlaubt war, weil jeder Cyborg irgendwann seine komplette Menschlichkeit verlieren würde.
Die Daten auf seinem ID-Chip zeigten an, dass er früher die Universität in Nieuw Berlin State besucht hatte und damals scheinbar, nach seiner gescheiterten Musikkarriere, eine Ausbildung als Schleuser angestrebt hatte. Aus dem letzten Eintrag seines ID-Chips ging hervor, dass dieser Mann damals sogar in die Akademie im Centrum bereits aufgenommen wurde. Nach seinem 24. Lebensjahr waren keine weitere Aktualisierungen mehr zu ersehen, außer, dass er hin und wieder in Vincenzo`s Bar verkehrte. Das war offensichtlich der Zeitpunkt gewesen, als er der Mount-Sekte verfiel und deren Kontakt aufgesucht hatte.
Vincenzo`s Bar? Dave stutzte, wurde aber sogleich aus seinen Gedanken gerissen, weil Maikel plötzlich die Autotür aktivierte. Zischend öffnete sich die Flügeltür langsam aufwärts. Dave vernahm aus den letzten Gesprächsfetzen, dass sein Kollege mit dem Mount scheinbar eine Abmachung vereinbart hatte.
„Maikel, jag diesen Mistkerl zum Teufel! Vermutlich wurde er von Vincenzo geschickt. Der ist nicht einfach nur zufällig hier, sondern er wusste, dass wir genau hier an dieser Stelle parken werden. Woher will er sonst wissen, dass ausgerechnet wir Geheimagenten sind und unseren Mann in der oberen Etage observieren? Henry hat ausdrücklich angeordnet, dass Vincenzo die Befehlsgewalt entzogen wurde. Wir dürfen mit Vincenzo und dessen Handlangern nicht weiterhin kooperieren!“
Elija reckte seinen Hals und blickte zu ihm hinüber. Die Cyborgs waren es gewohnt, dass man ihnen stets Misstrauen entgegen brachte, erst recht, wenn dieser der Mount-Sekte angehörte.
„Niemand schickte mich“, antwortete er mit seiner elektronischen Stimme. „Ihr solltet nur etwas vorsichtiger mit euren Computern umgehen. Euren tölpelhaften Verbindungsaufbau zu den oberen Etagen konnte selbst die schrottreifste Haushaltsdrohne im Umkreis von eintausend Yards aufschnappen. Ihr befindet euch hier schließlich nicht im sicheren Centrum, wo die Funkfrequenzen vom Geheimdienst selektiert und kontrolliert werden. Hier seid ihr im Reich der Mounts! Die hören alles ab und lassen jeden daran teilhaben. Es war kinderleicht herauszufinden, dass es ein typischer Code des UE-Geheimdienstes war, welcher sich in das System der Lifte einzuhacken versuchte. Ihr werdet das Passwort für die Steuerung der Aufzüge aber niemals entschlüsseln, das garantiere ich euch!“
Maikel kniff die Lippen zusammen und nickte andächtig.
„Okay, Blödmann. Und wie geht es deiner Meinung nach jetzt weiter?“
„Dieser Mensch, der sich direkt über uns versteckt hält, interessiert mich genauso wie euch. Aber wenn ihr ihn verhaftet oder gar tötet, nütz er mir nichts.“ Sein Mund verzierte sich ansatzweise zu einem Schmunzeln. „Ich will nichts weiter als meine versprochene Vermittlungsprämie. Für eine Extraprämie jedoch, händige ich ihn für euch aus. Ich weiß wie man da hoch kommt. Sind wir im Geschäft?“, fragte Elija mit seiner elektronischen Stimme.
Der Mount erklärte, dass er vielerlei Dinge für ein gewisses Entgelt nebenbei erledigte, worüber aber seine Glaubensgemeinschaft niemals erfahren durfte. Geschäftliche Beziehungen, insbesondere mit der Regierung und obendrein wenn die Angelegenheit in irgendeiner Weise um die Zeitreisen handelte, waren den Sektenanhängern strikt untersagt. Außer für jene Mounts, die gar keine Cyborgs sondern gewöhnliche Menschen waren, wurden derartige Geschäftsbeziehungen toleriert und gegebenenfalls unterstützt, insofern es der Sekte einen Vorteil brachte. Aber Elija schien eine korrupte Person zu sein, welche die fatale Entscheidung in seinen jungen Jahren nun vielleicht bereute und schon seit längerem seinen eigenen Weg ging.
Darunter zählten hauptsächlich Kopfgeldprämien, die Elija sich nebenbei verdiente und er räumte anstandslos ein, dass er auch manchmal für Vincenzo tätig wäre, und zwar als Vermittler. Elija spürte praktisch jede Personen auf, die illegale Geschäfte beabsichtigten und führte sie zu Vincenzo. Vincenzo war in der Unterwelt verstrickt, dieser Mann wurde unter den Ganoven als ein regelrechter Star gefeiert, weil er sich einst raffiniert an der Vergangenheit bereichert hatte und er der erste Mensch dem es gelungen war, ein geschichtliches Ereignis zu verändern. Vincenzo Falkone war früher ein Staatsfeind gewesen aber niemand im Milieu ahnte, dass er mittlerweile längst als ein Undercoveragent für die Regierung agierte. Auch Elija ahnte nichts dergleichen.
Elija sagte: „Ich treffe gleich eine Kontaktperson, die mich zu eurem Eric führen wird. Der Grund, weshalb ich mich an euch Geheimagenten wende ist, weil mir diese Angelegenheit langsam zu heikel wird. Euer Mann verlangt nämlich nach einem Beamer und will offenbar unbemerkt durch die Zeitepochen reisen. Damit will ich nichts zu tun haben. Aber der Typ da oben ist bereit, sehr viel für die Bekanntschaft mit Falkone zu zahlen, der allerdings einen Beamer beschaffen könnte. Wie gesagt, für eine Extraprämie von 100 Millionen Euro wäre ich bereit, euch behilflich zu sein. Alle Aufzüge in die oberen Etagen sind blockiert und nur ich kann ihn euch jetzt ausliefern. Sind wir nun im Geschäft?“, fragte Elija mit seiner Computerstimme.
Der Mount war sich seiner Sache sicher aber Maikel lachte nur heiser, als er sich seine Bedingung anhörte.
„Pass mal genau auf, Blödmann. Da muss ich dir Mal was erklären. Von dir lasse ich mir lange nicht sagen, wie es zu laufen hat. Deine Prämie kannst du dir gleich in deinen Roboterarsch oder sonst wohin stecken. Ich lasse nicht mit mir feilschen, klar? Du sitzt nämlich ganz schön in der Patsche, selbst wenn du in einer Hehlerei verzwickt bist und Diebesgut vom Geheimdienst zu vermitteln versuchst. Damit riskierst du in der Schrottpresse als hässlicher Kabelsalat zu enden. Deine beschissene Sekte würde noch Schlimmeres mit dir anstellen. Weißt du, was ich meine?“
Maikels Ton verhärtete sich, zudem klatschte er dem Cyborg rechts und links leicht eine Backpfeife, was eigentlich lebensmüde war.
„Also, sei eine brave Drohne und stell irgendeine Funkverbindung her, welche die Mounts nicht abhören können. Schalt uns halt auf eine Sendung, die niemand so schnell entschlüsseln kann. Dann gehst du hoch und wir lauschen mit. Deine Belohnung wird dafür sein, dass du unbehelligt davon kommst und wir dich nicht in der Müllpresse verschrotten werden. Aber weil ich so ein netter Kerl bin, biete ich dir gnädig 10.000 Euro für deine Bemühung an. Nimm es oder lass es. Hat das dein beschissenes Betriebssystem soweit kapiert? Noch sind wir Menschen die Herren im Vereinigten Europa!“, fauchte Maikel zornig.
Der Cyborg blieb trotz der handgreiflichen Nötigung seitens von Agent Maikel besonnen, willigte mit einem kurzen Nicken ein und empfahl eine äußerst niedrige und seit etlichen Jahrhunderten Jahren unübliche Sendefrequenz: CB-Funk.
Dieses Kommunikationssystem würden nicht einmal die Sensoren der technologischsten Haushaltsroboter erfassen, weil die Sendefrequenz einfach zu primitiv sei und bis die Mounts diese veraltete Funkverbindung bemerken würden, wären alle Worte bereits gesagt, versicherte Elija. Agent Dave traute diesem Arrangement nicht recht, weil er befürchtete, dass Elija entweder von der Sekte oder von Vincenzo beauftragt wurde, um deren Arbeit zu behindern. Aber Agent Maikel lächelte nur und deutete mit seiner Hand einen Wink.
„Okay, akzeptiert. Los, verschwinde. CB-Funk ist in Ordnung. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, Mister Roboter.“
Maikel und Dave beobachteten wie der Cyborg in der Menschenmenge verschwand. Der Mann, mit dem sich Elija vor dem Säulenlift traf, war mit einem dunkelblauen Overall und Käppi bekleidet. In seinen Händen hielt er eine schwarze Werkzeugtasche und noch bevor sie im Lift verschwunden waren, war es Agent Dave gelungen, den Fremden zu identifizieren. Auf der Windschutzscheibe wurde sein Lichtbild projiziert samt seiner persönlichen Daten. Dave gab seinem Kollegen einen Klaps.
„Ich glaube, ich spinne. Sieh mal, mit wem sich Eric grade trifft. Der Typ ist bei der CT-Haustechnik angestellt, arbeitet in der Elektroabteilung und ist speziell für die Lifte zuständig. Sein Name ist … Charles Owen!“
Die Agenten sahen sich verdutzt an, dann nickte Maikel. Der Haustechniker mit der Arbeitskluft, Charles Owen, war ihnen nicht unbekannt.
„Das-das ist doch dieser Multimillionär, der in die vergangene Welt nach Belfast auswandern wird. Schleuser Ike wird ihn in seinem Probejahr betreuen!“, sagte Dave.
„Ja, so ist es. Scheinbar ist er kein Millionär, sondern nur ein Handlanger“, erwiderte Maikel ebenso erstaunt. „Eric ist von Schleuser Ike sowieso schon beseitigt worden, und den Owen dürfen wir weder eliminieren, noch verhaften. Denn Owen muss in 6 Monaten nach Belfast reisen. Ansonsten verursachen wir ein beschissenes Zeitparadoxon.“
Agent Maikel seufzte und nickte, woraufhin Dave enttäuscht einige Koordinaten in den Computer eintippte, um ein Zeitfenster zu installieren. Die Observation war offensichtlich umsonst gewesen, denn beide Time Thieves sind bereits tot. Diese Angelegenheit kann einfach nur in der vergangenen Welt geregelt und beendet werden. Die Sportreifen des futuristischen Ferraris drehten durch, als die beiden Agenten mit hoher Geschwindigkeit durch das Zeitfenster rasten und augenblicklich verschwanden. |
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04.10.2025 - 22:16:17 |
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