... für Leser und Schreiber.  

Rentner-Express

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©  lieblicheloewin   
   
Der Bus mit dem ich jeden Morgen zur Arbeit fahre, ist voll von Menschen. Sie drängeln sich in den Bus, schieben sich an einem vorbei zu den wenigen noch freien Sitzplätzen. Viel von ihnen erschlagen einem mit ihren Krückstöcken oder stechen einem mit ihren Schirmen in die Augen. Die fettleibigen Körper quetschen sich in die Bänke und geben vor Erschöpfung röchelnde Atemzüge von sich.
Die Kombination der halb erstickenden Atemversuche, der Lautstärke des Motor und dem Gequatsche meiner Mitfahrer ist unerträglich. Der Motor des Busses poltert laut und verbreitet den Gestank von Benzin. Die Atemversuche meiner Mitstreiter lösen Angst in mir aus. Sie erinnern mich an meinen Leistungen als Sanitäter und diese Gedanken sind furchteinflößend. Die Leute im Bus stehen kurz vor dem Abgang in die andere Welt und es macht mich nicht gerade glücklich, zu wissen, das dieser Abgang gerade zu der Zeit stattfindet, in der ich im Bus sitze. Und ich kann nicht helfen.

Wenn sie wieder zu Atem gekommen sind und der Sauerstoffgehalt sich wieder reguliert hat, geht auch schon das Gesabbel los. Enkelin Laura hat Masern, Tante Elsbeth ist gestorben und die dicke Frau vor mir hat ein schweres Leben. Sie ist von Rheuma, Gicht und anderen Krankheiten geplagt. Sie erzählt ihrer Nachbarin und dem Rest im Bus gleich mit, von ihrer Tablettensammlung, von den 20 Salben für ihre Hände, Füße und ihren Rücken. Die Schwiegertochter, von der Frau in dem selbstgestrickten gelben Pullover, ist schon zum fünften Mal schwanger und sie wird auch dieses Kind durch alle Krankheiten bekommen, die in der Familie so stark vertreten sind. Ich kenne jetzt auch die Lebensgeschichten von Frau Schleifer, Herrn Otto Mann und der kleinen Masern geplagten Laura.

Am schlimmsten ist der unangenehmen Duft im Bus. Die Verwandschaft von Tante Elsbeth kommt wahrscheinlich gerade aus der Verbrennungsanlage des Bestattungsunternehmen. Die Salben, der dicken Frau, sind in ihrer Mischung, nicht zu überriechen. Es müffelt nach Tod, Haferflocken mit Kleie und den Rückständen der Korega Tabs.
Ich glaube morgen nehme ich mir die Gasmaske mit, die Gerüche lösen schmerzhafte Stiche in meinen Schläfen und unter meiner Schädeldecke aus.
Das Geplapper dringt in meine Ohren und hallt in meinem Kopf, ohne Sinn und verstand bleibt es dort hängen und verkriecht sich in mein Hirn. Auf nimmer Wiedersehen! Und sollte ich es vergessen, morgen fahre ich wieder mit dem Bus.

Zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
 

http://www.webstories.cc 06.05.2024 - 16:07:47