... für Leser und Schreiber.  

MomenteN

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© Marco Frohberger   
   
Wie ein Schein untrübsamer Tränen, die aus den Augen derer fließen, die trostlos sind in ihrem Denken, das Gefühl zu erleben, geliebt zu werden. Unheimlich scheint der Zwang, mit dem der dichte Nebel die Bergwipfel umgibt. Und doch stechen sie heraus wie düstere Gebilde unwirklicher Illusionen, wenn sie trotz dessen dasselbe sind, ein Zwischenspiel von Existenz und verlorener Güte, etwas greifbar Nahes und doch unerreicht, vollkommen in ihrem da sein. Als könnte man ihre stille Magie spüren, ihr gewaltiges Auftreten, eine Darstellung zwischen grenzenloser Freiheit und dem standfesten Ort des Betrachters. Und während ich träume, so erwache ich zugleich, öffne meine Augen und finde mich wieder am Anfang, wo ich mit meinen Gedanken begonnen habe, abzuschweifen. Keine Ahnung, warum gerade ich das tue, doch irgendwie fühle ich mich mit der Natur verbunden, das Umfeld, was mich umgibt, die Freiheit, die mich auf meiner Haut berührt, die Tragik, die das Bild einer unvergleichlich schönen Landschaft für mich ergibt. Dieses Spiel zwischen Jenseits und allem erdenklich wirklichen, das auf der Erde zu existieren vermag.
Klar, ich sitze hier auf einer grünen Wiese, weit weg jeglicher Zivilisation, auf einer Berganhöhe und rings um mich herum steigen steile Wände empor, ragen weit in den Himmel und scheinen teilnahmslos an den Wolken zu kratzen, als begrüßten sie sie, ohne merklichen Unterschied zu all jenen, die versuchen, dass gleiche zu tun und an ihrem Glauben scheitern, mit einem Blick erreichen zu können, für das andere mehrere Jahre brauchten, um in Erfahrung zu bringen.
Die Gipfel sind mit Schnee bedeckt, da wirkt das Licht aus dem Auge des Betrachters wie ein Spiegel der Seele, welches durch den Schnee aufgenommen und an die freie Natur zurückgegeben wird. Durch scharfe Kanten werden Schatten gezeichnet, im Dunkel liegende Flächen, die den Eindruck erwecken, sie verstecken zu müssen, weil sie noch nicht bereit sind. Es ist das Licht, das wandert und das entscheidet, wohin es das extreme Gegenteil seines Selbst werfen möchte, den dunklen Schatten, der unaufmerksam kriecht und irgendwann dorthin gelangt, wo er glaubt, gefunden zu haben, was er lange suchte.
Manchmal kratze ich mich selbst am Kopf und überlege, in welcher Bedeutung ich hier am feuchten Erdboden des Berges hocke und mich bezaubern lasse von einer Atmosphäre, die mir jeden Atem zu rauben scheint. Es ist wie ein Gefühl der Lähmung, dass mich nicht mehr los lässt. Und irgendwann beginne ich zu verstehen, dass ich nicht mehr von hier fort möchte. Aber nur hier lerne ich zu verstehen, was am Boden der Tatsachen ich nicht verstehen möchte. Hier finde ich die Ruhe, die Abgeschiedenheit, die ich in der Realität nicht zu finden vermag. Es ist wie eine nicht enden wollende Suche, wenn ich mich in meiner Heimat befinde, wenn ich versuche, Klarheit über Dinge zu schaffen, gegen die ich machtlos zu sein scheine. Dann kehre ich lieber hier her zurück, an einen Ort der Einsamkeit, auch wenn mich das einen Tagesmarsch kostet, doch hier kann ich empfinden, verstehen und glauben, was mir dort unten versagt bleibt. Hier öffnet sich mein Herz von allein, hier kann ich meine Gedanken spinnen, wo mir unten vorgeworfen wird, in eine falsche Richtung zu streben. Hier bin ich allein mit mir, mit meinem Selbst. Dort unten bin ich Außenseiter. Jemand, der nicht fähig ist, ein Mensch zu sein, wie alle anderen sein mögen und sie ihn haben wollen. Dort unten habe ich meine Kraft bereits verloren. Aber hier oben fühle ich mich frei, ungezwungen und als einer, der akzeptiert wird. Ein eisiger Schauder schleicht mir über den Rücken, so unerschrocken und inspiriert ich dasitze, versuche ich die Idee Wirklichkeit zu lassen, einen Schnitt nach vorn zu machen. Nicht in einem dafür vorgesehenen Zeitraffer, sondern mit langsamer Geschwindigkeit, damit ich nicht wieder verpasse, was ich mir erhoffe, zu spüren.
?Hier bist du.? Die Stimme flüsterte beinahe. Sie klang erstaunt und so real, doch gedanklich war sie für mich so fern. Ich war erschrocken, doch hielt ich mich an meinem da sein fest. Mit erkalteter Miene bei dem Anblick des zerbrechlich wirkenden Mädchens, dass einen Meter hinter mir frierend erlahmte, wusch ich all meine Gedanken fort und wandte meinen Blick ab und verlor ihn irgendwo im dichten Nebel, in dem ich mich am liebsten verstecken würde. Sie trat einen Schritt näher und versuchte zu ahnen, was geschehen war. Mit großen flehenden Augen schaute sie mich an, als suchte sie in meinem Blick nach einer Wahrheit, die ich zu verbergen versuchte. Unentschlossen kreuzte einer meiner Blicke den ihren, ich war gekränkt über meine Schwäche und suchte verbittert einen anderen Anhaltspunkt.
?Was ist mit dir los??, fragte sie unschuldig. Ihre zierliche Figur wirkte in dem dramatischen Anblick der massiven Bergfelsen wie eine Karikatur des Zerbrechlichen, man musste sie davor beschützen, dass sie mit dem Wind nicht fortgerissen wurde. Ich stieß einen großen Seufzer aus, der mich nicht besser fühlen lies. ?Es ist alles in Ordnung?, antwortete ich mit ruhiger Stimme, als stünde ich über all dem Irrtum, der sich zugetragen hatte. Ich wehrte mich gegen den Anspruch meines Herzens, mich ihr zuzuwenden und ihr in die Augen zu schauen.
Sie trat einen weiteren Schritt nach vorn, dem Fels entgegen, auf dem ich saß und suchte sich neben mir einen bequemen Platz. Ein glatt geriebener Fels, an dem viele Jahre vorüber gezogen waren. Ein stiller Zeitzeuge der Naturgewalten, die vor tausenden von Jahren durch das Land zogen und alles mit sich nahmen, was nicht standfest war.
Sie saß keinen Meter von mir weg. Als ihr Blick lediglich abschweifte, getraute ich mich, sie anzusehen. Und da geschah es wieder, wie eine gewaltlose Kraft, die mich festhielt und nicht mehr loslassen möchte. Mich mitreißen möchte in einen Sog der Zeitlosigkeit, als wenn die Welt aufhören würde, sich zu drehen. Als wenn sie mir die Möglichkeit gäbe, die Dinge zu erklären, für die ich in einer normalen Situation Jahre bräuchte. Sie war wunderschön, zierlich klein und unberührt offen, ihre Augen verloren sich in einem Schimmer des tiefblauen Ozeans, während, wenn Licht auf dieselben fiel, sie in einer unbeschreiblich schönen Farbe zu funkeln begannen. Ihre zarte Haut wirkte auf mich wie die sprichwörtliche Sensibilität, die Angst davor, sie zu berühren und dabei zu verletzen. Ihre sinnlichen Lippen formten einen spitzen Mund, die traurig in den Tag lebten, als sehnten sie sich öffentlich nach Wärme und Zuneigung. Ihre Wangen begannen zu blühen wie eine wunderbare bunte Blumenlandschaft, die sich vor meinen Augen auftat, als kenne sie keine Grenzen, keine Weiten und Enden, die sie in die Schranken weisen könnten.
Ich wachte plötzlich auf, als sie sich zu mir drehte. Mein Blick fiel in Ungnade und suchte einen unbedeutenden Punkt auf dem Boden der Tatsachen, der mir meine mir aufgebaute Realität wieder zurückholte. Ich fürchtete mich innerlich zitternd davor, dass sie etwas bemerkt haben könnte.
?Ist mit dir wirklich alles Ok??, fragte sie nachdenklich, während ihre Blicke auf mir ruhten. Sie machte den Eindruck, als wollte sie gar nicht hier sein, aber auf der anderen Seite schien sie diese Ruhe zu genießen, diese außergewöhnliche Begegnung mit der Zeit, mit den geheimnisvollen Bergen und der Gedankenflut, die einen hier in der Ferne von allem in eine Welt zurückversetzt, die wir so kaum erahnen können. Es ist wie eine Reise in eine andere Welt, die man am liebsten nicht mehr verlassen möchte.
?Ich wusste gar nicht, dass es hier so wunderschön sein kann?, sah sie mich lächelnd an, mit einem Anflug von zärtlicher Nähe, als reiche sie mir ihre Hand zur Vereinigung. Ich spürte es regelrecht, wie sie es zu stören schien, während ich diese Distanz zu ihr genoss.
?Es ist unbeschreiblich schön?, versuchte ich zu erklären, wieso ich so abwesend wirkte, während ich das Gefühl der Atmosphäre versuchte, in mich aufzunehmen. ?Ich komme immer hier her, wenn es mir nicht so gut geht. Hier kann ich mich zurückziehen, ohne dass ich Rechenschaft ablegen muss, ohne, dass ich gedemütigt werde. Hier bin ich der, der ich eigentlich immer sein wollte.?
Bei dem Gedanken, mich ihr gegenüber zu öffnen, hatte ich ein wenig Angst. Würde sie mir zuhören wollen oder vor einer Wahrheit weglaufen, die ich versuchte, zu verbergen? Ich weiß nicht und es war nicht gerade leicht, dass Vertrauen aufzubauen, dass ich bereits einmal in ihr gehabt hatte. Aber ich hatte es verloren, vor einiger Zeit, als sie sich einem andern genähert hatte und ihre Blicke mir gegenüber nicht mehr erwidert wurden.
Sie sah mich jetzt an, als suche sie nach einer Wahrheit, die ich vor ihr verberge. Es sind nicht immer die Dinge im Leben, die unvergesslich bleiben, aber die Dinge, die in Erinnerung bleiben, dass sind die Dinge, die ein Leben prägen. Ich entgegnete ihrem Blick mit den meinigen und spürte die unerwartete Wärme in meinem Herzen. Etwas unbeholfen schluckte ich, als könnte ich daran ersticken. Es war mir zunächst peinlich, aber sie hielt an diesem besonderen Moment fest, den ich am liebsten für immer bei mir behalten möchte.
Schließlich führte mein Blick zurück zum Boden, als mir die Worte von unten wieder herauf krochen. Sie sah es und sie fürchtete, ich könnte daran zerbrechen.
?Nimm es dir nicht zu Herzen, was auch immer dich bedrückt. Ich kenne dich besser, inzwischen so gut, dass ich glaubte, als wärst du nicht der Mensch, der du dort unten immer bist. Hier bist du ganz anders, ganz natürlich, so gefühlvoll und voller Hoffnung. Als gäbe es für dich keine negativen Augenblicke?, schilderte sie in großen versöhnlichen Worten. Währenddessen löste sich das dichte Nebelband auf, das die kalten Gipfel der Berge eingekreist hatte. Entspannend löste sich mein Blick aus der Ferne und suchte nach einer Möglichkeit, die Situation zu erleichtern.
?Ich wünschte, es wäre einfacher, ich wünschte, es gäbe eine Chance, die ich ergreifen könnte um der Jemand zu sein, der ich gerne wäre.?
Stirnrunzelnd schaute sie mich an. Skeptisch zog ihr Blick über mein Gesicht, dann über die Landschaft, die sich uns langsam eröffnete. Sanft schlich der Nebel wie eine unberührbare Verwandte zwischen den Felsen hindurch, kalt und unberechenbar, so schauderhaft. Ich seufzte, holte tief Luft und versuchte den Sinn eines Lebens zu verstehen, dem ich mich verwehren wollte. Wieso all diese Anstrengung, welch all die Glut, die dahinter steckt, um frei atmen zu können?
?Aber es ist einfach. Du darfst dich nicht vor etwas verschließen, das du noch gar nicht kennst. Es gibt so viele Dinge, die du noch erfahren kannst und es ist es wert, dafür einzutreten?, erklärte sie in besinnlicher Aussprache, als wolle sie den Nebel nicht vertreiben. Wie ein schützender Umhang stellte sich der Nebel zwischen uns und jener Welt, die dahinter lag. Einer Welt, die Zeitlosigkeit nicht kannte.
Sie rutschte zu mir auf. Ich spürte ihre Wärme, die sie ausstrahlte und diese Nähe, nach der ich mich immer gesehnt habe. Es ist das, was mir bisher immer fehlte. Sie nahm mich in den Arm und ich fühlte mich beschützt.
?Es war vor wenigen Wochen, da erkannte ich dich in der Menge. Inmitten einer Menschentraube, auf irgend so einer Kundgebung und ich fing plötzlich an, mit meinen Gedanken abzuschweifen. Ich merkte schnell, dass ich von die träumte?, erzählte ich mit zitternder Stimme. Ich fürchtete mich, mein Gesicht vor dem Menschen zu verlieren, der mir im Moment am meisten bedeutete. Aber sie hatte Verständnis dafür, genauso wie unten, bevor ich hier her kam, um meine Ruhe zu finden. ?Keine Ahnung, irgendwas zwischen Stärke und Schwäche, ich verstehe mich selbst nicht mehr. Es ist dieses Gefühl, dass in mir so erstrebenswert zu sein scheint. Immer wieder flüchte ich mich in meine eigene Gedankenwelt, wünsche mir die Dinge herbei, die mir so sehr fehlen um in der Realität noch mehr damit konfrontiert zu werden, dass diese Kälte einfach nicht fortgeht. Dann habe ich begonnen zu weinen?, schluchzte ich. Ich weiß nicht, was in mir gefahren war. Aber zu ihr spürte ich diese Vertrautheit wie zu keinem anderen Menschen. Ihr konnte ich in die Augen sehen, ohne auch nur annähernd zu glauben, dass sie andere Absichten hegte. Sie bereitete mir ein Gefühl der Wärme, der Zufriedenheit. Die Bedeutung ihrer Person wuchs immer mehr. ?Alle Leute starrten mich nur noch an. Ich suchte fluchtartig das weite und kam dann hier her. Hier her, an einen Ort, den ich in mein Herz geschlossen habe. Die Berge können mich in meiner Traurigkeit trösten wie kein anderer. Hier ist niemand, der mich beobachtet und beurteilt. Hier ist niemand, der mir sagt, wie ich zu sein habe, hier muss ich nicht ein Ideal erfüllen, dem alle hinterher eifern.?
Selten hatte ich diesen Mut, mich jemandem anzuvertrauen. Aber Melanie war nicht irgendjemand. Sie sah mir vertrauensvoll in die Augen und tröstete mich mit ihren Blicken. Ich spürte ihre Hand, wie sie um meine Schultern lag und ich suchte ihre Nähe, die sie mir freiwillig schenkte. Dann hob sie ihre Hand und berührte meine Wange. Mein Herz schlug immer schneller. Unsere Blicke trafen sich und ich spürte es in mir, wie damals, vor langer Zeit. Tief blickte sie mir in die Augen, als wolle sie mir etwas Wichtiges mitteilen. Sie beugte sich ein wenig nach vorn und berührte meine Lippen mit den ihren. Wir küssten uns und es sollte so unvergesslich bleiben wie die Tatsache, dass die Vertrautheit zweier Menschen einen verbindet.
?Man hat mir mal gesagt, dass die Unterschiede zwischen den Menschen uns voneinander abhalten, daher sollten wir versuchen, Brücken zu bauen, damit wir uns gegenseitig erreichen können.?
?Ich denke, diese Brücke haben wir eben beschlossen?, lächelte sie in einem verzauberten Moment, den ich in mir einschloss, damit er nicht mehr fort konnte.
Melanie hatte mir den Weg zu einem Menschen gezeigt, der ebenso empfindet wie ich selbst. Ich habe die Hoffnung zurück gewonnen, dass man niemals aufgeben sollte, bis man gefunden hat, was man sucht. Egal, wie schnell die Zeit vergeht, uninteressant, was Worte entscheiden und Gefühle dir sagen, es gibt immer eine Möglichkeit, die Dinge zu ändern, die einmal schief gelaufen sind.
Es ist wie mit den geheimnisvollen Bergen, die in ihrem stillen da sein etwas bewirken. Dir die unguten Gefühle nehmen und dir Kraft und Mut schenken, Kraft, für einen Neuanfang, Mut, einen Schritt weiterzugehen, damit das Leben nicht stagniert.
 

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