... für Leser und Schreiber.  

Fleischgenuss

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© Stephan Sigg   
   
Autsch! Da sassen wir also und starrten in den Rauch. "Das wird sie mir nie verzeihen", dachte ich nur, und "Wieder mal mitten ins Fettnäpfchen getreten."

Dabei hatte alles so toll angefangen: Strahlender Himmel, so blau und von keinem einzigen Wölkchen durchzogen, ein Grillplatz, der nicht idyllischer hätte sein können. Eine Waldlichtung, Baumstammbänke, ab und zu ein Lüftchen vom See. Ein Bilderbuchsommertag.
Ich hatte an alles gedacht: Sekt, richtig gekühlt, zwei passende Gläser dafür, einen Korkzieher, frisches Brot, Servietten, Besteck, Chips und natürlich Würste, Bratwürste und Koteletts. Schweinefleisch, Kalbfleisch und - um nichts falsch zu machen - kein Rindfleisch.
Auch meine grösste Angst hatte sich als völlig haltlos erwiesen: Da gab es keine anderen Ausflügler, die an diesem Sommertag die Idylle durch ihre Anwesenheit störten. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Nicht einmal lästige Insekten. Wir zwei ganz allein. Auf einer einsamen Waldlichtung. Vergessen von der Welt, von der Hektik. Wie in einer anderen Zeit, versunken in einem süssen Traum, in Harmonie. Es war wirklich alles so, wie es sein sollte. So war das Leben einfach lebenswert.

Das Feuer war schnell entfacht. Knackend verzehrten die Flammen mein mitgebrachtes Brennmaterial. Die Rechnung schien aufzugehen. Das Glück war heute wirklich auf meiner Seite. Eine detaillierte Planung zahlt sich aus, dachte ich zufrieden, goss vergnügt perlenden Sekt in die Gläser, nahm anschliessend eine Wurst vom Rost, wickelte sie in eine bunte Serviette.

Da knallte es. Völlig unerwartet schlug sie mir mit der rechten Hand ins Gesicht.
Entsetzt fuhr ich zurück und fühlte das Blut in meiner Backe heftig pulsieren. Ein eiskalter Schauer rann mir den Rücken hinunter. Vorbei die Idylle, die Harmonie. Innerhalb weniger Sekunden wie ein Kartenhaus bei Durchzug zusammengestürzt. Mein Traumausflug nur noch ein Scherbenhaufen.
"Nein." Sie schüttelte angewidert den Kopf. Ein Fragezeichen in meinem Gesicht.
"Keine Bratwurst?"
Das Vogelgezwitscher verstummte, dunkle Wolke zogen auf. Das eben noch so angenehme Lüftchen blies mir nun schneidend ins Gesicht. Zog ein Unwetter auf? Ich fröstelte. Und jetzt liess mich auch das Feuer im Stich: Die Flammen erloschen, machten beissendem Rauch Platz, der einem Tränen in die Augen trieb.
"Lieber ein Kotelett? Ein Steak? Ein...?"
Mir versagte die Stimme. Schweiss auf meiner Stirn. Was hatte ich falsch gemacht? Das Hochgefühl auf einmal verflogen, zurück blieb ein flaues Gefühl im Magen. Verrechnet, verkalkuliert. Mein Blick wandte sich erschrocken zum Waldrand. Dort sprang gerade eine Schulklasse aus dem Dickicht hervor und stürzte sich grölend auf die Lichtung.
Ihre Augen glühten vor Zorn. Nochmals schüttelte sie heftig den Kopf, sprang auf, warf mir einen bitterbösen Blick zu, knallte mir ein paar unverständliche Bemerkungen an den Kopf und stürmte Hals über Kopf in den Wald hinein.

Ein paar Tage später traf ich sie wieder. Zufällig in der Fussgängerzone, als sie bewaffnet mit mehreren Einkaufstaschen gerade aus einem vegetarischen Restaurant heraustrat...
 

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