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Die Hasenkonferenz

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© Aenne Gunda Göltzer   
   
Nachdem der erste Vollmond sich in seiner ganzen Größe zeigte, und nun wieder den weg des Abnehmens eingeschlagen hatte, gab er durch sein besonders helles leuchten allen Hasenvätern das Zeichen, sich auf den Weg zu machen, um an der alljährlichen Hasenkonferenz teilzunehmen. Die Hasenmuttis besorgten Proviant für die lange Reise und die Kinder versprachen gehorsam zu sein, bis der Hasenvater von der anstrengenden Reise wieder zu seiner Familie zurückkehrt.

Im Hasenland, dort wo das Treffen jedes Jahr stattfindet, war reges Treiben. Riesige Berge von Karotten und Kohl mussten herbeigeschafft werden. Zwei Hasenwochen lang eilten viele Hasenhelfer umher und bauten Bettenburgen aus Heu, damit sich die Konferenzteilnehmer auch wohl fühlen konnten. Es wurde tagelang geputzt, denn der große Platz auf dem sich die Hasenväter versammelten musste blitzblank sein. Die Vorbereitungen waren sehr anstrengend, aber auch von großer Wichtigkeit, denn das Zusammentreffen der Hasen fand nur einmal im Jahr statt und alle Osterhasen versammelten sich, um das bevorstehende Osterfest zu besprechen.

In diesem Jahr war in der Menge eine große Unruhe zu spüren. Alle sprachen wild durcheinander und es dauerte beinahe eine ganze Hasenstunde, bis endlich die Konferenz eröffnet werden konnte. Der erste Hasenminister sprach ein paar Worte zur Begrüßung. Anschließend wurden die Langohren in einzelne Arbeitsgruppen eingeteilt, mit jeweils einem Sprecher.

Nach langen Diskussionen in den einzelnen Gruppen kamen die Sprecher zu dem Schluss, dass für das bevorstehende Osterfest Erneuerungen geplant werden müssen, denn die Ansprüche der Menschenkinder wachsen jedes Jahr mehr. Die Hasenväter hatten das Jahr über die Bedürfnisse und Ansprüche der Menschen beobachtet. Nun musste beraten werden, wie das kommende Osterfest anders geplant werden sollte, damit den Osterhasen ihre Daseinsberechtigung erhalten bliebe und trotzdem den Menschen noch mehr Freude bereitet werden kann. Jede einzelne Arbeitsgruppe fertigte eine Liste mit Vorschlägen an.

Nach der Mittagspause war der Möhrenberg schon recht klein geworden und die fleißigen Helfer hoppelten rasch, um den
bevorrateten Kohl herbei zu bringen, damit der mächtige Appetit der vielen Hundert Konferenzteilnehmer gestillt werden konnte. Anschließend schilderten die Hasensprecher mögliche Erneuerungen für das bevorstehende Osterfest. Viele der jüngeren Hasen waren begeistert vom Fortschritt der Menschheit. Einer hatte sogar eine Pfote voll mit Schokoladen Euros mitgebracht um den anderen aufzuzeigen, welchen Ideenreichtum die Menschen besitzen.

Eine andere Hasengruppe war fasziniert vom neuen Bundeskanzler, wie dieser, im Gegensatz zum seinem Vorgänger sehr auf seine Figur achtet und genau wie die Hasen Rohkost bevorzugt. Zufrieden darüber, dass die Menschen sogar manchmal von den Hasen lernen, diskutierten sie weiter über die Möglichkeit, den Menschen zu Ostern eine Freude zu bereiten. Manche Hasenväter überlegten auch, ob in Zukunft ein Computer bei der Arbeit helfen könne. Sie hatten sich intensiv damit beschäftigt, wie die Menschen diese Bequemlichkeit in ihrem Alltag nutzen. Daraus entwickelte sich rasch eine längere Diskussion, die jedoch nach geraumer Zeit vom Hasenvorstand ungeduldig abgebrochen wurde, und er forderte die Teilnehmer auf, endlich zum Hauptpunkt der Tagesordnung überzugehen. Eine Hasengruppe hatte sich die Wünsche der Kinder an den Osterhasen notiert und begann vorzulesen:

Gameboy, Rollerskates, Fußballtrikot, ja sogar Mountainbikes wünschten sich die Kinder. Aus der Menge kamen Einwände es gäbe auch noch Kinder, die sich über Schokolade freuen würden. Ja sicher, ertönte eine andere Hasenstimme, aber gibt es denn noch Schokoladeneier ohne Alkohol? Die Menge diskutierte, argumentierte und es entwickelte sich ein richtiges Hasenpalaver. Der Hasenminister erhob sich, schlug mit seiner linken Hinterpfote drei mal kräftig auf den Boden und seine großen Hasenohren signalisierten Unmut. „ So kann es doch nicht Ostern werden“ sagte er, und urplötzlich war es ganz still. „Ich bitte um vernünftige Vorschläge“ fügte er noch hinzu.

Ein älterer Hasenvater erhob sich und bat um das Wort. “Wäre es nicht wichtig, die Menschen wieder an die eigentliche Bedeutung des Osterfestes zu erinnern?“ fragte es seine Hasenkollegen. Ein anderer fügte hinzu: „ist nicht irgendwann die Zeit reif , um dem Kommerz die Stirn zu bieten und somit Freiraum für Besinnlichkeit und Toleranz unter den Menschen zu schaffen?“ Der Hasenminister erhob sich und sprach: „ mir gefällt dieser Vorschlag sehr gut und ich fordere eine Hasenstunde Ruhe, damit sich jeder von euch über die eigentliche Bedeutung von Ostern ein paar Gedanken macht. Anschließend machen wir eine
Karottenpause und dann werden wir das Thema erneut diskutieren. Die Hasen hoppelten sichtlich beeindruckt von diesem Vorschlag in östlicher Richtung auf ein kleines Waldstück zu. Die alten Hasen nahmen die jungen in die Mitte, setzten sich unter einen großen Baum, und erzählten von Jesus und seiner Leidensgeschichte. Die Sonne blinzelte durch die Zweige und erwärmte ein wenig das Fell der Hasen. In dieser Harmonie wurde ihnen die ganze Bedeutung des Osterfestes wieder ins Bewusstsein gerufen. Die jungen in diesem Kreis hörten die Geschichte zu ersten mal, aber sie zeigten ihre Unwissenheit nicht.

Bald saßen alle Hasen wieder auf ihrem Platz und die Konferenz konnte fortgesetzt werden. Die erfahrenen Hasen überlegten nach einer Strategie, um die Menschen mit ihrem Anspruchsdenken zufrieden zu stellen. Die anderen, noch überwältigt von der wahren Bedeutung des Osterfestes, suchten nach ganz neuen Möglichkeiten. Der Einfluss der wärmenden Sonnenstrahlen im Wald und das Gefühl der Harmonie hatte die jungen Hasenväter völlig irritiert.
Ein Glücksgefühl durchströmte ihre langen Hasenohren und sie konnten sich nicht erklären, was in ihnen vorging. An diesem Nachmittag musste die Konferenz abgebrochen werden, und die Hasen bekamen Zeit, ihre Gefühle für das Osterfest neu zu ordnen. Jeder Teilnehmer war für sich von der Idee überzeugt, Ostern in diesem Jahr anders als all die Jahre vorher zu gestalten.

Mit den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen wurde die Konferenz fortgesetzt und alle waren sich einig:
- Ostern soll kein Fest für den Kommerz sein –
Die Osterhasen wollten nicht länger mit ansehen, wie die Menschen mit ihrem materiellen Denken dieses Fest verunstalten und beschlossen, den Menschen in diesem Jahr ohne Geschenke zu begegnen. Anfangs gab es noch eine Reihe von Gegenstimmen, weil viele Hasen Angst hatten, dass der Mensch dann in Zukunft Hasenragout von ihnen bereiten würde, um sich auf diese Weise an ihnen zu rächen.

Die jungen Hasenväter waren leicht aufgeregt, denn sie hatten ihre Hasenkinder stets zur Ehrlichkeit und Besonnenheit erzogen und wollten durch eine falsche Entscheidung nicht ihre Zukunft aufs Spiel setzen. Doch die älteren und erfahrenen unter ihnen waren sich ganz sicher, dass die veränderte Hasenbeziehung zum eigentlichen Osterfest den Menschen Positives bringen würde.
Wenn man die Menschen dazu bringen könnte, Ostern ohne Geschenke zu feiern, hätten sie doch wieder Zeit, über die wahre Bedeutung des Osterfestes nachzudenken. Vielleicht würden die Menschen eines Tages wieder den Weg zur inneren
Zufriedenheit finden und damit Machtgefühle und Neid mit dem Gefühl des Glücks aufwiegen können. Dieses war eine große Aufgabe und ihnen war bewusst, dass es ihre ganze Freizeit in Anspruch nehmen würde. Voller Freude gingen sie an die Arbeit und besorgten sich Pläne von den größeren Städten, suchten die Grünanlagen vor den Altenheimen, die Spielplätze von den Kindergärten, die Parkanlagen bei den Krankenhäusern, die Rathausvorplätze und die Pausenhöfe der Schulen.

Die Städte mit ihren gewaltig vielen Autos, Bussen und Straßenbahnen waren sehr gefährlich für die Hasen und machten ihr Vorhaben besonders schwierig. Dennoch hoppelten alle Hasen so schnell sie konnten um allen Hasenfamilien und Freunden von ihrem Vorhaben zu berichten. Auch die Eichhörnchen und die Enten in den Tümpeln mussten ihren Plan erfahren um bei den Vorbereitungen zu helfen.
Es begann die aufregendste Zeit - seit Hasengedenken.

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug und das Osterfest rückte immer näher. Am Karfreitag, in den frühen
Morgenstunden trafen sich alle Hasen im Hasenland um von dort aus mit ihrer lautlosen Botschaft zu starten. Bevor sie
aufbrachen las der Älteste von ihnen noch einmal die Geschichte Jesus vor, und alle waren sich ganz sicher, dass dieses Ostern ein Fest der Harmonie werden würde.
In den Städten begann das emsige Treiben, denn die Menschen bereiteten sich voller Stress auf das bevorstehende Fest vor. Sie kauften Lammfleisch und allerlei Süßigkeiten, holten blühende Zweige in die Zimmer, putzten noch schnell die Fenster und legten festliche Tischdecken auf. Die Menschen kannten sich mit Ostern aus und wussten genau, worauf es bei diesem Fest ankommt. Endlich war es soweit – die Sonne schickte ihre warmen Strahlen auf die Erde und es war fast so, als wenn die Sträucher und Blumen vom Plan der Hasen erfahren hätten, denn sie blühten und zeigten sich in ihrer vollen Pracht. Die Hasen hatten schon einen langen Marsch hinter sich und viele andere Tiere hatten sich ihnen angeschlossen. Tausende von Hasen hüpften und hoppelten auf den Grünflächen in den Parks, in den Vorgärten und auf den Straßen, sie fassten sich an ihren Hasenpfoten und
tanzten so vergnügt, dass sogar die Straßenbahn anhalten musste.

Es gab eine gewaltige Haseninvasion und die Menschen standen an den Fenstern, die Kinder staunten, die älteren Bürger konnten es gar nicht fassen, denn überall wo sie schauten tanzten die Haseneltern vergnügt mit ihren Hasenkindern. Unzählige Eichhörnchen sprangen in den Bäumen umher, ja sogar eine Ziege hatte sich diesem gewaltigen Hasenzug angeschlossen, meckerte und trug ihren Teil dazu bei. Der Maulwurf warf vor Freude einen Erdhaufen nach dem anderen hoch und die Enten in den Tümpeln machten übermütig etliche Flugversuche.

Die Hasen steckten mit ihrer Freude die Menschen an. Viele der Stadtkinder hatten vorher noch nie einen richtigen Hasen in der Natur gesehen. Mit ihren langen Ohren, kleinen Stummelschwänzchen und den großen, glücklichen Augen vermittelten sie unendliche Glücksgefühle. Drei Tage lang tanzten die Hasen und erfreuten die großen und die kleinen Bürger der Stadt. Kein Menschenkind fragte nach Schokoladeneiern, Gameboys oder sonstigen Geschenken. Sie hatten es völlig vergessen, so verblüfft waren sie vom Auftritt der Hasen. Dann in der dritten Nacht, als der Mond schon hell am Himmel stand, verabschiedeten sich die Hasen. Sie gingen glücklich zurück in ihre Hasenhäuser, denn sie hatten ihre Idee verwirklicht.

Ein lauer Wind wehte über die Stadt und von den Kirchtürmen hörte man die Glocken läuten. Die Natur strahlte eine österliche Ruhe aus. Irgendwie war Harmonie und Wärme unter den Menschen zu spüren. Für die Hasenväter begann nun wieder der Hasenalltag. Sie hatten jetzt ein ganzes Jahr Zeit, die Menschen zu beobachten um zu erfahren, ob die Hasenbotschaft verstanden wurde.
 

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