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Das Sonnenkind von Barai Teil 3

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© Nina Schepler   
   
Als ich gerade meine beiden Fische fütterte, kippte ich versehentlich Fischfutter in meine Kaffeetasse. Fisch eins und Fisch zwei glubschten an der Scheibe und blubberten aufgeregt einige Blasen aus ihren Mäulern. Ich musste grinsen. Vielleicht ne Tasse Fischli-Haferl-Kaffee zu den Quarktaschen?
Das mit den Quarktaschen ist so eine Sache. Eines Tages bin ich durch die Stadt gelaufen, mit unbestimmtem Ziel vor Augen, als ein kleiner rothaariger Junge, kein Jahr älter als neun Jahre, mit einem Skateboard auf mich zukam, unmittelbar neben mir stoppte und in den Himmel schaute und in leichtem Sprechgesang sagte „Es wird Regen geben! Es wird Regen geben!“ Schmunzelnd bin ich weitergelaufen, habe mir eine Quarktasche gekauft und einen Büstehalter für meine eigenen Quarktaschen und bin selig heimgehoppelt. Als ich zuhause ankam habe ich mich hingelegt, weil ich müde war.
Ich machte meine Gedanken frei. Hatte nur meine Obstkisten vor Augen und wollte an nichts anderes denken. Ich machte das Licht an. Und der Lichtkegel fiel in einer Flutwelle über mich in Richtung Wohnzimmer. Dieses betrat ich nun und erschrak wie schnell es gedunkelt hatte, seit ich zuhause angekommen war. Auch hier knipste ich schnell das Licht an.
Das Zimmer bekam ein beruhigenden Schimmer, als ich noch zwei herumstehende Kerzen anzündete. Einen Augenblick lang glaubte ich, ein Paar Augen in der Kerzenflamme aufblitzen gesehen zu haben. Ein Kälteschauer kroch mir den Nacken hoch. Ich legte mich auf das Sofa und mit einem mal fiel all die gestaute Anspannung von letzter Nacht vom Traum von mir und die Müdigkeit legte sich wie eine bleierne Hand über mich, ehe ich noch an etwas denken konnte und ohne mich dem Schlaf zu wieder setzen, schlief ich wieder ein.
Langsam glitt ich in einen grauen Nebel über. Wie eine kleine Ewigkeit kam es mir vor wie ich so durch die Nebelschwaden wandelte. Doch so beruhigend war der Nebel nicht. Eine elektrisierende Spannung lag in ihm. Plötzlich waren die Augen wieder vor mir und der Phönix, der sich in heftigen und ruckartigen Bewegungen, aber auch wie eine geschmeidigen Hand wand und in eine Schlange verwandelte. Das passte so gar nicht zusammen. Wo war die Kirche? Selbst im Traum kam mir alles sehr kurios und doch echt vor.
Nach Stunden wie es mir vorkam, wachte ich aus einem unruhigen Schlaf auf. Im ersten Moment wunderte ich mich noch, warum ich aufgewacht war, als das Telefon erneut läutete. Es war meine Mutter. Monoton beantwortete ich ihre Fragen, nach meinem Wohlergehen und ob ich auch genug essen würde und wie die neuen Unterhosen sind, die sie mir von Feinkost Albrecht geschickt hatte und auch das Früchtemüsli, ob ich auch immer brav die Bananen reinschneide. Bei meiner Mutter roch es immer nach Bananen. Es war ekelerregend. Einer der Gründe, warum ich heimlich Duftbäume im ganzen Haus versteckt habe, damit ich nicht bei jedem Schritt kotzen musste. Meine Mutter kommt aus Afrika. Ihre Eltern, meine Großeltern, haben dort in einer Art Kolonie gelebt und meine Mutter ist dort geboren und aufgewachsen unter Halbwilden. Mit ihrer Schwester und ihrem Bruder ist sie durch den Busch gestreift und hat kleine Tiere eingefangen und Maden und Würmer gegessen. Eines Tages kam ein Großwildforscher, der meine Mutter für ein Dschungelmädchen hielt und heiratete sie. Dann sind sie gleich nach Hamburg gezogen und kurz darauf kam ich dann. Geschwister habe ich keine mehr, meine Mutter war zwar noch einmal schwanger, als ich gerade zwei Jahre war, aber das Kleine ist noch im Mutterleib gestorben, so das sie sich operieren lassen musste, um das da raus zu holen und danach konnte sie keine Kinder mehr bekommen. So war das.

Der Morgen kündigte sich mit Nebelschwaden an, die sanft die Hütten der Einwohner von Barai einlullten. Die Vogelstimmen und das Affengekreische waren zu dieser Tageszeit am lautesten und klarsten. Desanka lauschte angespannt den Tierstimmen und versucht auf Geräusche menschlichen Ursprungs zu achten. Doch außer den Urwaldbewohnern war nichts zu vernehmen. Das Dorf schlief fest.
Katzengleich stahl sich Desanka von ihrem Nachtlager aus Stroh am Boden. Sie ließ alles zurück was sie besaß, was nicht viel war: Eine schwarze Leinentoga, ein paar Sandalen aus Bambus und Schilf gearbeitet, die sie immer an den Füssen trug, eine Kette aus Korallen, Knochen und Türkisen und ein Mandela, das stets am Kopfende ihres Lagers stand.
Es war am unauffälligsten, wenn sie alles da ließ, so würden die anderen erst denken, sie sei im Busch auf einem Meditationslauf. Mit katzengleichen Bewegungen lief sie in den Wald hinein. Erst in die eine Richtung, wo sie absichtlich Spuren hinterließ, um dann nach mehreren hundert Metern einen anderen Weg einzuschlagen und den Wald im Zickzack zu durchqueren. Sie war noch nie weiter als bis zu einer Felsenmauer gekommen. Dahinter hieß es, lag das Ende der Welt. Doch ihre Erinnerungen sagten ihr, das es dahinter mehr gab, als das Ende der Welt. Nach stundenlanger Wanderung gelangte sie in Sichtweite des Felsenhanges, der sich steil und drohend vor ihr aufbaute.
 

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