... für Leser und Schreiber.  

Salz der Sonne

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© Klaus Asbeck   
   
Die Sonne schleuderte ihre glutheißen Strahlen auf ein weites, flaches und ausgedörrtes Land, wo es schon lange keine Schatten mehr gab. Alles Lebendige war längst verschwunden. Die Sträucher und Bäume von einst waren allmählich verdurstet und sodann nach und nach regelrecht verbrannt, wenn der Wind sie nicht zuvor weggetragen hatte. Der Wind, der als einziger sich noch daran erinnern konnte, wie es hier Leben gegeben hatte - vor langer Zeit.

Dieses öde, verlassene und verbrannte Land, wo sich kein winziger Laut bemerkbar machte, durchzog eine Straße, die aus dem Nirgendwo kam und ohne jede Krümmung im Nirgendwo versiegte. Auf ihr hatte sich schon lange nichts mehr bewegt, mit Ausnahme des Sandes, der da und dort vom Wind über sie geweht wurde.

Auf dieser Straße bewegten sich zwei Menschen aufeinander zu. Sie und Er. Beide wußten nicht, wann sie ihre lange Wanderung angetreten hatten, beide kannten auch nicht den Grund. So schritten sie auf dieser einsamen Straße einander entgegen, Stunde um Stunde, Tag für Tag, Nacht für Nacht - befreit von allen menschlichen Bedürfnissen. Und so vergingen die Wochen, Monate und Jahre. Doch dann kam irgendwann letztendlich der Tag, an dem sie sich zuerst am Horizont nur erahnen, doch dann im flimmernden Hitzelicht über der kochend heißen Straße die zerflossenen Silhouetten ihrer Körper wahrnehmen konnten. Aber es hatte anfänglich den Anschein, als wenn sich beide nicht näher kämen.

Doch als die Sonne ihren Zenit erklommen hatte, erreichten sich beide auf gleicher Höhe, jeder auf der anderen Seite der Straße. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, drehten sie sich bedächtig zueinander um, und ihre Augenpaare begegneten sich auf gleicher Höhe, ernst und eindringlich. Und nach einem langen Forschen und Suchen in ihren Blicken stieg aus ihrem tiefsten Inneren das Erkennen des anderen aus uralter Zeit auf, jedoch ohne daß sich Einzelheiten zu erkennen gaben.

Barfüßig überquerte Er die Straße, ohne daß ihm ihre Glut etwas hätte anhaben können. Er blieb vor Ihr stehen. Und beide verharrten so eine geraume Weile voreinander, ohne den Blick des anderen freizugeben oder ihm auch nur für den Bruchteil einer Sekunde auszuweichen. Danach knieten sie sich voreinander nieder, wobei sich auch ihre Hände fanden. Und für einen kurzen Moment glitt der Hauch eines wissenden Lächelns über ihre Gesichter, um sodann dem tiefen Ernst wieder Platz zu machen.

In unendlich langsamen und fließenden Bewegungen hob Er Sie behutsam auf seinen Schoß, wobei Sie ihre Beine klammernd und bestimmt um seine Hüften schlang. Er nahm ihre kalten Brüste in seine Hände und hielt sie beschützend fest. Und Sie verwahrte ihn in ihrem Schoß. Ihre beiden Blicke ineinander verwoben, verharrten sie regungslos, ahnend, vielleicht auch wissend, daß es die Ewigkeit bedeutete.

Und allmählich perlten auf ihrer beider Haut, die seine sonnengebräunt, die ihre weiß, nach und nach große Tropfen, die die Sonne begierig aufsog, um winzige, glitzernde Kristalle zu hinterlassen, das Salz der Sonne. Und je tiefer sich die Sonne dem Horizont zuwendete, desto intensiver verdichteten sich die Kristalle. Sie verdichteten sich derart, daß ihre beiden Körper miteinander zu verschmelzen schienen und zu einer solch eigenständigen und intensiven Lichtquelle erstrahlten, daß die untergehende Sonne, noch bevor sie ihre letzten Strahlen über das Land fluten ließ, dagegen verblaßt war. Die Leuchtkraft, die von beiden ausging, war so stark, daß sich ihr Licht danach mit dem der Sterne für einen Augenblick vereinigte. Wonach es dann plötzlich finstere Nacht ward.

Als dann der kommende Tag heraufdämmerte, umfluteten seine ersten Sonnenstrahlen einen Felsen am Straßenrand mit einem solch intensiven Rot, daß der Fels selbst, der die Gestalt und die Ausdruckskraft eines ineinander verschlungenen Liebespaares hatte, in lodernden Flammen zu stehen schien.

Es steht geschrieben, daß alles beseelt ist - auch die Steine.


25.XI.2002
 

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