... für Leser und Schreiber.  

Nach fünf Jahren

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©  Deirdre   
   
Ich weiß, warum wir miteinander gegangen sind. „Ich weiß es“, ich klinge betont melancholisch, dramatisch ... beschuldigend. Ich streiche dir ein letztes Mal über die Wange, du hast dich gründlich rasiert. Du schließt die Augen und schmiegst deinen Kopf gegen meine linke Hand. Ich greife dir mit fast allen Fingern hinter dein Ohr, spiele mit deinen Haaren, streiche mit dem Daumen über deinen Wangenknochen. Du langst plötzlich nach meiner Taille, ziehst mich mit einem Arm an dich, mit der anderen Hand kämmst du zart mein braunes Haar. Ich lege meine Arme um deinen Hals und meinen Kopf an deine Brust. Ich spüre deinen Herzschlag, lausche dem Takt. Du vergräbst dein Gesicht in meinem Haar. Ich flüstere erneut: „Ich weiß es.“ Und du schweigst. Eigentlich hattest du gerade Schluss gemacht.

Wir hatten uns bei einem Konzert deiner Band kennengelernt, vor fünf Jahren war das schon. Ich hatte von Anfang an etwas für dich übrig. Nicht nur sympathisch schienst du mir, sondern auch gutaussehend. Blonde, etwas längere, Haare, blaue Augen, ein Mund, der sagte: „Küss mich!“, deine Gestik und Mimik, die jeden in deine Schilderungen eintauchen ließ. Abgesehen davon bist und warst du sensibel, einfühlsam und wie ich oft depressiv, melancholisch, sarkastisch und schwierig. Ich liebe dich. Obwohl sie sagten, wir würden nicht zusammen passen und uns nach vier Tagen wieder trennen. Obgleich sie sagten, dass du aussiehst wie Casper, der freundliche Geist.
Ich hätte niemals gedacht, dass das mit uns so lange halten würde. Als du mich geküßt hast (Okay, wir waren angetrunken), da wußte ich noch nicht, dass ich fünf Jahre an deiner Seite verweilen würde. Doch ich konnte dann mein Glück kaum fassen.

Und nun, nach fünf Jahren, stehst du mit gepackten Koffern am Flughafen und willst abfliegen. Du gehst auf Tour mit deiner Band, für bestimmt 10 Monate. Und du sagst mir, dass es besser wäre, nicht mehr länger zusammen zu bleiben. Und nun liegen wir uns doch wieder in den Armen und ich will dich nie, nie wieder loslassen. Ich kann nicht verstehen, dass du denkst, wir könnten uns nach geschlagenen 63 Monaten keine 10 Monate die Treue halten. Und ich spüre, dass du mich noch immer liebst.
Du hast eben gesagt, du wüßtest gar nicht, wie ich es fünf Jahre mit dir hab aushalten können. „Ich weiß es.“ Weil ich dich über alles liebe. Doch das spreche ich nicht aus. Die Stille durchdringt ein Laut. Dein Flug wird aufgerufen. Nein, geh noch nicht!

Doch jetzt gehst du. Aus meinem Leben. Fort.
Noch einmal drehst du dich um. Du siehst, dass ich weine. Du weißt, ich werde zusammenbrechen, sobald ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen habe. Du kennst mich. Fühl dich ruhig schuldig. Tu es!
Ich werde dir irgendwann mal sagen, dass ich vor drei Wochen den Fötus abgetrieben habe, dessen Vater du gewesen wärst. Ich dachte nämlich, dass ich noch einmal in ein paar Jahren von dir geschwängert werden kann. Doch im Nachhinein... Im Nachhinein spüre ich die Leere in meinem Unterleib. Spüre ich mein Herz schlagen, als wäre es eine Trommel mitten in einem gekachelten Badezimmer, indem nur eine Wanne steht. Eine leere Wanne.
Du bist mein Wasser, Quell´ des Lebens. Da linderst die Leere und dein Nachkomme hätte es auch getan.
Das Wasser kommt immer zur Quelle zurück. So auch du.
Aber so denke ich erst, seit du wieder um die Ecke kamst, deine Taschen noch immer in den Händen, dein Ticket noch immer in der Jackentasche. Wieso läufst du nicht? Wieso schleichst du reumütig dahin? Ich gehe ein paar Schritte auf dich zu, bleibe stehen und sehe dir schon von Weitem in die Augen. Als du dann vor mir stehst, lässt du deine Taschen fallen, breitest deine Arme aus und wisperst: „Es tut mir so unendlich leid.“ Du blickst mich an und überläßt mir die Entscheidung. Ich muss entscheiden, ob ich dir verzeihe. Was gibt es da zu verzeihen? Ich stürze an deine Brust, meine Finger verankern sich in deiner Jacke, deine Arme schließen sich um mich. „Ich liebe dich“, höre ich dich flüstern. „Ich dich auch“, höre ich mich sagen.
Du sitzt trotzdem im Flugzeug. In zwei Monaten werden wir uns in Paris wiedersehen. Ich weiß nicht, dass du mir dort einen Heiratsantrag machen wirst. Und ich weiß auch nicht, dass du den Ring schon vor drei Jahren heimlich gekauft hast. Doch du hast dich niemals getraut. Ich hätte schon damals „ja“ gesagt. Nach zwei Jahren schon.

Ich könnte ewig an diesem Flugplatz stehen. Und einfach nur auf dich warten. Aber das kann ich auch woanders. Zu Hause. Dort, wo noch immer ein Bett steht, das wir uns nach fünf Jahren noch immer teilen.
 

http://www.webstories.cc 02.05.2024 - 22:59:12