... für Leser und Schreiber.  

Entstehung der "Mitternachtsphantasien"

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© Graf Zahl   
   
"Ein Lyriker, dessen Prosawerk Abgründiges offenbart?"
(Lies Warmeling)

Damit etwas klarer wird, wie die Mitternachtsphantasien entstanden, hier ihre Entstehungsgeschichte... (Namen wurden von mir belassen, Nachnamen bewusst weggelassen)

Es war im Herbst 2000. Ich war damals ein 17jähriger Junge im letzten Jahr der Schule und auf dem Weg zum Abitur, doch das war mir damals eigentlich eher Nebensache. Was mich viel mehr interessierte, war Bärbel. Bärbel war anderthalb Jahre älter als ich, in meiner Stufe und - so schien es mir damals - die Frau in Perfektion. Schlank, sportlich, blasse Haut, für die ich schon immer sehr empfänglich war, rote Haare und ein verdammt starkes Selbstbewußtsein. Sie folgte keinen Trends, sie machte ihre eigenen, und das mit Konsequenz. Ich hatte mich also in Bärbel verliebt. Ich brauchte unbedingt ihre Handynummer, wofür genau wusste ich auch nicht, aber ich wollte sie haben... sie jedoch direkt danach zu fragen schien mir zu offensichtlich zu sein... schließlich wollte ich sie ahnungslos lassen, anstatt ihre Gedanken mit der Frage nach ihrer Nummer zum Arbeiten zu bringen; schlafende Hunde soll man nicht wecken. Jedoch blieben alle Nachforschungen und Versuche vergebens.
Die Zeit zog ins Land, es wurde Winter und Weihnachten stand vor der Tür. Von meinen Eltern hatte ich mir eine neue Geldbörse gewünscht, die ich auch bekam. Als ich meine alte ausräumte und meine Telefonnummernsammlung auf kleinen losen Zetteln durchsah, wollte ich es einfach nicht glauben: Ich fand inmitten der anderen ihre Nummer, die sie mir selbst aufgeschrieben hatte; ich hatte völlig vergessen, dass ich ihn ständig bei mir trug. Die Nummer war mein schönstes Weihnachtsgeschenk, und ich konnte nicht umhin, sie direkt zu nutzen. Ich schrieb ihr eine anonyme SMS im mittelalterlichen Stil; sie betitelte mich in der Antwort mit "Romeo" und unterschrieb mit "Julia" (an diesem Abend lief Romeo und Julia im TV). Dieses Spiel trieben wir zwei Wochen lang, hier und da immer mal wieder eine kleine Nachricht für den anderen. Ich entschloss mich, auf den anstehenden Exerzitien nach den Weihnachtsferien (Exerzitien sind religiöse Orientierung, aber eigentlich kleine Klassenfahrten) meinem anonymen Dasein ein Ende zu bereiten. Außer mir wusste nur Jens, mein bester Freund, von meinen Gefühlen für sie. Als wir in Aachen ankamen, verzog ich mich in eine stille Ecke und schrieb ihr, dass sie in 24 Stunden wissen würde, wer ich bin. Wir wurden in Gruppen eingeteilt und begaben uns erst einmal mit unserem Gruppenleiter auf eine Führung übers Gelände. Mir hatte es besonders der Partyraum angetan, da dieser über eine professionelle Anlage verfügte und meine DJ-Seele sofort in helle Aufregung und Freude versetzte; so fragte ich auch gleich nach der ersten Sitzung meinen Gruppenleiter nach dem Schlüssel. Er gab ihn mir unter der Bedingung, dass ich allein dort sein sollte, und so ging ich nach dem Abendessen mit meinen CDs in den Partyraum und begann erst einmal, dort ordentlich zu mischen. Als ich fertig war und mein Handy vom Tisch nahm, sah ich, dass jemand angerufen hatte, eine Nummer wurde jedoch nicht angezeigt. Ich dachte mir nichts weiter dabei und ging hoch zu den anderen.
Nach einer Weile kam Jens dazu und meinte, ich solle kurz mitkommen. Ich ging mit. Er zog mich in eines der Zimmer und sagte mir, dass es Bärbel gewesen sei, die mich angerufen hatte, dass sie meine Stimme erkannt hätte und sich köstlich darüber amüsieren würde. Das war das letzte, was ich erwartet hatte. Ich war wütend, sauer und einfach nur enttäuscht von ihr, ich hätte sie am liebsten im Teich vor dem Haus unters Wasser gedrückt und ihr genüßlich beim Ersticken zugesehen... Ich dankte Jens, dass er mich nicht ins offene Messer hatte laufen lassen. Nicht auszudenken, wie vernichtend es gewesen wäre, wenn ich Bärbel meine Liebe gestanden hätte und sie... sie mich einfach auslachen würde.
Ich ging auf mein Zimmer und schrieb "love" und die "Mitternachtsphantasien". Nach endlosen Quälereien schlief ich ein.
Ich aß nichts am nächsten Tag, den Sitzungen mit der Gruppe folgte ich nur sehr sporadisch und versuchte mich abzulenken, da Bärbel zu meinem Unglück in der gleichen Gruppe war wie ich. Ich war schlicht und einfach fertig mit der Welt.
Den Mittwoch erlebte ich schon ein wenig bewußter, aß wieder und fang langsam den Weg in die Realität zurück. Auf der abendlichen Abschlussparty nahm ich meinen Mut zusammen und sprach Bärbel auf die ganze Sache an, nachdem ich ihr in den zwei Tagen zuvor möglichst gut aus dem Weg gegangen war. Sie sagte mir, dass es Jens' Idee war, die Nummer anzurufen, Jens sagte ihr, dass die Stimme auf der Mailboxansage meine Stimme war, Jens war, wie ich später erfuhr, ebenfalls zu dieser Zeit in Bärbel verschossen und Jens war von diesem Tag an mein bester Freund gewesen.
 

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