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Gestern sah ich einen Mann ertrinken

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©  gänsehirt   
   
Gestern sah ich einen Mann ertrinken
Er sah mich und rief; begann, wild zu winken.
Sein Gesicht war verzerrt, ich stand wie gebannt,
zu erwidern den Gruß erhob ich die Hand.

Ich trat näher, laut pries ich an sein Schreien.
Passanten kamen, sie dachten wir seien
Freunde und Partner, und das gefiel;
begeistert verfolgte man unser Spiel.

Schon fielen die Münzen in meinen Hut,
da schöpfte der andere neuen Mut,
als er die Massen am Lande sah.
Ich erklärte, es bestehe keine Gefahr;

ein Schauspieler sei das, ein Spezialist,
ein Teufelskerl und Perfektionist.
Staunend, doch ohne ihn zu beneiden,
beobachtete man des Ertrinkenden Leiden.

Nun hatte diesen Verzweiflung erfasst,
hinunter zog ihn die bleierne Last
des Wassers, ihn trennend vom sicheren Land
und den Menschen. Die ihrerseits waren gespannt,

was man als Nächstes bieten würde.
Bald wurde zu groß des Schwimmenden Bürde,
und wieder rief er um Hilfe, und wieder,
die Leute starrten zu ihm herüber.

Kälte, Verwirrung und Schwäche ergriffen
den müden Körper, der steif und erblichen
allmählich erschlaffend am Wasser trieb.
Frauen klagten wie um einen Sohn.
Nur ruhig, rief ich, nur Illusion!

Der Wind blies heftig und brachte mir Glück,
stieß den Leichnam nach vorne und zurück.
Dennoch, es machte sich Unruhe breit,
und ich erkannte, es war an der Zeit

zu verlassen die Stätte des Todes, der Not;
man lief bereits nach einem Boot.
Gelassen verbarg ich meinen Lohn
und machte mich still und rasch davon.
 

http://www.webstories.cc 16.05.2024 - 06:00:52