... für Leser und Schreiber.  

Im Zwielicht eines Tages

17
18 Stimmen
   
©  Odyssee   
   
Den kalten Neonflur entlang. Durch das dumpfe Atmen der kahlen Wände bis zu einer Tür, hinter der die Zeit kein Morgen kennt und das Jetzt zerflossen ist wie ein Spiegelbild im aufgewühlten Wasser. Die verwelkte Luft steht im Raum und das Schweigen der Worte hält den Augenblick gefangen.
Da sitzt sie. Stumm und starr. Wie eine schlafende Herbstblume im morgentauen Winterkleid. Sonnenlicht bricht durch die schmalen Fenster und trifft die grauen Schleier ihrer Lebensscherben. Das Funkeln der Sterne in ihren einst so grünen Augen ist nur noch böses Fehlen. Die Nacht in ihren Blicken sieht kein Ende. Sie durchbohren mich als würden sie um Hilfe schreien.
Mir ist als hörte ich sie denken.
Ihre Kreise verlieren sich im Gestern als wäre das Heute nie gekommen und als wäre das Morgen wie ein längst vergessener Traum aus einer anderen Zeit. Ihre Tränen sind ausgetrocknet in den dürren Tälern der Gleichgültigkeit, doch beweinen sie immer noch das scheinbar längst Verlorene.
Ich lege meine Hand auf ihre und versinke in Gedanken. Wie lange ist es wohl her seit sie der Welt so fremd geworden?
Was bedeutet "erinnern"? Bedeutet es wiederzufinden, was verloren ging auf der Suche nach uns selbst? Vergangenheit: Wandern zwischen hohen Hecken, deren Dornenranken die Narben der Zeit blutig reißen? Erinnerungen stehlen sich aus der Wirklichkeit, wie trübe Schattenbilder aus dem Licht der müden Mondlaternen, an denen noch der letzte Tropfen Gestern hängt. Nur flüchtige Farben auf fließenden Flammen. Und so irrt sie durch ein Labyrinth gewesener Pfade, immer auf der Suche nach alten Winden, die sie in den Schlaf wiegen.
Ich schaue sie an. Unsere Blicke treffen sich. Das Lachen um den einst bunten Mund, ist nur noch Finsternis und Schweigen.
 

http://www.webstories.cc 03.05.2024 - 12:42:15