... für Leser und Schreiber.  

Pani Pani!!

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© Heike Hagenguth   
   
Ein unterdrückter Fluch reißt mich aus dem Schlaf. Ein Streichholz leuchtet nach mehreren Versuchen auf und entzündet die Petroleumlampe. Anscheinend geht jemand in Badezimmer.
Powercut, der Strom ist wieder abgeschaltet worden.

Am nächsten Morgen hoffe ich nur kurz, daß es inzwischen wieder Strom gibt und die Wasserpumpe funktioniert, die die tägliche Wasserration in den Tank auf dem Dach pumpt. Mein stumme Bitte wird nicht erhört, und so steige ich müde in den Hof hinunter und schöpfe eimerweise eiskaltes Wasser aus dem Brunnen. Dreißig Stufen runter und wieder rauf, so lange, bis der große Bottich im Bad voll ist.

Schweißgebadet wasche ich mich mit dem kühlen Naß. Meine Sinne beleben sich, als ich kellenweise das zugegebenermaßen etwas muffig riechende Wasser über mein Gesicht laufen lasse. Die frühmorgendliche brennende Sonne verheißt einen unerträglichen Tag.

Als ich den Kühlschrank öffne, laufen Kakerlaken eilig davon. Die Lebensmittel riechen schon und sind zimmerwarm. Verärgert schütte ich die Milch in den Ausguß. Powercut, und alles verdirbt.

Während des Frühstücks riskiere ich einen Blick in die Tagespresse. Die Times of India, The Hindu und die lokalen Blätter berichten vom beginnenden Monsun im Südwesten Indiens, während in dieser Gegend weiterhin Trockenheit und Hitze bis 45° C herrschen. Ich muß gar nicht weiterlesen um zu wissen, daß die Flüsse ausgetrocknet sind und die Wasserkraftwerke nicht genug Energie produzieren können. Die Powercuts sollen helfen, Strom zu sparen. Welche Ironie! Wo nichts ist, kann auch nichts gespart werden. Im Lokalteil entdecke ich den Zeitplan für die nächsten Stromsperren. Immerhin wird dieser Plan einigermaßen genau eingehalten, so daß der Tag planbar ist. Die unangekündigten Maßnahmen häufen sich in den letzten Tagen allerdings unangenehm. Wahrscheinlich ist der Moussi, der durch Hyderabad fließt, fast versiegt.

Während einer Fahrt in den Ostteil der Stadt sehe ich, daß die Lage am Fluß wirklich mehr als kritisch ist. Wo zu anderen Zeiten ein kräftiger Strom fließt, kämpft jetzt ein kleines Rinnsal ums Überleben. Mit dem Abnehmen der Wassermenge hat sich der Slum vergrößert. Teile des Flußbettes und der Uferböschung sind mit Hütten aus Pappe und Plastik besiedelt. Ich sehe ein Kind, das in der Pfütze des einstigen Flusses unter sich macht, daneben uriniert ein Mann ins faulige Wasser. Ein paar Meter weiter waschen Frauen ihre Saris. Übel riechendes, braunes Wasser spritzt auf, als eine Gruppe Jungen Fangen spielt. Das Summen der Moskitos ist unüberhörbar.

Wenn in wenigen Tagen der Monsun diese Gegend erreicht, wird sich der Fluß in eine wilde, unberechenbare Bestie verwandeln. Der anschwellende Pegel wird die Powercuts überflüssig machen, das Wasserkraftwerk wird ausreichend Energie für diese Fünfmillionenstadt liefern können. Die am Flußufer angesiedelten Hütten sowie das Hab und Gut der Menschen wird in den reißenden Fluten verschwinden. In den Straßen wird das Wasser knöchelhoch stehen und nicht abfließen können, da die städtische Kanalisation mehr als mangelhaft ist. Bei steigender Feuchtigkeit und hohen Temperaturen werden sich Krankheiten schnell ausbreiten. Wie in jedem Jahr werden Tote zu beklagen sein.

Daheim funktionieren Wasserpumpe und Kühlschrank wieder. Zeit für einen kühlen Schluck Wasser, ich habe Durst nach der langen Fahrt durch die staubige Stadt. Das faulige Wasser des Moussis im Hinterkopf, filtere ich das Kranwasser und mache es keimfrei. Zufrieden genieße ich mein kaltes Wasser; der Ventilator dreht sich über mir.

Draußen erklingt der allgegenwärtige Ruf der Bettler "Pani Pani!- Wasser Wasser!". Kinder weinen.


© Heike Hagenguth 07/2001






 

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