... für Leser und Schreiber.  

An alle Fremden

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© Marco Frohberger   
   
18.Oktober 2001

irgendwo

Beißend kroch das Gefühl unaufhaltsam meinen Hals hinauf. Mein Herz pochte so stark wie eine ungeduldige Faust, die gegen eine verschlossene Türe schlägt. Meine Augen suchten, aber sie fanden nicht. Tränen trockneten auf meinen Wangen und schon wieder rannen sie wie prophezeiendes Unheil aus meinen Augen. Ich wollte nicht, doch konnte ich nicht. Stumm hockte ich am Boden, mit dem Rücken gegen die heiße Heizung gelehnt. Ich spürte den brennenden Schmerz schon gar nicht mehr. Eher der Schmerz, der mich darniederschlug überspielte diese unbedeutende, aber doch existierende Empfindsamkeit. Ich sah direkt mit meinem von Tränen verschwommenen Blick auf die Wand, doch sah ich dort ein Loch, dass mich woanders hinführen sollte.
Meine Hand zitterte und mein Mund war trocken, als gäbe es nichts, dass dies hätte ändern können. Wie ein zerbrochenes Scherbenglas, dass auf dem Boden glänzte, so glänzte ich durch meine innerliche Tragik, die mich zu zerreißen schien. Ich kannte dieses Gefühl. Es war schon einmal da, vor langer Zeit, die weit hinter mir liegt. Ich habe sie erfahren, diese Entscheidung, und ich hatte sie akzeptiert, doch mein Herz und die Seele, die mich auf meinen Pfaden begleitete, sie verstand es nicht. Sie verstand es nicht zu akzeptieren, abzuschließen, zu vergessen, neu zu beginnen.
Ich dachte an einen dicken Zaunpfahl, der mich mitten ins Herz traf. Es gab aber leider keine treffendere Bezeichnung für dieses Gefühl, dass an mir haftete.
Es war jetzt soweit. So viele Jahre hat es mich berührt, so lange mich beschäftigt und nie mehr losgelassen. Zu gewinnen und zu verlieren, es sind Dinge, die mir sehr nahe gegangen sind und Dinge, die mich nicht mehr verlassen konnten.
Zweimal hatte meine Seele ihren Frieden gefunden. Zweimal habe ich das Glück gehabt, zu lieben, doch war dieses Unglück, welches wie eine schwarze Wolke über mich schwebte, immer allgegenwärtig.
Kein Alkohol dieser Welt konnte diesen Schmerz in mir lindern, der mich nach und nach auffraß. Eine bittere Träne nach der anderen, die ich verlor. Eine bittere Träne, eine wie jede andere, die Zeugnis dessen war, was mir wiederfuhr.
Ich hatte Angst, doch war ich mir Gewiss, was ich tun wollte. Es ist nur noch ein einziger Weg, der mich an mein Ziel führt, an das ich so viele Jahre geglaubt habe. Ich bin traurig und ich bin allein. Ich schreie laut, doch niemand kann mir helfen. Ich suche Hilfe, doch niemand ist da. Ich suche Hoffnung, doch niemand gibt sie mir.
Immer habe ich geglaubt, dass sich alles ändern wird. Immer habe ich an dem Glauben festgehalten, dass ich glücklich werden kann. Doch die Furche, die vor drei Jahren in mein Herz und meine Seele gegraben wurde, sie wurde noch größer, ohne das sie einmal die Chance gehabt hatte, sich zu schließen.
Von heute auf Morgen ändert sich dein Leben. Das Gefühl, dass dir das Glück schenkt, geliebt zu werden, es sinkt wie die eiskalte Wirklichkeit, die dich wie ein Schlag trifft und zerstört. Es muss nur ein Regentropfen sein, der dich berührt und dich verändert, dir deinen inneren Frieden raubt und deinen Körper verlässt, indem du eine Träne vergießt.
Ich sitze noch immer hier. Wie ein Nebelschleier zieht es an meinen Augen vorbei, als sitze ich wie damals in meinem Auto und fahre blind durch die Nacht, durch ein Nebelfeld, dass mir keinen Ausweg zeigt. Kein Stern am Himmel, der leuchtet, kein Zeichen, dass mir sagt, dass ich auf dem richtigen Wege bin.
Langsam wird mir schlecht und ich spüre die Müdigkeit, die mich befällt. Sie versetzt mich in den seltenen Zustand der Zufriedenheit. Das erste Mal seit drei Jahren, dass ich mich gut und frei fühle.
Ich habe alles versucht, doch mein Leben ist nicht das, was ich mir wünsche. Ich habe meinen Frieden jetzt gefunden und ich wünsche mir für alle anderen, dass sie glücklich werden mögen. Sie müssen die Hoffnung greifen, festhalten und an sie glauben. Ich weiß, es ist eine Gratwanderung zwischen dem sterbenden Frieden und dem der Hoffnung. Aber man kann es schaffen, wenn man es möchte. Ich habe zwar eine wunderbare Wahrheit erfahren, indem ich zweimal in meinem Leben einen Menschen lieben durfte, der mir nahe war, den ich aber verloren habe. Aber das Schicksal ereilte mich, ohne das ich die Wahl hatte, darüber zu entscheiden. Warum ich mich gerade in diese Frau verlieben musste, die Gott mir wieder wegnehmen würde, dass weiß ich nicht. Ich weiß jetzt, was ich will.

An alle Schiffe auf See und an alle Häfen, an meine Familie, an alle Freunde und alle Fremden, dies ist eine Botschaft und ein Gebet. Die Botschaft ist, dass mich meine Reisen eine wunderbare Wahrheit gelehrt haben.
Unser Leben ist so reich an einfachen und kleinen Schätzen, die man sich aus eigener Kraft schaffen kann. Ich bete darum, dass jeder Mensch auf der Welt seine Liebe finden möge, um durch sie geheilt werden zu können.
Wenn das Gebet erhört wird, wird es keine Schuld mehr geben und keine Trauer, und alle Wut wird versiegen.
Darum bitte ich dich Gott.
Man hofft und man träumt. Ich spürte noch das zittern meiner Hand, bevor ich das Zimmer vor meinen Augen verlor. Alles wurde dunkel. Jetzt war es gewiss, dass es soweit war. Das Messer in meiner linken Hand glitt aus meinen Fingern. Ich konnte nicht mehr.

in liebster Erinnerung
J.C.
 

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