 |
Ein Abgang in Würde
Mirsamosz,
23.12.2004 |
 |
| |
Über die Würde des Menschen bei seinem Abgang ist viel geschrieben worden. Darum geht es auch in dem Buch „Gnade“ von Linn Ullmann. Ich selbst merke meine Vergesslichkeit. Rituale drängen sich auf, die ins Leere laufen, weil sie längst sinnlos geworden sind. Ich will Tee kochen, mache aber das Wasser in die Kaffeemaschine. Mir fallen Namen von Schulkameraden aus der Volksschule ein, habe aber gravierende Schwierigkeiten die neuen Arbeitskollegen einem Namen zuzuordnen. Das Bier hat damals ein paar Pfennige gekostet, ein Doppelweck einen Groschen – das habe ich drauf; mit Euro und Cent stehe ich auf dem Kriegsfuß.
Ganz zu schweigen von meinem Körper, der auch mal bessere Tage gesehen hat. Früher habe ich Bodybuilding gemacht, jetzt, so kurz vor der Rente, bin ich froh, wenn ich den Kasten mit dem Sprudel in die Wohnung bekomme.
Nun versuche ich für mich den Punkt festzumachen, von dem ich sagen kann, ab hier ist es so weit. Wenn ich die ersten Senioren-Pampas anziehen muss um unter die Menschen gehen zu können; wenn ich mir den Namen der neuen Nachbarn nicht mehr merken kann; wenn ich nicht mehr in der Lage bin alleine einkaufen zu gehen – dann ist es so weit.
Oder doch erst, wenn ich zehn verschiedene Medikamente am Tag schlucken muss?
Bestimmt aber, wenn es mir so geht, wie dem alten Mann aus den Nachrichten, der von seiner Schwiegertochter drangsaliert worden ist.
Aber ist es dann wirklich so weit? Und wenn es so weit ist, ist es dann nicht schon zu spät, weil ich meine Entscheidung nicht allein umsetzen kann? Also müsste ich den Zeitpunkt schon früher ansetzen, so lange ich noch klar genug bei Bewusstsein bin auch auszuführen wozu ich entschlossen bin. Aber ist es dann nicht noch zu früh?
Nein – momentan ist es noch nicht so weit. Ich bin auch noch nicht so alt wie ich oben angegeben habe. Auch heiße ich nicht Mirsamosz, um den Fakejägern das Wort zu reden.
Trotzdem - diese Frage interessiert mehr denn je, wollen doch immer mehr Menschen selbst bestimmen wann sie aus diesem Leben gehen. Wann aber ist der rechte Zeitpunkt?
Wann ist es so weit? |
| |
|
| |
|
|
 |
Alle Antworten |
  | Der deutsche Gesetzgeber | Mirsamosz 24.12.2004 - 15:11:21 | | | wird seine Einstellung zur Sterbehilfe überdenken müssen, glaubt mir. Es sei denn es kommt so weit wie Rudi Jagusch in seiner Geschichte „Ausgewählt“ (Angstanthologie) schildert, dann erübrigt es sich.
Hallo Magnus,
Tod und eigenes Sterben in der einen oder anderen Variante sind in der Literatur oft vertreten. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit haben viele Zeit und Gelegenheit um über etwas nachzudenken. Wer labil genug ist durch solch einen Meinungsaustausch in die Tiefe gezogen zu werden, der darf in der Zeit auch keinen Fernseher einschalten; schwere Kost ist Standart. Mir geht es auch nicht darum einen Trigger-Effekt hervorzurufen – das kann jede Problembehandlung nach sich ziehen – ich denke, dass solch eine Diskussion durchaus seine Berechtigung hat; nicht als Anleitung wie Betroffene vorzugehen haben, die Frage ist: Wie erreiche ich das, was ich vorhabe? Oder: Was erreiche ich mit dem was ich vorhabe? Es gibt Argumente für ein vorzeitiges Ende, die keine (mehr) sind; es gibt aber auch welche über die es sich lohnt nachzudenken. Das Leben ist wie Literatur, nicht immer kommt es zu einem Happy End. Auch kommt es meistens und zweitens anders als …
Das oben erwähnte Buch hat mich dazu veranlasst das Thema aufzugreifen und die Geschichte anders zu erzählen. Eine eindeutige Stellungnahme für einen solchen Schritt oder dagegen ist rein persönliche Sache, da stimmen wir überein. Aber wenn ich mich dazu entschließen sollte eine Grenze zu ziehen, wo läge die dann?
Stell dir mal vor: Ich bin jung, ich habe Kraft und Ausdauer, ein gutes Gehör. Viele Leute können mit dem Alter nichts anfangen. Drei Tage Rente und schon wird der Deckel zugemacht. Mir soll das nicht passieren. Ich habe ein Ziel. Ich lerne ein Musikinstrument spielen. Und es klappt gut. Ich lerne Noten zu schreiben. Das geht prima. Dann ist es so weit, ich werde (bei Bergleuten ist es das 50. Lebensjahr, bei Offizieren schon früher) ins Alter entlassen. So, was kommt jetzt? Die Musik. Und dann verliere ich mein Gehör!
Schau mal, du sagst, du würdest die Grenze wahrscheinlich erreicht sehen, wenn du die ersten Anzeichen erkennst ein Pflegefall zu werden. Das klappt schon mal nicht. Kann gar nicht klappen. Woran willst du die Anzeichen erkennen ohne die Hoffnung zu haben, er wird wieder?
Hallo Lies,
das mit dem Hausarzt ist gut. Die Patientenverfügung bekommt demnächst durch den Gesetzgeber mehr Bedeutung. Auch ich habe keine Lust „in den Seilen hängen zu bleiben“. Nichts wirkt so beruhigend wie das Wissen alles für den Wenn-Fall getan zu haben. Die Frage ist aber, wie kann ich so organisieren, dass es später auch greift. Der Hausarzt macht ausgerechnet dann seine Ferien, wenn es darum geht eine wichtige Entscheidung zu fällen; die bevollmächtigte Person – in der Regel ein Familienmitglied – ist emotional vorbelastet (Wer sagt mir denn, dass sie mich nicht loswerden will, weil ich zur Last geworden bin? Andererseits: Wer sagt mir denn, dass gerade diese Person loslassen kann, wenn es an der Zeit ist?) und hat nur ganz geringen legalen Spielraum; das Seil liegt im Keller und ich in der Uniklinik ... Selbstverständlich stimme ich mit dir überein was das Leben anbelangt. Ich will das Leben leben und die Sinnlosigkeit akzeptieren.
Es ist ja nicht nur so wie Magnus sagt, dass jeder in der gleichen Lage anders entscheiden würde, auch auf die Möglichkeiten kommt es an. Noch hat der Gesetzgeber Grenzen gesetzt. Wo sind das die Schlupflöcher? Wohlgemerkt: legale Schlupflöcher.
Aber das wäre schon ein Schritt weiter. Noch interessiert, wann ist die Grenze für mich erreicht, woran mache ich sie fest? Was macht mich so sicher den Punkt erreicht zu haben? | antworten |  |
|  | |  | |  | |  | |  |
|
|